Christoph Plate, 53, war Afrika-Korrespondent in Nairobi, dann Nahost-Redakteur der "NZZ am Sonntag" und ist heute stellvertretender Chefredakteur der "Schwäbischen Zeitung" in Ravensburg.
Schwarze Elite will nicht bemuttert werden
In Afrika lebt eine aufstrebende Bildungselite. Die Akademiker aus Ghana, Südafrika oder Senegal nehmen ihre Länder anders wahr als der Rest der Welt - aber Europa ist noch verhaftet im missionarischen, paternalistischen Umgang mit dem Kontinent.
In Europa wird Afrika, dieser uns am nächsten gelegene Kontinent, meist als Einheit wahrgenommen, bedürftig, zu bemuttern und arg exotisch. Der Kontinent mit 53 Staaten wird als Ganzes verstanden, und zu diesem Ganzen gehört dann das instabile Ägypten am Mittelmeer ebenso wie das boomende Mosambik am Indischen Ozean.
Dabei ist Afrikas Stärke doch seine Vielfalt. Ein Lehrer in Zimbabwe hat mit einem Kaufmann im Sudan so viel gemein wie ein Sizilianer mit einem Norweger. Dass Ebola lediglich in drei klitzekleinen Staaten Westafrikas mit angeschlagenem Gesundheitssystem ausbrach, kam so differenziert in Deutschland nicht an.
Es scheint manchmal, Afrikas größtes Problem sei die Außenwahrnehmung des Kontinents. Wie andere über ihn sprechen, das ist heute oft so paternalistisch wie vor 20, 30 Jahren, als Afrika berechtigterweise für Korruption, Hunger und Hilfsbedürftigkeit stand.
Dabei tut sich etwas, zumindest in der afrikanischen Bildungselite. Eine neue Generation doziert im Hörsaal oder führt die Geschäfte in Lusaka oder Kinshasa. Diese Menschen sind zwischen 30 und 45, westlich sozialisiert, Akademiker, die in Berlin, London, Boston studiert haben.
Die alte Leier der kolonialen Vergangenheit
Es sind Menschen, wie der junge Milton K., der in Ghana geboren wurde und in Großbritannien studierte. Er arbeitete dann als Verteidigungsexperte bei einem Strategieinstitut in Nairobi, in dessen Auftrag er heute in Pretoria, der Hauptstadt Südafrikas, sitzt.
Diesem Herrn K. passierte jüngst etwas, was charakteristisch zu sein scheint für die westliche Wahrnehmung. Bei einer Podiumsdiskussion in Berlin hörte er deutsche Experten und Politikern reden – wohlwollend, aber allgemein und missionarisch: Man müsse Afrika auf Augenhöhe begegnen, das sei ein wundervoller Kontinent, der natürlich Hilfe brauche, aber dafür sich auch selber helfen sollte, schon allein damit nicht so viele Afrikaner versuchten, mit dem Boot über das Mittelmeer zu uns zu kommen.
Ob Grüne oder Christdemokraten, viele benutzen noch heute ein Vokabular, das dem der Dritte-Welt-Bewegung der 70er-Jahre entlehnt zu sein scheint. Also aus einer Zeit, in der Milton K. gerade laufen lernte. Er also hörte die Worte der deutschen Gesprächspartner, aber er verstand sie nicht recht. Die alte Leier, dass ihm wegen der kolonialen Vergangenheit geholfen werden müsse, interessierte ihn nicht.
Nein, mit solcher Rhetorik konnte weder er etwas anfangen, noch seine senegalesische Kollegin, die neben ihm saß, ebenfalls Expertin in Fragen der Geheimdienstzusammenarbeit und der Terrorismusbekämpfung. Sie wollen lieber gleichberechtigt zur Sache reden: über neue Strategien, über Panzerlieferungen an Äthiopien, über die besten Methoden, den islamistischen Terroristen aus Somalia und Nigeria das Handwerk zu legen.
Der Weiße ist nicht mehr der "große Mann"
Diese neuen Analysten und Denker sind Politologen, Soziologen und Wirtschaftswissenschaftler, die nicht, wie ihre Väter, nach dem Studium in Europa oder Amerika blieben. Sondern sie gehen zurück nach Zimbabwe, Ghana, Senegal, Äthiopien und Kenia. Sie tun das aus Patriotismus, aber auch weil es in Südafrika, Kenia oder der Elfenbeinküste unterdessen ordentliche Verdienstmöglichkeiten gibt. Weil Afrika für diese Akademiker eben keinen Karriereknick, sondern Herausforderung bedeutet.
Diese jungen afrikanischen Akademiker haben vom Befreiungskampf ihres Landes gegen die weißen Kolonialherren bestenfalls in den Erzählungen ihrer Großeltern oder im Grundschulunterricht gehört.
Für sie ist der Weiße nicht mehr der bwana kubwa, wie man auf Suaheli sagt, der große Mann oder der Chef. Für sie ist der Weiße Partner, einer, mit dem man verhandelt, um Lösungen ringt und am Abend noch ein Bier trinken geht.
Nur in den Ministerien, den Nichtregierungsorganisationen und manchen Parlamenten in Westeuropa dominiert nach wie vor der Paternalismus, der missionarische Helferinstinkt.