Erst verschwinden die Truppen, dann das Geld
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Dürre, Nahrungsmittelknappheit, ausbleibende Hilfszahlungen: Die Taliban stehen in Afghanistan vor riesigen Herausforderungen. Die Vereinten Nationen warnen bereits vor einer humanitären Katastrophe.
Die Taliban sehen sich als neue Machthaber in Afghanistan kaum lösbaren Aufgaben gegenüber. Im Land schwinden die Nahrungsmittelvorräte: Ende des Monats könnten diese aufgebraucht sein, so die Vereinten Nationen. UN-Generalsekretär António Guterres warnt vor dem völligen Zusammenbruch der Grundversorgung: "Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an."
18 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe
Die Menschen verlören jeden Tag mehr den Zugang zu elementaren Gütern: "18 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. Jeder dritte Afghane weiß nicht, woher seine nächste Mahlzeit kommen wird. Mehr als die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren wird im nächsten Jahr voraussichtlich akut unterernährt sein."
Im Land gibt es derzeit lange Schlangen vor den Banken, explodierende Preise auf den Basaren, die Währung verfällt. Die wachsende wirtschaftliche Krise verschärft die Sorgen der Bevölkerung und das Elend im Land, in dem bereits jetzt mehr als ein Drittel der Menschen von weniger als zwei Dollar pro Tag leben müssen.
Angst lähmt das öffentliche Leben
Hinzu kommt die Furcht vor Anschlägen, die das öffentliche Leben lähmt. Selbst wer vergleichsweise wohlhabend ist, muss sich Tag für Tag dem Kampf stellen, Essen auf den Tisch zu bringen und die Familie mit dem Nötigen zu versorgen. Viele Büros und Geschäfte sind noch immer geschlossen. Seit Wochen wurden keine Gehälter mehr gezahlt.
Die internationale Gemeinschaft hat derweil den Geldhahn zugedreht. Nur die humanitäre Hilfe werde derzeit weiter gezahlt, sagt die auf Entwicklungsökonomik spezialisierte Volkswirtin Sarah Langlotz. Das seien aber nur rund zwölf Prozent der Mittel, die bisher ins Land geflossen seien.
Afghanistan ist in den vergangenen 20 Jahren mit sehr viel Geld unterstützt worden. Das Land sei in dieser Zeit laut OECD immer unter den Top-5-Empfängern bei der Entwicklungshilfe gewesen, sagt die Wissenschaftlerin. Allein die Weltbank habe fünf Milliarden Euro überwiesen, aus Deutschland sei eine ähnlich hohe Summe gekommen.
Keine Verbesserung des Lebensstandards
Langlotz hat sich in einer Studie damit beschäftigt, ob die Entwicklungszusammenarbeit und die Präsenz der westlichen Truppen das Leben der Menschen im Land wirtschaftlich verbessert hat. Das Ergebnis ist mehr als ernüchternd: Was den Lebensstandard der Menschen angehe, habe sie keine positiven Effekte gefunden, berichtet sie.
Die Volkswirtin führt das auf die unübersichtliche Lage in all den Jahren zurück. Westliche Truppen, Taliban, lokale Ältestenräte, Stammesstrukturen: Die Menschen hätten nicht gewusst, wer in Zukunft das Sagen hat, mit wem sie kooperieren sollen, sagt Langlotz. Dadurch sei es nicht möglich gewesen, die Hilfe effektiv einzusetzen.
Langlotz plädiert nun dafür, erst einmal die humanitäre Hilfe zu erhöhen. Das Land leidet momentan auch unter anhaltender Dürre. Die Hilfsorganisation Save the Children warnt davor, dass bald Krankenhäuser geschlossen werden müssen, weil der Großteil des Gesundheitswesens mit Hilfe von ausländischen Geldern finanziert worden sei.
Die Bundesregierung stellt Bedingungen
Afghanistan zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Nach der Machtübernahme der Taliban vor knapp drei Wochen hatten viele Länder die Entwicklungshilfe für Afghanistan gestoppt. Die Bundesregierung hat den Taliban inzwischen in Aussicht gestellt, die Zahlungen wieder aufzunehmen.
Doch die Bedingungen sind hoch: Voraussetzung sei eine Regierung, die nicht nur aus Taliban bestehe, erklärt Außenminister Heiko Maas. Zudem müssten grundlegende Menschen- und Frauenrechte gewahrt werden, Afghanistan dürfe zu keinem "neuen Hort für Terrorismus" werden.
(ahe/dpa/rtr)