Enquete-Kommission
Den afghanischen Menschen nutzt diese Aufarbeitung nichts, sagt Jasamin Ulfat-Seddiqzai in Bezug auf die Enquete-Kommission. © AFP / Wakil Kohsar
Afghanistan als Versuchskaninchen für Kriegsführung
Was lief falsch in Afghanistan? Damit soll sich eine Enquete-Kommission beschäftigen. Doch die personelle Besetzung setze die Fehlerkette fort, meint die Wissenschaftlerin Jasamin Ulfat-Seddiqzai. Das Land müsse als schlechtes Beispiel herhalten.
Es war im Jahr 1908, als der ehemalige britische Vizekönig von Indien prophezeite, dass Afghanistan sogar in hundert Jahren noch ein wichtiges Thema für westliche Zentralasienpolitik sein würde. Seitdem sind 114 Jahre vergangen und Lord Curzons Ahnung hat sich bewahrheitet.
Der Abzug der internationalen Truppen und die Machtübernahme der Taliban im August 2021 führten zu einem weltweiten Aufschrei. Jetzt setzt sich der Bundestag in zwei verschiedenen Untersuchungen damit auseinander. Es gibt den Untersuchungsausschuss zum Abzug der Bundeswehr, und eine Enquete-Kommission, die sich mit dem gesamten Afghanistaneinsatz beschäftigt.
Eine Geschichte der Fehlentscheidungen
Was lief in den letzten 20 Jahren gut, was lief schlecht? So könnte man das Betätigungsfeld der Enquete-Kommission zusammenfassen. Tatsächlich ist von allen Wünschen wenig übriggeblieben. Wir wollten die Taliban besiegen, den Terrorismus bekämpfen. Wir wollten Demokratie einführen, Frauenrechte stärken und die Armut im Land lindern.
Stattdessen sind die Taliban heute stärker, als sie in den 90er-Jahren zu träumen wagten. Mädchen ist der Besuch weiterführender Schulen verwehrt. Über 90 Prozent der Bevölkerung gelten aufgrund der Sanktionen als verarmt. Von den hehren Zielen ist nichts übrig. Es geht dem Land heute teilweise schlechter als vor dem NATO-Einsatz.
Die Frage, was wir falsch gemacht haben, muss also gestellt werden. Leider beantwortet die Enquete-Kommission sie bereits zum Teil durch ihre Konstituierung. Sowohl Ziel- als auch Zusammensetzung zeigen die gleichen Fehler wie der gesamte Einsatz.
Zum einen gehören der Kommission – bis auf die Bundestagsabgeordnete Schahina Gambir – keine afghanisch-stämmigen Menschen an. Die Bundeswehr ist hingegen mit zwei Generälen a.D., außerdem einem aktiven und einem ehemaligen Oberst vertreten. Zynisch könnte man sagen, Politik und Armee evaluieren sich hier selbst.
Hinzu kommt, dass in der Sachverständigenrunde vornehmlich Sicherheitsexperten vertreten sind. Für einige von ihnen ist Afghanistan nur eines von vielen Themen. Thomas Ruttig oder Conrad Schetter, die sich seit Jahren schwerpunktmäßig mit Afghanistan auseinandersetzen, sind nicht dabei. Ist die Kommission also fehlbesetzt? Nein, tatsächlich ist sie das nicht.
Kein Nutzen für afghanische Menschen
Denn in der Enquete-Kommission geht es nicht um Afghanistan. Vielmehr geht es um die Lehren, die man aus Afghanistan für zukünftige Auslandseinsätze ziehen kann. Das Land ist nur Ausgangspunkt der Überlegungen, wird damit zum Versuchskaninchen für asymmetrische Kriegsführung, für Drohnentechnologie, für den Einsatz von „erweiterten Verhörtechniken“ der Amerikaner.
Schon der Auslöser für den Krieg hatte nicht viel mit dem Land zu tun, sondern mit saudisch-finanziertem Terrorismus. Bei seiner Abschlussrede zum Afghanistaneinsatz zog US-Präsident Biden genau dieses Fazit: Der Kampf habe eigentlich immer der internationalen Al-Qaeda, nicht den afghanischen Taliban gegolten.
Es ist also nur konsequent, wenn die Afghanistankommission am Ende gar keine ist. Es geht nicht um Verantwortung, nicht um Rechenschaft für Vergangenes. Der Fokus liegt auf neuen Bundeswehreinsätzen, und so könnte die Enquete-Kommission zu einem Workshop für zukünftiges Best Practice werden; ein Begriff, der sich auch im Antrag zur Einsetzung der Kommission findet.
Den afghanischen Menschen nützt das nichts. Die Aufarbeitung dient nicht ihnen, nutzt aber ihre Expertise. Deswegen sitzen sie nicht in der Kommission, sondern werden zu „punktuellen Anhörungen“ eingeladen, wie der Kommissionsvorsitzende Michael Müller erklärte. Afghanische Menschen müssen sich damit abfinden, dass der Krieg, der hunderttausende zivile Opfer kostete, am Ende nur als schlechtes Beispiel für neue Kriege herhalten muss.