16 Schüler pro Klasse: An der American Leadership Academy sind die Studienbedingungen bestens. Doch wie sieht es im ganz normalen Bildungssystem afrikanischer Staaten aus? Darüber haben wir mit der in Nairobi lebenden Journalistin Anja Bengelstorff gesprochen. Das Gespräch können Sie hier nachhören: Audio Player
Kaderschmiede für Afrikas künftige Führer
Afrika braucht Führungskräfte, die den Kontinent voranbringen: Das ist das Credo des ghanaischen Unternehmers Fred Swaniker. An der von ihm gegründeten African Leadership Academy in Johannesburg sollen diese Personen identifiziert und ausgebildet werden.
Ein wenig peinlich ist es Mpho Montsho schon, über die Träume seiner Kindheit zu sprechen. Denn mittlerweile wirken sie auf den 20-jährigen Südafrikaner eher kleinkariert.
"Ich bin in einem Bergbauort aufgewachsen. Mein größter Traum war es, dort zwei Minibustaxis zu besitzen und eine schöne Ehefrau zu haben. Denn es gab ein entsprechendes Vorbild in der Nachbarschaft: einen Typ mit zwei Minibustaxis und einer Ehefrau, der viel Ansehen genossen hat."
Afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme
Mpho lächelt verlegen und kreuzt seine Beine. Er sitzt auf dem gepflegten Rasen des Campus der "African Leadership Academy". Als Schüler ist er hier im Lauf der letzten anderthalb Jahre auf ganz andere Vorbilder gestoßen. Afrikaner, die nicht nur reich an Einfluss und Vermögen sind, sondern sich auch als Philanthropen einen Namen gemacht haben:
"Persönlichkeiten wie Aliko Dangote, Fred Swaniker oder Strive Masiyiwa haben Außerordentliches geleistet. Sie verändern das Narrativ des Kontinents und zeigen, was alles möglich ist. Sie sind wichtige Vorbilder für uns junge Afrikaner. Wir entwickeln dadurch authentischere Ansätze, afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme."
Die Männer, die er nennt, haben die Zukunft Afrikas im Blick, vor allem die Bildung der jungen Generation. Hier an der African Leadership Academy soll die künftige Führungselite Afrikas ausgebildet werden. Denn der Mangel an erstklassig ausgebildeten, innovativ denkenden und ethisch handelnden Führungspersönlichkeiten sei das größte Entwicklungshemmnis des Kontinents, betont Akademie-Gründer Fred Swaniker:
"Niemand außer uns Afrikanern selbst wird Afrika entwickeln. Entwicklungshilfe und ausländische Investitionen können uns dabei unterstützen, aber am Ende geht es darum, was wir selbst zu Wohlstand und Stabilität beitragen. Dazu brauchen wir Führungspersönlichkeiten in unterschiedlichen Bereichen: Wissenschaftler und Forscher, die innovative Lösungen im Kampf gegen Malaria entwickeln. Politiker, die als die neuen Nelson Mandelas für Frieden, Stabilität, Demokratie und Menschenrechte sorgen. Unternehmer, die erfolgreiche Konzerne gründen: afrikanische Googles und Microsofts, die Arbeitsplätze schaffen und zum Wohlstandswachstum beitragen. Und die versuchen wir hier zu formen."
"Wir halten Ausschau nach Menschen, die anpacken"
Swanikers Augen leuchten, als er bei einem Treffen vor rund fünf Jahren von seiner Vision erzählt. Der heute 43-Jährige stammt aus Ghana, hat mit seiner Familie in diversen afrikanischen Ländern gelebt, in Stanford studiert und für McKinsey gearbeitet.
Laut Time-Magazin gehört er zu den einhundert einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt. Mittlerweile hat er auch eine Hochschule gegründet – die African Leadership University, mit Standorten in Ruanda und Mauritius. Die Studenten kommen, ebenso wie die Schüler der Akademie, aus allen Teilen Afrikas. Gute Noten sind nur ein Kriterium des Auswahlverfahrens:
"Wir halten nach Eigenschaften wie Mut Ausschau", betont Swaniker. "Denn den braucht es, um Veränderungen durchzusetzen und gegen Widerstande zu kämpfen. Ebenso wichtig ist Beharrlichkeit, denn oft ist der Weg zum Ziel lang. Dazu kommen gute Wertevorstellungen und die Leidenschaft, etwas zu verändern. Eine der Schlüsselfragen ist: Welches Problem haben die Bewerber in ihrem Heimatort gesehen und wie haben sie zur Lösung beigetragen? So trennen wir die Leute, die nur reden, von denen, die auch handeln. Jene, die nicht auf Hilfe warten, sondern selbst anpacken."
Auf dem Campus der African Leadership Academy, ist Mpho Montsho auf dem Weg zum Unterricht. Der 20-Jährige hatte über einen Freund von der Akademie erfahren. Als Musterschüler, der sich trotz begrenzter Mittel schon in jungen Jahren für andere engagiert hat, war seine Bewerbung erfolgreich. Dazu kam seine Leidenschaft für Start-ups:
"Mich hat bei dieser Akademie vor allem der Fokus auf ethisches Unternehmertum angezogen. Wir lernen nicht nur die Theorie, sondern probieren auch so viel wie möglich aus. Mich beeindruckt dabei besonders ein Mitschüler aus Tansania: Er hat eine Maschine für die Herstellung von Mauersteinen aus Plastikmüll und Sand entwickelt. So sind schon zwei Millionen Plastikflaschen recycelt worden und er selbst wurde als Redner zum Weltwirtschaftsforum eingeladen. Im Alter von 17! Es gibt hier auf dem Campus etliche studentische Start-ups. Ich selbst habe für sie eine Unternehmensberatung gegründet, damit sie noch besser und nachhaltiger arbeiten."
Praxis und Theorie sind in dem zweijährigen Kurs eng miteinander verzahnt. Dabei gibt es unterschiedliche Niveaus und Schwerpunkte für die 15- bis 22-Jährigen, je nach Vorbildung und Interesse. Am Ende verlassen alle Absolventen die Akademie nicht nur mit einem internationalen Schulabschluss und Diplom, sondern auch mit praktischer Erfahrung und vielen wertvollen Kontakten.
16 Schüler in einer Klasse statt 50 und mehr
Im einem der Klassenräume sitzen sechzehn Schüler im Kreis. Derart kleine Klassen sind hier der Standard. Kein Vergleich zu den meisten staatlichen Schulen des Kontinents, in denen oft weit über 50 Schüler in einer Klasse sitzen und die zudem meist auf Frontalunterricht setzen. Hier wird Wert auf die Entwicklung eigener Gedanken, selbstständige Arbeit und Diskussion gelegt. Das begeistert nicht nur die Schüler, sondern auch Lehrer wie Hans Sowder. Der US-amerikanische Expat gerät richtig ins Schwärmen:
"Solche Schüler hatte ich noch nie! Sie kommen aus Äthiopien, Kenia, Nigeria, Liberia, Sudan, von überall her. Trotz aller Unterschiede lösen sie gemeinsam schwierige Aufgaben. Es sind die höflichsten, enthusiastischsten und intelligentesten Schüler, die ich in meiner 30-jährigen Lehrerlaufbahn hatte."
Die finanzielle Lage der Eltern spielt dabei, anders als an den teuren Privatschulen des Kontinents, keine Rolle. Obwohl die Kosten für ein Jahr Internat mit fast 31.000 US-Dollar immens sind. Wer aus armen Verhältnissen stammt, bekommt ein Stipendium. Andere einen Teilbetrag gesponsert oder einen Studienkredit. Zu den rund 230 Schülern kommt etwa ein dutzend wohlhabender Schüler aus aller Welt, die für ein paar Monate Unterricht an der Akademie tief in die Tasche greifen. Darunter sei derzeit auch die jüngste Tochter von Bill Gates, verrät Sowder. Gates gilt als Fan der Akademie. Die Liste derart illustrer Förderer und Sponsoren ist lang: Privatleute, Unternehmen und Stiftungen aus aller Welt, darunter auch etliche aus Afrika.
"Jeder von ihnen hat sein Lieblingsprojekt. Und wenn sie sehen, dass die Schüler auch wirklich daran arbeiten, heißt es leicht: Hier sind noch mal 10.000 Dollar. Macht weiter!"
Der Kontrast zur südafrikanischen Realität vor dem Tor der Akademie könnte kaum drastischer sein. Nur ein paar Straßen weiter beginnt das Township Diepsloot. Bitterarm, überbevölkert, perspektivlos. Hier sind die Klassen so groß, dass nicht einmal jeder Schüler ein eigenes Pult hat. Aber das könnte sich ändern, wenn die Vision Swanikers wahr wird und Jahr für Jahr mehr Absolventen seiner Akademie und Hochschule Afrika in eine bessere Zukunft führen. Zentrale Voraussetzung dafür: Sie müssen ihren riesigen Kontinent erstmal kennenlernen.
Afrikanische Studien sind ein Pflichtfach an der Akademie. Auch in anderen Fächern werden deutliche Bezüge zum Kontinent hergestellt und nicht, wie an anderen Schulen, fast ausschließlich zur Geschichte und Literatur der ehemaligen Kolonialmächte. Dadurch und durch den persönlichen Kontakt untereinander, beginne man auch, sein eigenes verzerrtes Afrikabild zu hinterfragen, meint der Kenianer Trevor Langat:
"Ich erinnere mich noch an die Bilder aus meiner Kindheit, die andere afrikanische Länder gezeigt haben. Krieg und Armut - das war der Eindruck, den wir von unserem eigenen Kontinent hatten. Aber dann kommt man an einen Ort wie diesen und trifft auf einmal Mitschüler, die aus einem Land wie Sierra Leone kommen, das man bislang nur pauschal als Bürgerkriegsland kannte. Man erfährt, wie die Menschen dort mit der Situation umgegangen sind und lernt ihre Perspektive kennen. Dadurch hat sich meine Sicht der Dinge komplett verändert."
Beim Mittagessen ist der ganze Kontinent versammelt
Die vielfältige Herkunft der Schüler wird beim Mittagessen besonders deutlich sichtbar. Einige Mädchen tragen Kopftuch, andere ein Kreuz um den Hals. Hellhäutige Jungen sitzen neben dunkelhäutigen. Viele tragen die Schuluniform, andere traditionelle Kleidung. Jeder kann seine Kultur und Religion hier frei praktizieren. Junge Afrikaner aus fast allen 55 Ländern des Kontinents sind schon auf diese Schule gegangen, erzählt Trevor Langat. Dadurch wächst das panafrikanische Netzwerk:
"Seit der Gründung der Akademie 2008 sind über eintausend Absolventen in alle Welt gegangen, von New York bis Tokio, Kairo bis Johannesburg. Es gibt ehemalige Schüler, die in die Politik gegangen sind und für den Senat kandidieren. Andere arbeiten in der freien Wirtschaft. Es gibt Ärzte, Wissenschaftler und viele andere Karrieren. Es ist beeindruckend zu sehen, wie dieses Netzwerk wächst."
Der 25-Jährige ist ein ehemaliger Schüler. Dank der guten Kontakte der Akademie hat er im Ausland studiert. So wie die meisten seiner Mitschüler. Auch weil die Zahl der afrikanischen Elite-Unis begrenzt ist. Doch wie alle Absolventen ist er auf den Kontinent zurückgekehrt. Das ist eine Bedingung für die Ausbildung, die schließlich Afrika zugute kommen soll. Nach einem Jahr in Kenia arbeitet er nun auf dem Johannesburger Campus. Seine Aufgabe sind der Ausbau des Netzwerks und die Betreuung der Absolventen:
"Wir ermitteln, wer wo ist, was sie dort tun, ob sie studieren oder wo sie arbeiten. Wir machen sie auf Chancen aufmerksam, halten sie auf dem Laufenden, was im Netzwerk passiert und was sie dazu beitragen können. Wir organisieren Treffen und bieten ihnen Unterstützung an. Denn manchmal kann der Druck schon sehr groß sein, eine Führungspersönlichkeit zu sein und den Kontinent zu retten."
Der Kenianer kennt diese Momente der Überforderung aus eigener Erfahrung. Ebenso wie die multiplen Kulturschocks, die viele Schüler nach ihrem Abschluss erleben.
"Die Akademie kann wie eine Blase sein: Hier sind intelligente und dynamische Leute versammelt. Dadurch ist man für eine Weile abgeschirmt von den unerfreulichen Realitäten der Welt. Das war nach dem Abschluss nicht ganz leicht zu verdauen. Zu Beginn meines Studiums in Frankreich musste ich mich auch erst an das Leben in Europa gewöhnen. Ich hatte Afrika bis dahin nie verlassen. Bei der Rückkehr nach Kenia war es dann andersherum. Denn die eigene Sichtweise verändert sich und unterscheidet sich teils drastisch von der in der alten Heimat. Man stellt auf einmal alles Mögliche in Frage.
Das panafrikanische Netzwerk wächst
Die Gefahr, dass junge Afrikaner den Bezug zu ihren Wurzeln verlieren und schließlich die Fehler westlicher Entwicklungshilfe wiederholen, sieht er jedoch nicht:
"Hilfe oder Unterstützung für den afrikanischen Kontinent sind an sich nichts Schlechtes. Kritik gibt es nur daran, wie sie verteilt und verwaltet wird. Oft fehlt das Wissen über den lokalen Kontext oder die Bedürfnisse der Einheimischen. Außerdem wird das Verhältnis von Gebern und Nehmern kritisiert, manche Bedingungen, die an Hilfe geknüpft sind. Darüber sind wir uns bewusst. Viele von uns studieren zwar im Ausland und auch ein Großteil der finanziellen Unterstützung für diese Akademie kommt von dort. Aber als Afrikaner kennen wir die Bedürfnisse und Schwierigkeiten des Kontinents."
Für deren Lösung sei das weiter wachsende panafrikanische Netzwerk top ausgebildeter, junger Afrikaner entscheidend, betont Akademie-Gründer Fred Swaniker:
"Damit sich Afrika entwickelt, müssen wir die regionale Integration vorantreiben. So wie in der Euro-Zone. Außerdem müssen wir den Handel miteinander steigern. Dann wären wir auch nicht mehr so stark von ausländischen Investitionen abhängig. Die jungen Leute, die wir hier ausbilden und die hier Beziehungen untereinander knüpfen, werden diese Hürden sicherlich abbauen. Das kommt auch dem Frieden zu Gute: Man beginnt keinen Krieg mit seinem Nachbarn, wenn man vor 20 Jahren auf dieselbe Schule gegangen ist."
Hohe Erwartungen, die auf Schüler Mpho Montsho jedoch weniger einschüchternd als motivierend wirken. Über die Frage, ob sein Lebensziel noch immer zwei Minibustaxis und eine schöne Frau sind, kann er am Ende des Tages sogar schmunzeln.
"Es würde mich stärker interessieren, jungen Leuten zu vermitteln, dass es im Leben mehr gibt als einen Job, der die Miete zahlt, eine schöne Frau und ein gemütliches Haus. Es geht darum, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Ich hoffe, dass ich nach dem Abschluss im Juni in den USA Unternehmensführung studieren kann. Ich möchte dazu beitragen, dass in Afrika mehr junge Unternehmen entstehen, die auch dann weiter existieren, wenn sich die Gründer zurückziehen. Wenn wir uns in fünf Jahren wieder treffen, dann entweder auf dem Campus der African Leadership University oder irgendwo auf dem Kontinent, wo ich Start-ups aufbaue."