Afrikanisches Design

Wolkenkratzer aus Wellblech

Der kenianische Künstler Cyrus Kabiru mit außergewöhnlicher Brille.
Der kenianische Künstler Cyrus Kabiru zeigt außergewöhnliches Design im Rahmen der Ausstellung im Vitra Design Museum © AFP / Carl de Souza
Von Johannes Halder |
Afrikanisches Design bringt Kunst, Utopie, Gesellschaftskritik und praktische Anwendung zusammen. Einige bedeutende Exponate sind derzeit im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen. Besonders die Materialien haben es in sich.
Das Ding hat die Form eines Ziegelsteins und heißt auch so: BRCK. Die robuste Box ist ein Internetmodem mit einer Batterie, die acht Stunden hält – ideal für eine Gegend, in der elektrischer Strom nicht selbstverständlich ist. Entwickelt wurde das Gerät in Kenia, und Juliana Rotich vom Designerteam Ushahidi in Nairobi ist stolz, dass es bei Krisen und Katastrophen in aller Welt zum Einsatz kommt. "Bei Ushahidi machen wir einen Witz", sagt sie. "Wenn es in Afrika funktioniert, dann wird es überall funktionieren."
Aus der Not kann Innovation entstehen. Dennoch ist Afrika eine Art Sonderzone im globalen Kreativbetrieb. Eine Sache, die die afrikanischen Volkswirtschaften ruiniert, ist der Massenimport von Billigware, nicht nur im Textilbereich. In diesem Kontext gewinnt das "making", das Selbermachen, eine politische Dimension, sagt die Kuratorin Amelie Klein:
"Das Machen ist ein Widerstand gegen die Bequemlichkeit und das Selbstverständnis der industriellen Massenproduktion."
Afrika ist anders, und gebrauchsfähiges Produktdesign sucht man hier fast vergebens. Design ist eher eine Art zu denken, ein Begriff zwischen Kunst, Utopie, Gesellschaftskritik und praktischer Anwendung. Und Afrika hat eine andere Materialkultur.
"Das Interessante ist, und das ist etwas, das kennen wir so nicht in Europa: Gebrauchtes Material wird einfach nur als Material verstanden. Und das müssen wir lernen. Wir müssen beginnen zu begreifen, dass es eine Ressource ist."
Die praktische Bedeutung des Mülls
Müll als Material, Recycling als Rettung. Gleich im ersten Raum sorgen die bizarren Brillenobjekte, die der Kenianer Cyrus Kabiru aus Altmaterial fertigt, für einen neuen Blick auf den Kontinent, weg von der ethnologischen Perspektive. Ein Designer aus dem Senegal flicht recht bequem anmutende Kanapees aus wulstig verschlungenen Autoreifen, und ein Kollege aus Ghana entwirft aus Schraubverschlüssen faszinierende Wandteppiche, die auf dem Kunstmarkt hoch begehrt sind.
Und immer wieder begegnet man dem Rückgriff auf afrikanische Traditionen. Gonçalo Mabunda aus Maputo verschweißt verrostete Schusswaffen aus dem Bürgerkrieg seines Heimatlandes Mosambik zu martialischen Thronsesseln, die an die Häuptlingsstühle schwarzer Clanchefs erinnern.
Freilich sind das alles funktionslose Einzelstücke, die nur selten als Muster für eine industrielle Massenproduktion taugen. Aber, gibt die Kuratorin zu bedenken:
"Was ist Massenproduktion, was ist ein Einzelstück in einer Zeit, wo wir auf Knopfdruck Millionen Einzelstücke mit Algorithmen produzieren können? Oder Funktion. Ist es nicht auch eine Funktion, Fragen zu stellen oder Emotionen zu wecken, etwas was klassischerweise der Kunst nur zugestanden wird? Oder Kritik zu üben. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir funktionsloses Design haben, weil wir Innovation brauchen. Und Innovation passiert nun mal nicht in der Masse. Das ist einfach ein Fakt."
Afrikas Einfluss auf die Textilkultur der Welt
Auch viel Mode gibt es hier zu sehen. Afrikas Einfluss auf die Textilkultur der Welt ist legendär. Zwischen Exotik und Experiment sind auch die zahlreichen Beispiele aus dem architektonischen Bereich angesiedelt. Mit den Mitteln digitaler Bildmontage türmt Justin Plunkett aus Johannesburg fotografische Bruchstücke südafrikanischer Großstädte zu halsbrecherischen Wellblech-Wolkenkratzern – vertikale Slums gewissermaßen, die urbane Lebensräume ironisch hinterfragen. Überhaupt muss man ja staunen:
"Wie funktioniert so eine afrikanische Stadt? Da gibt's keine offizielle öffentliche Verkehrsplanung zum Beispiel. Dennoch gibt es riesige Flotten an Kleinbussen, die diese Städte navigierbar machen. Das ist alles selbstorganisiert, sehr organisch und sehr effizient. Und man fragt sich: Das darf doch eigentlich nicht funktionieren, das kann doch gar nicht funktionieren. Warum funktioniert es trotzdem?"
Eine Art Schwarmintelligenz ist da am Werk, scheinbar chaotisch, aber effektiv. "Informelles Design" nennt man das, und es ließe sich mit digitaler Technik gewiss noch perfektionieren. Gerade die Informationstechnologie nämlich, so glauben viele Designer, biete dem postkolonialen Afrika eine zweite Chance.
Es liegt in der Natur dieser sehenswerten Ausstellung, dass sie zweckoptimistisch argumentiert. Afrika, so die Botschaft, ist auf dem Sprung in die Zukunft. Dabei ist der schwarze Kontinent längst schon wieder kolonisiert, in Teilen durch islamistische Terrormilizen besetzt und wirtschaftlich im Griff von Rohstoffgiganten, Internetkonzernen und korrupten Regierungen. Diesen Zwiespalt löst die Schau nicht auf, sondern setzt auf Zuversicht. Amelie Klein:
"Es ist mir wichtig, dass man begreift, dass wir es hier mit einem Kontinent zu tun haben, der nicht in Not ist unbedingt nur, sondern auch viel zu bieten hat."
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