Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln und österreichischem Pass. Er berichtet regelmäßig über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien. Feroz recherchierte unter anderem die dramatischen Folgen der amerikanischen Drohnen-Angriffe in Afghanistan und veröffentlichte dazu das Buch: "Tod per Knopfdruck: Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte."
Die andauernde Katastrophe braucht unsere Aufmerksamkeit
In Afghanistan herrschen seit Jahrzehnten Chaos, Konflikt und Gewalt. Sich ständig wiederholende, schreckliche Nachrichten führten allmählich zu Desinteresse, beklagt der Publizist Emran Feroz: Diese Reaktion sei verständlich, aber grundfalsch.
Das Thema nervt, ich weiß! Und ich nerve auch, ich weiß! Tote Zivilisten durch Drohnen-Angriffe – davon berichte ich seit Jahren. Sicherheitskräfte, die für Unsicherheit sorgen - kennen wir. Der Opiumanbau boomt - hatten wir schon im Frühjahr im Programm. Friedensverhandlungen zwischen Aufständischen und Regierung – sind das nicht die tausendsten?
Und es stimmt ja auch, die Themen, die ich Redaktionen vorschlage wurden alle schon mal bearbeitet und in der Rubrik Originalität kann man damit nicht punkten. Bei allem man was zu Afghanistan berichten kann, gibt es stets so etwas wie ein Déjà-vu.
Medien verlieren Interesse an Afghanistan
Seit fast zehn Jahren beschäftige ich mich als Journalist mit der Lage am Hindukusch. Doch der Krieg im Heimatland meiner Vorfahren begleitet mich de facto schon seit meiner Geburt. Er hat mich im Grunde genommen zu dem gemacht, was ich heute bin. Ich fülle mittlerweile eine journalistische Nische, indem ich stets über und aus Afghanistan berichte. Ich mache das konsequent, doch mittlerweile bemerke ich, dass viele Medien das Interesse an Nachrichten aus dem Land verlieren.
Andere, wichtigere Dinge stehen eben auf der Tagesordnung. Derartige Reaktionen erlebe ich immer wieder, und ich muss zugeben: Sie sind oftmals auch nachvollziehbar. Auch ich dachte mir oft: "Ich lass das lieber. Es gibt genug andere Themen." Und manchmal tat ich das auch und berichtete über gänzlich andere Dinge.
Doch dann richtete ich meinen Fokus doch wieder auf Afghanistan. Ich konnte nicht anders. Es war zu wichtig, und mir fiel auch immer mehr auf, wie sehr unsere Welt miteinander verwoben ist und wie stark der Krieg in Afghanistan andere globale Debatten beeinflusst hat.
Nichts ist gut am Hindukusch
Gerade jetzt sollte die mediale Aufmerksamkeit am höchsten sein. 2018 warf das US-Militär über 5000 Bomben über dem Land ab – ein Höchststand seit 2003. Immer mehr Zivilisten werden durch Luftangriffe und andere Militäroperationen getötet. Zeitgleich begehen extremistische Gruppierungen in Kabul und in anderen Städten weiterhin blutige Selbstmordanschläge.
Außerdem: 50 Prozent des Landes befinden sich mittlerweile in der Hand der Taliban. Das mag nach nichts Neuem klingen, doch diese Entwicklungen machen nur deutlich, dass nichts – aber auch wirklich gar nichts – gut ist am Hindukusch, sondern nur schlimmer wird.
Der "War on Terror" hat versagt
Afghanistan, ein Land, in das die deutsche Bundesregierung und andere EU-Staaten Geflüchtete abschieben, gehörte im vergangenen Jahr (2018) mit über 45.000 Kriegsopfern zu den tödlichsten Ländern der Welt – und ließ dabei auch Syrien, Irak und Jemen hinter sich.
Derartige Realitäten scheinen allerdings nicht mehr der Rede wert zu sein. Sie sind – wenn überhaupt – zum Teil einer Randberichterstattung geworden. Doch wer einen genaueren Blick wirft, könnte aus dem Beispiel Afghanistan eigentlich viel lernen. Der "War on Terror" der Amerikaner, der in diesem Land 2001 begann, hat hier derart versagt wie nirgendwo anders, und das westliche Gerede von Menschenrechten und Demokratie kaufen mittlerweile viele Afghanen nicht mehr ab – aus guten Gründen.
Der Status quo ist katastrophal
Dies kann und darf nicht sein. Natürlich ist die Situation im Land deprimierend, doch Ignoranz und Desinteresse werden die Realität nicht verändern. Hinzu kommt, dass das Geschehen in Afghanistan auch Deutschland und Europa betrifft. 2021 geht der westliche Einsatz am Hindukusch ins 20. Jahr. Damit gehört der Afghanistan-Krieg zu den längsten der modernen Geschichte. Hinzu kommt natürlich die sowjetische Besatzung in den 1980ern.
All dies ist Grund genug, um dagegen etwas zu unternehmen. Denn der Status quo am Hindukusch ist nicht zufriedenstellend, er ist katastrophal – und, ob wir wollen oder nicht, Katastrophen haben nun einmal unsere Aufmerksamkeit verdient. Was mich persönlich betrifft: Ich werde weiterhin nerven, ob man mich lässt oder nicht.