Ein Kontinent entdeckt sein Potenzial
Ein Ruf nach Revolution geistere durch die panafrikanische Debatte, beobachtet Leonie March. Junge Afrikaner wollten endlich verwirklichen, was eine korrupte Elite ehemaliger Befreiungsbewegungen nur versprochen habe: Wohlstand und Unabhängigkeit.
Der schwarze Kontinent. Lichtundurchlässig. Hoffnungslos. Dieses Bild existierte schon, bevor der Schriftsteller Joseph Conrad Ende des 19. Jahrhunderts ins "Herz der Finsternis" aufbrach. Und dieses Bild lebt nun in europäischen Köpfen wieder auf.
Kriege und Krankheiten, Armut und Perspektivlosigkeit treiben Millionen Menschen zur Flucht, darunter zigtausende, die sich bis in den hohen Norden durchschlagen. Nichts sei schlimmer als ein Leben in Afrika, könnte man meinen.
Die politische Führung des Kontinents scheint das schulterzuckend hinzunehmen. Nkosazana Dlamini-Zuma beispielsweise, die Kommissionsvorsitzende der Afrikanischen Union. Wenn Menschen keinerlei Existenzgrundlage hätten, so erklärte sie kürzlich, dann würden sie eben nicht stillsitzen, bis sie verhungerten.
Alte Eliten sind nicht mehr glaubwürdig
Ihnen einen Weg aus der Armut zu zeigen, sei ein Problem, das sich nicht über Nacht lösen lasse. Das ist sicher richtig. Konkrete Initiativen aber bleibt die Afrikanische Union wieder einmal schuldig. Ihr Schweigen ist ohrenbetäubend.
Mit gewisser Ohnmacht zückten die Europäer beim letzten EU-Afrika-Gipfel ihr Portemonnaie. Ebenso reflexartig streckten die afrikanischen Staatschefs die Hand nach dem Geld aus und versprachen im Gegenzug alles Mögliche. Glauben sollte man den alten Autokraten nichts.
Weil nämlich ausländische Finanzmittel allein kein Licht auf den schwarzen Kontinent bringen, wie einheimische Intellektuelle schon seit Jahren kritisieren. Ökonomen wie der Kenianer James Shikwati oder die Sambierin Dambisa Moyo. Politikwissenschaftler wie der Südafrikaner Moeletsi Mbeki oder der Kameruner Achille Mbembe.
Unisono fordern sie, die afrikanischen Staaten müssten sich aus der Abhängigkeit vom Westen lösen, den Handel untereinander fördern, die Barrieren einreißen und einen Wirtschaftsraum aufbauen. Herkömmliche Entwicklungshilfe sei gescheitert, weil sie keine Augenhöhe geschaffen, sondern zu einer Bettlermentalität geführt habe, auf deren lukrativem Nährboden nur die Korruption blühe.
Afrika sollte nicht länger globale Peripherie sein
Kurzum: Afrika sollte sich nicht länger als globale Peripherie verstehen.
Dieses Denken ist ein echter Lichtblick. Es setzt sich langsam durch: von den Elfenbeintürmen der Think-Tanks und Universitäten hinunter auf die Straßen, wo anhaltende Massenproteste - wie in Burkina Faso, in Kongo-Brazzaville oder in Südafrika - Vorboten eines afrikanischen Frühlings werden könnten.
Gemeinsam ist den Demonstranten, dass sie sich gegen eine Führungsschicht auflehnen, die sich hemmungslos bereichert hat, aber nichts gegen die tiefer werdende soziale Kluft unternimmt, nicht in Gesundheits- und Bildungssysteme investiert.
Sie wissen um Afrikas großes Potenzial, dem Reichtum an Rohstoffen und an Jugend. Sie sind schon lange digital gut vernetzt und informiert. Jetzt fordern sie ein, was ihren Eltern und Großeltern nach der Unabhängigkeit versprochen wurde: Freiheit, Wohlstand, Zukunft.
Ein Ruf nach Revolution geistert durch Afrika
Junge Afrikaner wollen nicht immer wieder vertröstet werden, nicht länger darauf warten, dass Entwicklungshelfer, Philanthropen oder Investoren von außen Licht auf ihren Kontinent bringen.
Ihre Generation ist den alten Befreiungsbewegungen, die ihre Macht überall zementiert haben, nicht mehr verpflichtet oder verbunden. Sie wünschen sich stattdessen fähige Politiker und Visionäre in den Regierungen, die tatsächlich das Interesse der Bevölkerung im Sinn haben.
Immer wieder geistert der Ruf nach Revolution durch die panafrikanische Debatte. Noch ist unklar, ob der Protest soweit führen wird. Doch er weckt schon jetzt Hoffnung auf eine hellere Zukunft. Vielleicht geht der Lichtstrahl, der das "Herz der Finsternis" verwandelt, ja gerade vom schwarzen Kontinent selbst aus.
Leonie March, Jahrgang 1974, lebt seit 2009 in Südafrika. Als freie Korrespondentin berichtet sie u.a. für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland und der Schweiz aus dem Südlichen Afrika. Reportagen, Analysen und Hintergründe sind ihr Markenzeichen. Zuvor arbeitete sie als Redakteurin und Moderatorin für Deutschlandradio Kultur. Sie ist Vorstandsmitglied des Netzwerks freier deutschsprachiger Auslandskorrespondenten: www.weltreporter.net