Afrika

Armut treibt zur Flucht nach Europa

Obdachlose Flüchtlinge sitzen vor einer Notunterkunft in Bangui
Obdachlose Flüchtlinge vor einer Notunterkunft in Bangui / Zentralafrikanische Republik © dpa / picture alliance / Kristin Palitza
Von Christoph Plate |
Aus Afrika fliehen Menschen nicht nur vor politischer Verfolgung, sondern vor Armut. Sie hoffen auf Europa - wie die Europäer einst auf die USA. Die EU müsse entscheiden, wie es mit der humanitären Katastrophe im Mittelmeer umgehen will, meint der Journalist Christoph Plate.
Manchmal scheint alles ganz einfach: um Flüchtlinge davor zu bewahren, im Mittelmeer zu ertrinken, solle man doch die Lebensbedingungen in Afrika erst einmal verbessern, dass sie nicht mehr kommen müssen.
Das sagen Menschen in der Union, genauso wie bei den Grünen oder in den Kirchen. Ergo, müssen Ausbildungs- und Konjunkturprogramme aufgelegt sowie Handelsregeln verbessert werden, so eine Art Marschallplan für Afrika. Damit die da unten im Süden uns endlich in Ruhe lassen.
Wer sind denn die, die da aus Afrika kommen? Sie kommen in der Regel nicht aus dem Mittelstand, so wie viele Flüchtlinge aus Syrien. Nein, viele der Flüchtlinge, die aus Afrika kommen, haben keinen Führerschein und der Flug in die Abschiebung, also zurück in die Heimat, ist oft ihre erste Reise im Flugzeug.
Mein Freund Wanaina kann nur den Kopf schütteln über die europäische Mutmaßung, Afrikas Mittelstand begäbe sich auf ein Boot. Er wuchs in Kenias Hauptstadt Nairobi auf, die Mutter ist Schulleiterin, der Vater war Versicherungsfachmann. Der Sohn hat für Coca Cola gearbeitet, für Kraft Foods zwei Jahre in Großbritannien, für Unilever hat er den türkischen Markt betreut.
Jetzt ist er Manager einer weltweit operierenden Firma für Schönheitsartikel. Wanaina wohnt in Johannesburg, hat eine südafrikanische Freundin, im Sommer besuchen sie Venedig und den Bodensee. In Europa zu leben, das täte er, wenn er es müsste, aber nicht, weil er es will.
Die meisten Menschen, die in Afrika einen Grund zur Flucht haben, laufen ohnehin erst einmal in die Nachbarländer und nicht zu uns. Sie fliehen aus dem Sudan nach Uganda, sie retten sich aus Kongo-Kinshasa nach Kenia, aus Kamerun nach Nigeria, aus Nigeria nach Ghana.
Und viele der Länder, aus denen Menschen in Afrika fliehen, haben in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit Milliarden und Abermilliarden westlicher Entwicklungshilfe bekommen: da wurden Ausbildungsprogramme aufgelegt, Budgethilfen gezahlt, Straßen gebaut. Deutsche Hilfswerke, Lehrer und Straßenbauer haben übrigens gut daran verdient.
Finanzielle Hilfe für die Eliten
Aber diese Gelder haben nicht alle Regionen, nicht alle Menschen erreicht, sondern in vielen Fällen erst einmal den Eliten geholfen. Sie haben zudem nicht verhindern können, dass Katastrophen und Kriege, politische Unfähigkeit und Korruption die Chancen für eine lichte Zukunft zunichte gemacht haben.
Deswegen müssen wir uns in Europa wohl freimachen von der Vorstellung, all jene, die aus Gambia, Kamerun oder Somalia zu uns reisen, täten dies allein aus politischen Gründen, wie beispielsweise ein Verfolgter aus Eritrea.
Nein, sie tun es auch aus dem Wunsch auf ein besseres Leben. So wie viele unserer Vorfahren nach Amerika auswanderten, weil es dort besser zu sein schien, so machen sich die Jungen aus Mali oder Gambia auf in eine Welt, in der sie auf einen Platz hoffen. Es sind sehr oft Menschen ohne formale Bildung, Leute, die einem Heilsversprechen folgen, einem Traum.
Auch die Vorstellung mancher Politiker hierzulande scheint so hübsch wie hilflos, die Leute sollten nach einem langen Weg durch die Sahara erst einmal in Nordafrika von deutschen Einwanderungsbeamten in Empfang genommen werden. Man stelle sich vor, wie die in einem failing state, einem scheiternden Staat wie Libyen, Anträge bearbeiten, während die schwarz verkleideten Männer vom Islamischen Staat ihnen dabei über die Schulter schauen.
Vielmehr ist es an uns in Westeuropa zu entscheiden, ob wir Afrikaner wollen, die kommen, weil sie von einem besseren Leben träumen. Und die Politik, die muss sich darüber klar werden, ob auch sie auch eine Flucht aus wirtschaftlichen Gründen für legitim hält.

Christoph Plate, 54, war Afrika-Korrespondent in Nairobi, dann Nahost-Redakteur der "NZZ am Sonntag" und ist heute stellvertretender Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung" in Ravensburg.




© Roland Rasemann
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