Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln und österreichischem Pass. Er berichtet regelmäßig über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien. Feroz recherchierte unter anderem die dramatischen Folgen der amerikanischen Drohnenangriffe in Afghanistan und veröffentlichte dazu das Buch "Tod per Knopfdruck: Das wahre Ausmaß des US-Drohnen-Terrors oder Wie Mord zum Alltag werden konnte".
Morde an Journalisten bedrohen die Pressefreiheit
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Mindestens acht ermordete Journalisten allein im letzten Jahr: In Afghanistan wird regelmäßig Jagd auf Medienschaffende gemacht. Nach den Tätern fragt niemand. Emran Feroz fordert die internationale Gemeinschaft auf, hier nicht tatenlos zuzusehen.
Der erste Tag des Jahres 2021 begann für die afghanische Medienszene mit Trauer. In der Provinz Ghor wurde der Radiojournalist Bismillah Adil Aimaq getötet. Die Identität der Täter blieb – abermals! – im Dunkeln. Damit wurde ein blutiger Trend fortgesetzt, der das gesamte vergangene Jahr geprägt hat. Mindestens acht Journalisten und Medienschaffende wurden 2020 in Afghanistan getötet.
Schon seit Jahren gehört der Beruf zu den gefährlichsten im Land. Wer Journalist werden will oder als solcher tätig ist, gilt als tollkühn und/oder lebensmüde. So ist zumindest die Wahrnehmung vieler Menschen innerhalb der afghanischen Gesellschaft, und die Statistik gibt ihnen recht. Wer als Reporter von außen ins Land reist, um von dort zu berichten, ist ebenso gefährdet. Wann ich das nächste Mal in Afghanistan sein werde, ist deshalb unklar. Drohungen von Unbekannten erreichen auch mich regelmäßig.
Journalisten werden von vielen Seiten bedroht: Da sind die Taliban und der IS, beiden sind freie Medien ein Dorn im Auge. Doch sie sind nicht die einzigen. Auch von staatlicher Seite wird die Jagd auf Journalisten de facto gefördert. Es gibt afghanische CIA-Milizen, die mit ihren Kriegsverbrechen nicht konfrontiert werden wollen und deshalb versuchen, jegliche Berichterstattung zu unterdrücken.
Niemand fragt nach den Tätern
Es gibt den NDS, Kabuls Geheimdienst, der mit perfiden Methoden arbeitet und gegen Dissens und kritischen Investigativjournalismus mit Gewalt vorgeht. Und obendrein gibt es auch noch Afghanistans gegenwärtigen Vizepräsidenten, der gelegentlich via Twitter versucht, Journalisten einzuschüchtern, wenn diese über zivile Opfer nach Luftangriffen der Regierung berichten.
Diese Umstände haben unter anderem dazu geführt, dass die Kabuler Regierung nach der jüngsten Mordserie an Journalisten nicht nur machtlos, sondern auch desinteressiert erscheint. Untersuchungen werden immer wieder angekündigt, doch nie eingeleitet.
Die chaotischen Verhältnisse wiederum ermutigen auch andere Akteure, etwa Warlords und kriminelle Netzwerke, Attentate durchzuführen und unliebsame Kritiker aus dem Weg zu räumen. Auch sie haben gelernt, dass hinterher niemand nach den Tätern fragt. Dies kann sich nur durch eine Intervention der internationalen Gemeinschaft ändern. Nur sie kann afghanische Journalisten beschützen und auf alle genannten Akteure Druck ausüben. Viele von ihnen werden von westlichen Staaten seit Jahren hofiert und mit Hilfsgeldern überschüttet.
So unsicher war es noch nie
Während ich trotz allem meine nächste Recherchereise vorbereite, wollen viele Kollegen das Land verlassen. Sie planen ihre Flucht, obwohl sie trotz der Widrigkeiten und Gefahren der letzten zwanzig Jahren stets in Afghanistan geblieben sind. Doch die aktuelle Mordserie erschüttert auch die dickhäutigsten Kollegen. So unsicher war es noch nie. "Komm nicht, es ist zu gefährlich!", höre ich in diesen Tagen immer wieder.
Die Sorgen sind berechtigt. Dabei sind Journalisten vor Ort und der enge Kontakt mit der dortigen Gesellschaft notwendiger denn je. Heuer wird sich der NATO-Einmarsch am Hindukusch zum zwanzigsten Mal jähren. Amerikas "längster Krieg" darf nicht vergessen werden. Dazu braucht es allerdings Journalisten, die an ihn erinnern. Wer sollte es sonst tun?