Afghanistan

Militärpolitik mit wenig guten Ideen

Von Ute-Christine Krupp · 24.12.2013
Militärhistoriker Klaus Naumann analysiert beeindruckend den Einsatz in Afghanistan. Sein Fazit: Es sind gravierende Fehler gemacht worden, und bis zu einer stabilen Lage in den umkämpften Land ist es noch weit.
Der militärische Einsatz war schnell beschlossen - nach dem 11. September 2001, aber der Weg nach Afghanistan war lang. Die Staatengemeinschaft und mit ihr die deutsche Politik durchliefen mehrere Etappen:
"Die Ausgangsmission seitens der Amerikaner lief allein darauf hinaus, Al-Qaida-Rückzugsgebiete auszuschalten, dazu das Talibanregime zu stürzen - weil es einen sicheren Hafen für Terrorismus gewährt. Daraus ist dann erst nach intensiven internationalen Debatten ein UN-Mandat entstanden, den afghanischen Staat nach Sturz der Taliban neu aufzubauen. Dann ist damit die ISAF-Mission, also die UN-Mission, entwickelt worden."
Was als Stabilisierungsmission in der Hauptstadt Kabul begann, weitete sich nach und nach zum größten Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr aus. Vieles sei schief gelaufen, kritisiert Klaus Naumann, erklärt aber auch, wie die Mission in Afghanistan den Begriff der Sicherheit neu definiert hat:
"Tatsache ist, dass es irgendwie um Stabilisierung einer funktionierenden Gesellschaftsordnung gehen musste - und in diese Richtung hat sich das afghanische Mandat verändert."
Anspruchsvolle Ziele wurden formuliert: Eine stabile afghanische Staatlichkeit herstellen, Demokratie, Parlamentarismus:
"Das heißt, das Spektrum der soldatischen und der militärischen Aufgaben wird erweitert über das klassische militärische Kämpfen. Diese Fähigkeit muss vorhanden sein, sonst brauchte man keine Soldaten. Aber das militärische Rollenspektrum weitet sich aus: daraus entsteht unter Umständen eine Konkurrenz mit humanitären Organisationen, das muss im Einzelfall erwogen werden, darüber hinaus aber die Aufgaben für öffentliche Ordnung zu sorgen, also im Grunde ja eine polizeiliche Aufgabe, wenn die unmittelbare gewalttätige Bedrohung geschwunden ist."
Politik hat zu lange nicht über den Krieg geredet
Er wirft der Bundesregierung vor, die Bevölkerung zu wenig über den Einsatz in Afghanistan informiert zu haben. Die Bürger wollten wissen, warum es gut sein soll, sich in dieser Region zu engagieren, Menschenleben aufs Spiel zu setzen? Statt passende Antworten zu geben, habe sie über populäre Projekte geredet wie den Bau von Mädchenschulen. Vom Krieg zu sprechen, habe sie sich lange gescheut:
"Als es dazu kam, dass sich die Sicherheitslage auch in der Nordregion, wo die Bundeswehr eingesetzt war und noch eingesetzt ist, verschlechterte, also nach den Jahren 2005, 2006 bis 2009 - der denkwürdige Zwischenfall in Kundus, als an die hundert Zivilisten durch einen Luftangriff ums Leben kamen, die die Bundeswehr angeordnet hatte, nicht zuletzt deshalb, weil es keine Infanteriekräfte gab, es gab keine Infanteriekräfte, die man in dieser Situation einsetzen konnte, das heißt, man hat seitens der Politik die Sicherheitslage aus publikumsorientierten Gründen unterschätzt oder sogar verleugnet."
Klaus Naumann: Der blinde Spiegel
Klaus Naumann: Der blinde Spiegel© Hamburger Edition
In Afghanistan ging es nicht um Landesverteidigung, sondern um Sicherheit. Ein unscharfer Begriff. Was meint Sicherheit? Meint sie deutsche oder afghanische? Und vor allem, wann ist Sicherheit erreicht - für uns und den Hindukusch? Wenn die Arbeitslosigkeit behoben ist, genug Schulen vorhanden sind, die Polizei für Ruhe und Ordnung sorgt?
"Diese Einsicht ist grundsätzlich richtig und praktisch falsch, denn praktisch ergibt sich aus Ordnungsmaßnahmen, aus Arbeitsmaßnahmen, aus Schulaufbau alleine immer noch keine Sicherheit, denn es kommt sehr stark darauf an, ob man die Bevölkerung dort dazu kriegen kann, dazu animieren kann, diese Aufgabe in die eigenen Hände zu nehmen."
Der Militärhistoriker analysiert nicht nur den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, er weist auch auf die Schwächen der Entscheidungsträger in Deutschland hin. Von einer Politik mit vielen Worten, aber wenig guten Ideen, spricht er. Für professionelles Vorgehen in kritischen Weltlagen müsste es in Berlin ein politisches Zentrum geben, der vorhandene Bundessicherheitsrat, als Spezialausschuss des Kabinetts, reiche nicht aus:
"Dieser Sicherheitsrat ist nicht mehr als ein Koalitionsausschuss, er verfügt über keinen eigenen Apparat, das könnte man alles viel weiter ausbauen, um tatsächlich ein gemeinsames Lagezentrum zu haben, in dem nicht nur die militärische Lage, sondern die Gesamtlage von Einsatzgebieten oder Konfliktregionen koordiniert wird. Über ein solches Lagezentrum verfügt man gar nicht. Die Ministerien operieren alle vor sich hin und tragen ihr Wissen im Nachhinein zusammen. Das ist natürlich eine Katastrophe."
Internationale Politik ist vom eigentlichen Ziel weit entfernt
Andererseits gesteht er Politik und Bundeswehr durchaus Erfolge zu:
"Man kann sagen, erreicht hat man, dass die akute Bedrohung durch Al-Qaida in Afghanistan reduziert worden ist. Dass das Taliban-Regime beseitigt worden ist, dass eine alternative Struktur angeschoben worden ist - und dass regional durchaus relevante Fortschritte erzielt worden sind."
Sicherheitspolitik kann aber nicht nur darin bestehen, Projekte anzuschieben. Sehr viel werde von einem internationalen Engagement über 2014 hinaus abhängen, wenn die fremden Armeen abgezogen sind und die militärischen wie zivilen Entwicklungshelfer zurückbleiben. Und das betrifft insbesondere den Bereich der Infrastruktur, des Schulwesens und der Justiz:
"Man kann nicht Erwartungen wecken in einer Bevölkerung, die man danach alleine lässt, es muss eingebettet werden in einen größeren Maßstab, also von der Steuererhebung bis zur polizeilichen Ordnung, bis zu einer funktionierenden Rechtsprechung, die es überhaupt absichert, dass die Mädchen, die dann in die Schule geschickt werden hinterher nicht angegriffen, beschimpft oder die Lehrer, die dort unterrichten, nicht hinterher um die Ecke gebracht werden."
Weit ist die internationale Staatengemeinschaft entfernt von dem großen Ziel, mit dem sie angetreten ist - nämlich in Afghanistan eine stabile Demokratie zu errichten:
"Die Regierung ist alles andere als stabil. Man spricht in der einschlägigen Literatur von einer sogenannten Fassadendemokratie, diese Demokratie hängt in ihrer Haushaltsführung siebzig, achtzig, neunzig Prozent von auswärtigen Zuschüssen ab. Das heißt, ein inländisches, ein afghanisches Steuersystem aus dem öffentliche Aufgaben finanziert werden können, gibt es praktisch gar nicht, das heißt mit anderen Worten, ein Staatsaufbau, der selbsttragend wäre, steht nach wie vor am Anfang, ist labil."
Klaus Naumann ist eine beeindruckende Analyse gelungen. Kein leicht zu lesendes Buch, eher ein Fachbuch, alles in allem aber eine Lektüre, die sich lohnt, weil sie differenziert Auskunft gibt über die Unzulänglichkeiten des Afghanistaneinsatzes, aber auch über die Chancen, die mit dieser Mission entstanden sind.

Klaus Naumann: Der blinde Spiegel. Deutschland im afghanischen Transformationskrieg
Hamburger Edition, Oktober 2013
204 Seiten, 30,00 Euro, auch als ebook erhältlich

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