Impfen in Afrika

Wenig Bereitschaft, genug Impfstoff?

25:35 Minuten
Der kamerunische Gesundheitsminister Manaouda Malachie besucht das Zentralkrankenhaus in Yaoundé, während das Gesundheitspersonal mit dem chinesischen Sinopharm-Impfstoff geimpft wird.
Kameruns Gesundheitsminister zu Besuch: Im Zentralkrankenhaus in Yaoundé wird das Personal mit dem chinesischen Sinopharm-Impfstoff geimpft. © picture alliance / Anadolu Agency / Stringer
Von Susanne Lettenbauer · 06.01.2022
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Neun Prozent der Menschen in Afrika sind vollständig gegen das Coronavirus geimpft. So wenige wie in keinem anderen Erdteil. Die Industrieländer geben kaum Impfstoff ab, so der Vorwurf. Aber so einfach ist es nicht – zeigt etwa das Beispiel Kamerun.
Von außen wirken die gelb getünchten Gebäude der staatlichen Krankenstation im Wald von Ngoumou freundlich. Ein Steinhaus umgeben von Lehmhütten, Palmplantagen und tropischem Regenwald – mitten in Zentralkamerun.
Der einzige Arzt hier: Fridolin Mbarag, ein zuvorkommender, freundlicher Herr, der gleich im Nebengebäude wohnt. Das ist praktisch bei Notfällen und falls sich einer der Dorfbewohner gegen SARS-CoV-2 impfen lassen möchte.
„Wir sind mittlerweile in der dritten Kampagne. Ich impfe hier, aber auch in den anderen der fünf Arztstationen rund um Ngoumou. Bislang waren es hier in der Station 20 Personen, in Otéle 24 Personen. Ich würde sagen, es lassen sich immer mehr Menschen impfen, andere sind noch nicht überzeugt“, erzählt er.

"Die WHO hat ihr Ziel, dass 40 Prozent der Menschen in Afrika bis zum Jahresende 2021 vollständig geimpft sein sollten, vollständig verfehlt. Da sind die meisten Länder weit von entfernt. Im Schnitt sind es gerade mal neun Prozent. Jetzt gibt es laut Studien eine hohe Durchseuchung und Mutationen des Virus können sich entwickeln, wie bei Omikron", erklärt Ostafrika-Korrespondentin Linda Staude in dieser Podcast-Folge der Weltzeit.

Der Arzt in weißem Kittel könnte auch sagen, der Großteil hier im Wald von Ngoumou ist noch nicht gegen Corona geimpft. Dabei gibt es Impfstoff. Mbarag zeigt auf eine Ecke am Fenster. Da steht eine gräuliche Kühltasche, daneben ein Kühlschrank.
Von China gespendete Covid-19-Impfstoffe werden in eine Halle auf dem Flughafen Nsimalen in Yaoundé, Kamerun, transportiert.
Eine Lieferung Corona-Impfstoff des chinesischen Pharmaunternehmens Sinopharm sind als Spende der chinesischen Regierung für Kamerun auf dem Flughafen in Yaoundé eingetroffen.© imago / Xinhua
„Hier lagern wir die Impfdosen für die Kampagnen. Schauen Sie, hier haben wir Sinopharm, den chinesischen Impfstoff. Das hier sind andere Vakzine für Kinder. Sonst bieten wir noch Johnson & Johnson an, aber das ist derzeit aus. Wir bekommen alles aus der Hauptstadt Yaoundé“, erklärt er.

Viele Impfstoffe werden weggeworfen

Die in Europa üblichen Impfstoffe von Biontech, Moderna oder AstraZeneca sucht man in diesem Buschkrankenhaus vergebens. Der Grund: Biontech ist aufgrund der strengen Lagerungsvorschriften bei Minusgraden in den Tropen ungeeignet, Moderna gar nicht erst erhältlich und AstraZeneca nur in den Großstädten verfügbar.
Und die vorhandenen Impfstoffe müssen hier auf der Krankenstation auch oft weggeworfen werden, erzählt Mediziner Mbarag. Wenn der Strom ausfällt – für mehrere Stunden oder sogar Tage – ist er nicht mehr nutzbar. Notstromaggregate oder sogar Solaranlagen mit Stromspeichern seien zu teuer.
Hinzu kommt, dass sich am Tag oft nur eine Person impfen lässt und von den fünf möglichen Dosen einer Ampulle dann vier Dosen weggeworfen werden müssen, so der Arzt.

Man muss es eben langsam angehen. Wir sind ja dabei, die Leute davon zu überzeugen, aber es ist alles freiwillig. Ich kann verstehen, wenn jemand skeptisch ist und keine Impfung möchte, den möchten wir auch nicht dazu zwingen.

Fridolin Mbarag

Keine Angst und kaum Tote wegen Corona

Dass sich nur wenige Menschen in Kamerun impfen lassen möchten, bestätigt auch Henri Stéphane Djou. Er ist Chefarzt der nächstgrößeren Klinik in Nkolmelen. In der einst von Missionaren aufgebauten Père Urs Memorial Clinic gibt es 20 Betten samt Operationssaal und 18 Mitarbeiter.
„Die Situation mit Covid würde ich hier als sicher beschreiben, auch wenn wir unsere Anstrengungen, die Bevölkerung aufzuklären, noch intensivieren müssen. Wir wissen nicht wirklich, wie viele unserer Anwohner hier geimpft sind. Aber ich würde sagen, wir konnten bereits viele sensibilisieren dafür“, erzählt er.
Trotzdem ist die Impfquote gering hier im Landesinneren. Die empfohlenen Schutzmaßnahmen wie Abstand halten oder das Tragen von Masken werden in Kirchen oder auf den quirligen lokalen Märkten meinen Eindrücken zufolge kaum befolgt.
Es gebe keine Angst vor dem Virus, erklärt Chefarzt Djou. Hier in den Dörfern hätte es offiziell bisher auch nur drei Todesfälle gegeben. Landesweit sind es in Kamerun seit Pandemiebeginn nur knapp 1900 Tote – bei einer Bevölkerung von 26 Millionen. Im Nachbarland Nigeria sind es bei 210 Millionen Einwohnern offiziell nur 3000 Covid-Tote bisher.

Die Sache ist die, dass die meisten Infizierten keine Symptome zeigen. Für sie fühlt es sich an wie eine leichte Grippe. Es gibt keine Komplikationen, also gehen sie auch nicht ins Hospital.

Henri Stéphane Djou

Zumal ein Besuch in der Klinik Geld kostet. Also vermeiden das viele Familien in ländlichen Regionen. Viele Corona-Fälle dürften somit unentdeckt bleiben.
Außerdem ist der Großteil der Bevölkerung in Kamerun sehr jung. 46 Prozent sind unter 16 Jahren. In dieser Altersgruppe sind schwere Verläufe sehr selten – egal wo auf der Welt. Also ist die spürbare Gefahr für viele Kameruner gering. Die Notwendigkeit zur Impfung ebenso.

Forschungen zu Naturheilmitteln gegen Covid-19

Am 6. März 2020 wurde der erste Corona-Fall in Kamerun amtlich. Seitdem behelfen sich viele vor allem auf traditionelle Art.
Eine Verkäuferin sitzt hinter ihrem Stand voller Rinden von Bäumen und in Plastikflaschen abgefüllte Tränke auf den Markt von Yaoundé.
Heimische Blätter und Rinden von Bäumen werden auf dem Markt in Yaoundé als alternative Heilmittel gegen das Coronavirus angepriesen.© AFP
Auf den lokalen Märkten der Hauptstadt, aber auch auf dem Land drängen sich Bauern und Händler, um auf flachen Tischen, in großen Säcken oder auf Planen am Boden das anzubieten, was gegen eine Covid-Erkrankung helfen soll: Baumrinden, Baumsamen, Blätter und Gräser. Artemisia, afrikanisches Stinkholz, Ingwerwurzeln, Moringablätter, Baobabpulver. Als Sud in kleinen Schlucken über den Tag verteilt getrunken, als Salbe, als Tee oder als Umschlag.
In der Hauptstadt an der Universität Yaoundé laufen Forschungsvorhaben zur Wirksamkeit dieser Naturheilmittel gegen Covid-19. Als studierter Mediziner wiegelt Chefarzt Djou ab.
„Die traditionelle Medizin, die hier gegen die üblichen Krankheiten angewandt wurde, hat sich in den vergangenen Jahren verändert, durch den Einfluss der modernen Medizin“, erklärt er.
„Es gibt zwar noch viele Menschen, die darauf vertrauen, aber die Regierung sieht die Anwendung nicht gern. Ich habe nichts dagegen, wenn man damit versucht, gleich am Beginn einer Erkrankung zu heilen, aber wenn es nicht hilft, sollte man auf jeden in die Klinik kommen.“

"Derzeitige Welle nicht besorgniserregend"

Dieser Meinung ist auch der Chefarzt des Centre Médical la Cathédrale, einer großen Klinik in der Hauptstadt Yaoundé. Bei Hubert Ndjinga liegen die Coronakranken auf den Stationen. Die Situation habe sich aber merklich entspannt, beobachtet er.

Zu Beginn der Pandemie hatten wir hier viele Kranke, die zu uns in die Klinik kamen, das ist sehr viel weniger geworden, die Menschen haben sich daran gewöhnt, sie haben keine Angst mehr vor Covid. Auch die derzeitige Welle ist nicht besorgniserregend. Wir müssen sehen, welche Auswirkungen die neue Variante Omikron haben wird, aber bis jetzt gibt es noch keinen Fall in Kamerun, noch nicht.

Hubert Ndjinga

Für den Chefarzt in Kameruns Hauptstadt ist die Pandemie fast vorbei. Neue große Ausbrüche erwartet er nicht. Auch keine sich plötzlich ändernde Impfbereitschaft der Bevölkerung. Wer sich impfen lassen wollte, sei auch geimpft, ist Ndjinga überzeugt, sei es weil die eigene Firma, meist international geführt, die Impfung verlangt. Sei es, weil eine Reise nach Europa geplant ist.
Oder auch, weil die Kampagnen der Regierung doch bei einigen gewirkt haben, wie bei dieser Frau im Impfzentrum:
„Ich will mich heute impfen lassen. Das ist mein erstes Mal. Um mich zu schützen, einfach für meine Gesundheit. Ich habe mich jetzt von meiner Freundin überzeugen lassen. Ich will mein Immunsystem stärken. Ich bin dazu nicht gedrängt worden, von niemandem, das ist meine persönliche Entscheidung“, sagt er.

Zwei Prozent vollständig Geimpfte in Kamerun

Direkt gegenüber vom Zentralkrankenhaus liegt das Internationale Impfzentrum Yaoundés.
Seit dem frühen Morgen seien bereits 25 Männer und Frauen registriert worden, aber nicht nur für Covid-Impfungen, erzählt Shalom Ndoula Tchokfe. Der Chef des Impfzentrums betreut auch Kleinkinder, verabreicht Vakzine gegen Polio, Hepatitis, Dengue-Fieber, Tuberkulose oder Tetanus. Jetzt ist er als Ständiger Sekretär des Erweiterten Impfplans des Gesundheitsministeriums auch zuständig für die Koordination der landesweiten Covid-Impfungen.
„Hier in unserem Zentrum haben wir Mitte April begonnen und bis jetzt sehr viele Dosen verimpft. Das geschieht immer in enger Absprache mit dem Gesundheitsministerium. Die Nachfrage aus der Bevölkerung steigt langsam. Wir betreuen nebenbei auch Firmen und Angestellte. Es läuft sehr gut“, sagt er.
Tatsächlich hält sich der Andrang bis heute auch in der Hauptstadt eher in Grenzen. Wie im ganzen Land. Rund eine Million Impfdosen wurden bisher in Kamerun verabreicht. Somit sind etwa drei Prozent der Bevölkerung einmal und zwei Prozent vollständig geimpft. Nur wenige sehen die Notwendigkeit, sich zu impfen, weil die Coronavirus-Statistiken wenig angsteinflößend sind: in Kamerun offiziell insgesamt nur 110.000 Infizierte und knapp 2000 Tote.
Viel wichtiger für die Bevölkerung ist die sich ausbreitende Cholera in der Hauptstadt Yaoundé. Und die wieder zunehmenden Tuberkulose-Fälle. Und natürlich die Malariasaison während der Trockenzeit im Norden des Landes. Laut Zahlen des Gesundheitsministeriums sind 19 Prozent der Todesfälle Kameruns auf Malaria zurückzuführen, ebenso 48 Prozent aller Krankenhausaufenthalte.

Es gibt ausreichend Impfstoff in Kamerun

Das ist hier ein Problem – nicht Corona und schon gar nicht zu wenig Corona-Impfstoffe, betont der Leiter des Impfzentrums Shalom Ndoula Tchokfe. Impfstoff sei ausreichend vorhanden. Anders als es andere afrikanische Länder melden mögen. „Nein, nein, wir haben hier ausreichend Impfstoff, es ist genug vorhanden“, sagt er.
Regierungsmitarbeiter Tchokfe erklärt, dass die afrikanischen Länder durch die COVAX-Initiative der Vereinten Nationen Millionen Impfdosen erhalten hätten, dazu hätte China geliefert, die Afrikanischen Union hätte selbst 400 Millionen Dosen für den Kontinent gekauft und Kamerun hätte auch selbst noch zusätzliche Impfstoffe gekauft. So seien die 244 nationalen Impfzentren in Kamerun gut versrogt.
„Momentan bieten wir hier zwei Vakzine an: von Sinopharm, dem chinesischen Hersteller, und Johnson & Johnson. Die haben wir hier, die bekommt die Bevölkerung gratis. Wir haben anfangs mit AstraZeneca und Sputnik V begonnen, aber die beiden anderen Impfstoffe sind einfach besser verfügbar und immer erhältlich“, erzählt er.
Im Unterschied zu den Vakzinen der russischen und britischen Hersteller könne man sich auf die Lieferungen aus China und den USA verlassen, so der Vertreter des Gesundheitsministeriums.

NGOs fordern Aufklärung von "Covidgate"

Wer mit staatlichen Stellen des Gesundheitswesens spricht, hat auch immer die Korruptionsvorwürfe im Kopf. Kritiker bemängeln, dass Politiker zuerst bei den Impfdosen bedient hätten, dazu seien Covid-Tests von einem Ministerium an ein anderes Ministerium verkauft worden und Millionen an Hilfszahlungen seien versickert.
Der Internationale Währungsfonds hat seit Pandemiebeginn umgerechnet mehr als 300 Millionen Euro an Kamerun gezahlt, aber nur gut zehn Prozent der Covid-Hilfen wurden abgerechnet. Nichtregierungsorganisationen forderten eine Aufklärung von Kameruns „Covidgate“.
Aber im Bericht des Obersten Rechnungshofes gab es laut der Analyse einer Menschenrechtsgruppe zahlreiche Ungereimtheiten und Widersprüche. Forderungen nach Sanktionen gegenüber den verantwortlichen Behörden stehen im Raum. Korruption lähmt das Land, nicht nur in Pandemie-Zeiten.

Erhöht der Afrika-Cup die Impfquote?

Die Regierung reagiert mit verstärkten Impfinitiativen: in Zelten vor Rathäusern in Yaoundé, in Bezirkskrankenhäusern, in Behördengebäuden und vor dem Nationalmuseum der Hauptstadt. Dort stand vor Weihnachten auch ein weißes Zelt mit bunten Plastikstühlen für den schnellen Piks. Aber es bleibt leer.
Und somit bleibt das Ziel der Regierung von 40 Prozent Geimpften bis zum Afrika-Cup in weiter Ferne. Ab dem 9. Januar spielt der Kontinent in Kamerun seinen Fußballmeister aus. Zutritt für Fans nur mit vollständiger Impfung. Vielleicht erhöht das unter Fußball-Fans noch mal die Impfbereitschaft.
An Impfstoffen, der Logistik oder dem Personal fehlt es jedenfalls nicht. Hier und dort hapert es an der Lagerung vor Ort, wenn der Strom ausfällt und Kühlschränke nicht mehr funktionieren, aber vor allem mangelt es schlichtweg an der Bereitschaft.

Falschinformationen senken Impfbereitschaft

Weil die Bedrohungslage gering erscheint und weil es viel Unwissen gibt, meint Shalom Ndoula Tchokfe – der Koordinator der Covid-Impfkampagne in Kamerun:

Es gibt sehr viele Falschinformationen über das Impfen und über die Wirkungen des Impfstoffs. Man kann am Telefon gar nicht so viel berichtigen, wie an falschen Mutmaßungen existiert. Das Gesundheitsministerium und seine Öffentlichkeitsmitarbeiter versuchen, so viele Informationen zu veröffentlichen wie möglich, um die Bevölkerung von einer Impfung zu überzeugen.

Shalom Ndoula Tchokfe

In regelmäßigen Abständen laufen im Staatsfernsehen CRTV groß angelegte Kampagnen, immer vor und nach den Nachrichten. Darin wird die Bevölkerung mit freundlichen Videos über einladende Impfzentren, impfwillige Bürger und engagiert impfende Ärzte zum Mitmachen aufgerufen.
Bisher nicht mit großem Erfolg. Dieser ältere Mann vor dem Impfzentrum winkt nur ab: „Ich bin dafür schon zu alt. Ob ich nun Corona bekomme oder nicht, ich bin schon alt. Das ist eher etwas für die jungen Leute.“
Die jungen Leute auf der Straße sehen es genau umgekehrt: Weil sie noch jung seien, bräuchten sie den Impfstoff nicht.
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