Afrika

Triumph war gestern

Mit Feuerwerk und Flaggen feiern Kenianer in Nairobi 50 Jahre Unabhängigkeit
Mit Feuerwerk und Flaggen feiern Kenianer in Nairobi 50 Jahre Unabhängigkeit. © picture alliance / dpa / Daniel Irungu
Von Antje Diekhans |
Zum Jubiläum steht es nicht gut um Kenia: Der Westgate-Terroranschlag hält Urlauber fern, die Volksgruppen sind noch immer nicht zusammengewachsen. Und der Politik scheint es vor allem um Macht und Geld zu gehen.
Kenia feiert seine Helden. Militärtruppen ziehen im Stechschritt durch das Stadion in der Hauptstadt Nairobi. Die meisten in roten Uniformjacken mit dunklen Hosen. Sie paradieren vor den Rängen, die an einer Seite für alte Freiheitskämpfer reserviert sind. Viele von ihnen sind allerdings nicht mehr gekommen. 50 Jahre nach der offiziellen Unabhängigkeit von Großbritannien am 12.12.1963 lichten sich die Reihen der Heroen.
Ein Kinderchor besingt den ersten Präsidenten Jomo Kenyatta. Über Bildschirme flackern Fotos, die ihn in Siegerpose zeigen. In Kenia sind diese Bilder in den Schulbüchern zu sehen. Auch wer damals noch nicht auf der Welt war, kennt sie.
Ein Mann: “Ich war noch jung und kann mich an nichts erinnern. Aber meine Eltern haben mir viel von unserem ersten Präsidenten erzählt."“
Eine Frau:“Ich kenne vor allem seine berühmte Rede, als er sich zum ersten Mal an die Nation wandte. Als er Harambee sagte und damit meinte, dass wir alle ein Volk sind."
Während viele in Erinnerungen an alte Zeiten schwelgen, fährt Kenyatta Junior mit großem Tamtam ins Stadion ein. Sein offener Wagen ist der erste in einer ganzen Kolonne dunkler Limousinen und Land Rover. Staatsmännisch winkt Uhuru Kenyatta zu den Rängen hinauf. Er dreht eine Ehrenrunde, bevor er über einen roten Teppich zur Rednertribüne schreitet. Seit Anfang dieses Jahres ist er Präsident und tritt damit in die Fußstapfen seines Vaters.
“In diesem Jahr sieht unsere Republik ein goldenes Jubiläum. Wir wollen die Unabhängigkeitsfeiern begehen, indem wir uns an unsere Triumphe erinnern und über weiteren Fortschritt nachdenken."
Uhuru Kenyatta hat in den vergangenen Monaten schon viel über Kolonialismus geredet - meist im Zusammenhang mit einem Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, dem er sich stellen soll. Im Prozess geht es um die Unruhen in Kenia nach den Wahlen vor sechs Jahren. Damals waren mehr als 1000 Menschen getötet worden. Lange schwelende Konflikte zwischen den Volksgruppen brachen sich Bahn. Vor allem Kikuyu und Luo gingen aufeinander los.
Kenyatta wird vorgeworfen, die Auseinandersetzungen angestachelt zu haben. Doch er versucht, sich dem Prozess zu entziehen. Er fährt eine Kampagne gegen das Gericht und stellt es als neues Instrument dar, Afrika zu unterwerfen. Auch den Tag der Helden nutzt er, um diese Sichtweise zu verbreiten.
"Unsere Vorfahren haben Kolonialismus und imperiale Vorherrschaft abgelehnt. Wir müssen ihr Vermächtnis ehren und uns den Kräften entgegenstellen, die uns wieder zurückwerfen wollen. Sie mögen mächtig und reich sein - aber das waren auch die Kolonialisten. Genau wie wir damals gesiegt haben, müssen wir auch jetzt siegen. Das ist die Aufgabe für alle Kenianer und alle Menschen in Afrika.”
Verschärfter Tonfall im Umgang mit Europa
Die kenianische Regierung hat den Tonfall im Umgang mit den europäischen Ländern verschärft. Kenyatta Junior spricht von einem neuen afrikanischen Selbstbewusstsein. Kritiker befürchten, dass er die Grundlage für ein autoritäres Regime legt und dabei alle Gegner mundtot machen will - egal ob im Ausland oder in Kenia selbst.
Eine Gruppe Demonstranten zieht durch die Innenstadt von Nairobi. Alle sind Journalisten - für Zeitungen, Radio, Fernsehen. Sie tragen Plakate, auf denen "No Mr. President“ steht. Einige haben sich den Mund zugeklebt, andere fordern lauthals Medienfreiheit.
Sie protestieren gegen ein neues Gesetz, das vom kenianischen Parlament verabschiedet wurde. Es soll eine Medien-Aufsichtsbehörde eingesetzt werden, die drakonische Strafen verhängen kann, erklärt Aktivist Boniface Mwangi.
"Einzelne Journalisten sollen Bußgelder von 6000 Dollar zahlen, wenn sie für schuldig befunden werden, etwas Falsches geschrieben zu haben. Darüber entscheidet ein Tribunal, das von Kenyatta eingesetzt wird. Der Präsident will so verhindern, dass die Medien die Wahrheit schreiben.“
Der 30-Jährige ist ein mehrfach ausgezeichneter Fotojournalist. Während der Unruhen nach den Wahlen 2007 in Kenia machte er Bilder, die weltweit gedruckt wurden. Schonungslose Aufnahmen der Gewalt und Verzweiflung. Aber Boniface Mwangi will nicht nur dokumentieren, sondern selbst in die Geschehnisse eingreifen. Seit Kenyatta Junior an der Macht ist, organisierte er mehrere Proteste gegen die Regierung - und trug die Konsequenzen.
"Ich bin zweimal festgenommen worden – oder genauer gesagt dreimal, in zwei Fällen wurde ich geschlagen. Es laufen im Moment noch Gerichtsverfahren gegen mich.“
Er lässt sich nicht einschüchtern und fordert auch an diesem Tag das Recht ein, protestieren zu dürfen.
Die Kenianer haben schon einmal Zeiten erlebt, in denen es gefährlich war, offen die Meinung zu sagen. Bis 2002 regierte Daniel arap Moi, der zweite Präsident des Landes, mit eiserner Hand. Er schaltete Gegner aus und sperrte sie in die berüchtigten Folterkammern, die auch heute noch unter einem Regierungsgebäude in der Innenstadt liegen. Die Zeitungen waren Staatspostillen. Boniface Mwangi befürchtet: Mit Kenyatta könnte sich vieles wiederholen.
"Wir fallen zurück in dunkle Zeiten. Die 90er-, 80er-Jahre, als Moi alles bestimmt hat. Auch Uhuru Kenyatta will zum Alleinherrscher werden. Aber wir werden das nicht zulassen."
"Keine Belagerung mehr“ skandieren die Demonstranten - Worte, die auch vor einigen Wochen benutzt wurden, als Kenia ein Trauma durchlebte. Im September überfielen Terroristen das Einkaufszentrum Westgate in Nairobi. Ein Shopping-Paradies für die Gutbetuchten im Land. Auch viele Mitarbeiter der Vereinten Nationen und Botschaftsangestellte verkehrten hier. Der Schock über den Anschlag hält für viele bis heute an.
Samstag, 21. September. Um die Mittagszeit sind die ersten Schüsse zu hören. Blutüberströmte Menschen rennen in Panik aus der Shopping Mall. Auf den Terrassen der Cafés liegen Tote.
Ein Überlebender: "Überall wurde geschossen. Es hörte einfach nicht auf. Wir haben uns in der Umkleidekabine in einem Laden versteckt, bis jemand gesagt hat, dass wir rauskommen können.“
Zwei Leute tragen einen Verwundeten aus der Westgate-Shopping Mall in Kenia, Nairobi, am 21 September 2013.
Ein Verwundeter wird aus der Westgate-Shopping Mall in Nairobi getragen.© picture alliance / dpa / Daniel Irungu
Eine Frau, die überlebt hat: "Kunden, Angestellte - so viele Menschen sind getötet worden. Ich habe direkt gesehen, wie jemand erschossen wurde."
Schwer bewaffnete Terroristen haben das Zentrum gestürmt. Sie schießen um sich und werfen Granaten. Schnell ist klar, dass sie zur radikal-islamischen Shabaab-Miliz aus dem benachbarten Somalia gehörten. Ein Sprecher der Islamisten meldet sich zu Wort.
"Wir haben das Einkaufszentrum angegriffen, weil Kenia die Waffen gegen uns erhoben hat. Die Kenianer sind unsere Feinde. Wir werden sie treffen, wo immer wir können.“
Etwa zwei Jahre zuvor waren kenianische Truppen in Somalia einmarschiert, um die dortige Regierung im Kampf gegen Al Shabaab zu unterstützen. Seitdem drohten die Islamisten mit schweren Anschlägen in Nairobi. Der Angriff auf das Westgate ließ die schlimmsten Befürchtungen Realität werden.
Die kenianische Regierung schickt außer einer Spezialeinheit der Polizei auch das Militär. Panzer rollen vor der Shopping Mall auf. Hubschrauber kreisen in der Luft. Doch auch die Soldaten scheinen gegen die Terroristen nicht viel ausrichten zu können. Viele fürchten um das Leben ihrer Angehörigen, die noch im Westgate sind. Präsident Uhuru Kenyatta sagt, die Einsatzkräfte sollten kein Risiko eingehen.
"Ich bin mir bewusst, dass viele ungeduldig werden. Natürlich wollen wir die Situation bald klären. Aber ich bitte um Verständnis, wenn das nicht so schnell geht."
Doch das Verständnis nimmt ab, je deutlicher wird, dass der Einsatz im Westgate schief geht. Der kenianische Innenminister verkündet mehrfach ein Ende des Angriffs - jedes Mal sind kurz darauf wieder Schüsse aus der Mall zu hören. Die Angaben zu Geiseln und Vermissten sind konfus. Es ist unklar, wie viele Terroristen im Zentrum sind und ob einige von ihnen entkommen konnten. Viele dieser Fragen stellen sich die Kenianer noch bis heute. Der Geschäftsmann Permod Malhotra hatte einen Laden im Westgate.
"Die Regierung und die übrigen Behörden haben ein großes Durcheinander angerichtet. Niemand sagt uns, wie viele Menschen umgekommen sind, wie viele noch vermisst werden und wie viele Terroristen dabei waren. In der Regierung erzählt jeder ständig etwas anderes."
Neues Mediengesetz nach unliebsamen Veröffentlichungen zum Anschlag
Die Zahl der Toten wird offiziell mit 67 angegeben. Darunter viele Kenianer, aber auch Briten, Franzosen, Niederländer, Australier. Auch von den Einsatzkräften wurden einige getötet - die Frage ist von wem. In der Mall kam es zum Streit zwischen Polizei und Militär. Sie sollen aufeinander gefeuert haben. Als Material aus Überwachungskameras veröffentlicht wird, kommt noch Unglaublicheres ans Tageslicht.
Die Aufnahmen zeigen, wie Soldaten mit vollen Plastiktüten aus einem Supermarkt kommen. Sie stecken Handys ein. Auf Fotos sind außerdem die Tresen der Cafés und Bars zu sehen, auf denen sich leere Bier- und Schnapsflaschen drängen. Alles deutet auf ein Gelage der Soldaten hin. Sie tranken und plünderten. "Wölfe im Westgate“ heißt die Dokumentation im kenianischen Fernsehen.
Die Veröffentlichungen sind der Auslöser für das neue Mediengesetz. Die Regierung will unter Verschluss halten, was im Westgate geschah, sagt Benji Ndolo von einer Organisation, die mehr Rechte für das kenianische Volk einfordert.
"Es war eine große Katastrophe. Sie zeigt, dass alles bei uns auf tönernen Füßen steht. Die Sicherheitskräfte machen ihre Arbeit nicht. Das Land ist auf so einen Angriff von Terroristen überhaupt nicht vorbereitet."
Der Aktivist ist bei der Demonstration gegen das Mediengesetz dabei. Als die Journalisten zum Parlamentsgebäude ziehen, treffen sie auf eine andere Gruppe. Etwa 50 Frauen und Männer in einfacher Kleidung. Sie kommen vom Land und sind extra in die Hauptstadt gereist, um zu protestieren.
Tabitha Joseph: “Wir sind von unserem Land vertrieben worden. Jetzt campieren wir in einem ausgetrockneten Flussbett.“
Die Siedler lebten seit rund 20 Jahren auf einem Landstück östlich von Nairobi. Jetzt will dort eine Universität neue Gebäude hochziehen. Die Hütten waren im Weg.
"Unsere Häuser wurden niedergebrannt. Wir haben überhaupt nichts mehr. Keine Kleidung und nichts zu essen. Auch unsere Kühe haben sie uns genommen.“
Kenias Präsident Kenyatta (rechts) mit Vizepräsident Ruto
Kenias Präsident Kenyatta (r.), hier mit Vizepräsident Ruto, möchte sich dem Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof entziehen.© picture alliance / dpa / Daniel Irungu
Die Landfrage ist eins der größten Probleme in Kenia. Die Hoffnungen der Menschen, nach der Kolonialzeit endlich wieder selbst Grund und Boden ihr Eigen nennen zu können, haben sich zerschlagen. Große Landstriche gehören den Familien der früheren Präsidenten. Über die Kenyattas heißt es nur halb scherzhaft, sie hätten sich halb Kenia angeeignet. Eine neue Verfassung, die für mehr Gerechtigkeit sorgen sollte, wird nicht umgesetzt. Häufig haben mehrere Parteien Anspruch auf dasselbe Grundstück. Es setzt sich der durch, der am meisten Schmiergeld zahlen kann. Die Korruption in Kenia zieht sich durch die gesamte Politik und Verwaltung.
Benji Ndolo: "Es ist eine teuflische Abart. Die Politiker lassen sich wählen, um sich die Taschen voll zu machen. Es stört sie nicht, dass viele ihrer Wähler hungern und keine Arbeit haben."“
Die Bilanz des Aktivisten Benji Ndolo nach 50 Jahren Unabhängigkeit fällt düster aus.
"Es ist schon ironisch, denn Kenyatta Senior hat für vieles, was in Kenia falsch läuft die Grundlage geschaffen. Jetzt macht der Sohn weiter. Da kann man sich schon fragen, ob für Kenia überhaupt Hoffnung besteht. Es gibt keinen Grund zum Feiern."
Zum Jubiläum deutet einiges auf Rückschritt statt auf Fortschritt. Der Terroranschlag auf das Westgate hat die Urlauberzahlen einbrechen lassen. Kenia scheint als Ziel für Safari und Strandferien nicht mehr sicher. Der ausstehende Prozess gegen den Präsidenten vor dem Internationalen Strafgerichtshof macht diplomatische Beziehungen schwierig. Die mehr als 40 Volksgruppen sind noch immer nicht zu einer Nation zusammengewachsen. Vieles, worauf die Freiheitskämpfer vor 50 Jahren hofften, ist nicht eingetreten.
Am Unabhängigkeitstag sitzen die Helden von damals wieder auf der Tribüne. Ihr größter Anführer, Dedan Kimathi, war von den Kolonialherren gehängt worden. Aber seine Witwe verpasst die Feierlichkeiten nicht, auch wenn sie Schwierigkeiten hat, sich lange auf den Beinen zu halten. Die alte Dame ist stolz auf das freie Kenia. Doch für die nächsten Jahre hat sie einen großen Wunsch.
“Wir sollten in Kenia endlich vereint sein und damit aufhören, uns als Luos, Kikuyus oder Kalenjin zu sehen. Wir müssen damit aufhören, uns gegenseitig zu bekämpfen.“
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