Hilfe für Frauen in Afghanistan

"Wegschauen ist keine Alternative"

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Protest von Studentinnen gegen das Hochschulverbot für Frauen in Afghanista, das die Taliban kürzlich verhängt haben. Einige Frauen halten Protestschilder hoch.
Einige mutige Studentinnen protestierten gegen das Hochschulverbot für Frauen in Afghanistan, das die Taliban kürzlich verhängt haben. © picture alliance / AA / Bilal Guler
Antonia Rados im Gespräch mit Vladimir Balzer  · 03.01.2023
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Die TV-Journalistin Antonia Rados engagiert sich mit Hilfsprojekten für Frauen in Afghanistan. Sie kritisiert, dass der Westen wegschaut und seiner Verantwortung nicht nachkommt. Trotz der schwierigen Lage hoffe die junge Generation weiter.
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 haben die Frauen immer mehr Rechte eingebüßt, vor allem ihr Recht auf Bildung. Die islamistischen Machthaber hatten zuletzt verboten, dass Studentinnen weiter in den Universitäten studieren dürfen.
Der Westen habe die Frauen in Afghanistan vergessen, sagt Antonia Rados, die seit mehr als 40 Jahren als TV-Journalistin aus Afghanistan berichtet. Sie hatte erst vor wenigen Tagen Bundesaußenministerin Anna-Lena Baerbock (Grüne) in einem Gastbeitrag in der "Süddeutschen Zeitung" mit dem Titel "Nach dem Abzug beginnt das Verdrängen" massiv kritisiert.

Die Hoffnung ist nicht verschwunden

"Sehr interessant ist aber, dass die jungen Frauen und die junge Generation die Hoffnung nicht aufgegeben hat", sagt Rados. Viele Afghaninnen besuchen nach ihren Informationen Untergrundschulen und kommen in Wohnungen zusammen. "Es gibt Buchclubs, die junge Frauen besuchen, auch kleinere Institute, vor allem in Provinzen", so Rados. "Der Ehrgeiz und das Interesse der Afghaninnen sind nicht ganz zurückgegangen."
Ein afghanisches Mädchen beim Taekwondo in einem Untergrund-Sportclub in der afghanischen Hauptstadt Kabul mit ihrem Trainer.
Seit die Taliban die Frauenrechte immer massiver einschränken, verlagern sich viele Aktivitäten in den Untergrund. Hier trainiert eine junge Frau in einem geheimen Sportverein Taekwondo. © picture alliance / AA / Haroon Sabawoon
Die eine oder andere Frau sei verzweifelt, sagt die Journalistin und erzählt von einer Medizinstudentin, die in zwei Jahren ihr Studium abgeschlossen hätte und nicht mehr wisse, wie es jetzt weitergeht. Mit einer Gruppe von Frauen versuche sie selbst in solchen Fällen zu helfen. Im März reist Rados wieder nach Afghanistan.
Sie arbeite dort an kleinen Projekten mit, die bewusst unter dem Radar der Taliban und der Öffentlichkeit bleiben sollen, sagt Rados. "Wir haben uns etwa 60 Mädchen ausgesucht und Spenden gesammelt", sagt sie. Damit wolle man den Mädchen helfen, diese Zeit unter den Taliban zu überbrücken.

Das Internet funktioniert noch

Hilfreich sei dabei, dass das Internet in Afghanistan weiter gut funktioniere, vor allem in den Städten. Dadurch könne man mit den Mädchen kommunizieren, aber auch Bildungsangebote machen. Sie könnten Videos ansehen oder Prüfungen ablegen, aber Unterricht gehe nicht. "Es ist eigentlich sehr berührend, wie engagiert diese Mädchen sind."
20 Jahre lang sei der Westen in Afghanistan präsent gewesen und habe die Bedeutung von Ausbildungen für Frauen vermittelt. "Da ist ein Keim, der dort aufgegangen ist", sagt Rados.
Die Taliban seien sehr auf die Öffentlichkeit konzentriert, dort sollten Mädchen deshalb nicht zu sehen sein. "Nicht zur Schule gehen, nicht zur Universität gehen - was in den Häusern vor sich geht, ist bisher nicht von den Taliban kontrolliert worden. "Da gibt es einen gewissen 'Respekt'."

Versperrter Weg ins Exil

Immer noch herrsche in Afghanistan nach dem überraschenden Machtwechsel eine "gewisse Schockstarre". Viele Menschen hätten versucht, ins Ausland zu gehen. Viele Afghaninnen, die beispielsweise bei der Polizei oder NGOs tätig gewesen seien, hielten sich versteckt und schrieben verzweifelte Briefe mit der Bitte um Auslandsvisa für Europa.
"Leider ist die Tür ziemlich zu", sagt Rados. Offenbar wolle man mit dem Thema Afghanistan im Westen nicht mehr viel zu tun haben, es gebe wenige Möglichkeiten für ein Exil. Deshalb versuche sie, die Frauen möglichst im Land zu unterstützen.

Mahnung an den Westen

Rados erinnert an die Verantwortung der Staaten, die in Afghanistan über zwei Jahrzehnte vertreten waren - auch Deutschland. "Die Geschichte bleibt nicht stehen, nur weil wir wegsehen."
In Afghanistan könnten sich jederzeit Entwicklungen ergeben, die Auswirkungen mit sich bringen, mahnt die Journalistin. Das könnten neue Flüchtlingsbewegungen sein, aber auch neue Mächte, die sich dort festsetzten oder neue Gefahren durch die Taliban. "Wegschauen ist keine Alternative und ein sichtbares Einstehen für die Frauenrechte wäre schon sehr angebracht."
(gem)

Antonia Rados: "Afghanistan von Innen, Wie der Frieden verspielt wurde"
Brandstätter Verlag 2022
328 Seiten, 25 Euro

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