Agententhriller aus Ost und West
Gerade in der Ära des Kalten Krieges waren Spionagefilmen sowohl dies- als auch jenseits der Mauer besonders populär. Mit "The Celluloid Curtain", "Der Eiserne Vorhang auf Zelluloid" widmet das Goethe-Institut diesem Genre eine Filmreihe im Deutschen Historischen Museum.
Liane von Billerbeck: Die beiden Kuratoren der Filmreihe des "Celluloid Curtain" sind jetzt bei uns zu Gast, Oliver Baumgarten und Nikolaj Nikitin, und die haben die Dialoge hier gerade mitgesprochen, so gut kennen sie die Filme. Herzlich willkommen!
Oliver Baumgarten und Nikolaj Nikitin: Ja hallo, vielen Dank!
von Billerbeck: Es gibt ja ein paar Filmtitel, die einem relativ schnell in den Kopf kommen, wenn man an Spionagefilme aus dieser Zeit denkt, die sind eben in dem Beitrag auch schon gefallen: "Der Spion, der aus der Kälte kam", "For eyes only" oder "Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse", und natürlich der Dauerbrenner "James Bond", den Sie aber nicht mit im Blick hatten. War der einfach zu unterhaltsam, zu bekannt, oder weshalb ist "James Bond" bei Ihnen nicht dabei?
Baumgarten: Ja, wir haben uns tatsächlich ganz bewusst entschieden, "James Bond" auszulassen. Nichtsdestotrotz kommt "James Bond" natürlich immer wieder vor in den Filmen und in unserer Reihe, sei es durch direkte Zitate zum Beispiel in dem spanischen Beitrag, den wir haben, da wird wirklich wortwörtlich auf "James Bond" auch referiert. Viel mehr ist es aber so, dass wir das gemacht haben, weil wir dachten, James Bond ist wirklich der Prototyp des Agenten, wie man ihn kennt, und wir wollten einfach davon ausgehen, dass den jeder kennt, und viel interessanter waren nun die Variationen, die sich wie gesagt alle mehr oder weniger auf "James Bond" beziehen. Aber die waren dann doch insgesamt für uns eigentlich spannender.
von Billerbeck: Um mal bei den Kriterien zu bleiben: Welche Zutaten gehören denn so zum Grundrezept eines Spionagefilms, Nikolaj Nikitin?
Nikitin: Na ja, es ist immer gerade zu der Zeit natürlich der Transit zwischen Ost und West, was sehr interessant ist und in unseren Augen viel zu dem Erfolg der Filme auf beiden Seiten dazu beiträgt. Also die klassische Situation, sagen wir mal im Osten: Man hat einen gut trainierten, klugen Agenten, er geht in den Westen, sehr oft hat man dieses Deep Undercover, was wir schon von Jack Bauers aus "24" kennen, das heißt, er verliert wirklich seine eigene Identität, schleicht sich ein in eine Gesellschaft, bekommt das Vertrauen, bekommt eine starke Position, eine gute Anstellung, und dadurch kann er eben sehr erfolgreich und sehr gut für sein Land spionieren, indem er an zahlreiche wichtige Informationen kommt und diese weiterleitet. Damals geht natürlich vor allem um Information, in fast allen Filmen geht es um irgendwelche geheimen Formeln oder um irgendwelche geheimen Pläne, oft ist aber der Inhalt gar nicht so richtig bekannt oder spielt keine Rolle. Es gibt ja von Hitchcock diesen schönen MacGuffin, also diesen Begriff für irgendwas, was irgendwie geheimnisvoll ist, für irgendeinen Koffer, wo irgendwas drin ist, wo gar keiner weiß, was da drin ist, was aber auch überhaupt keine Rolle spielt, weil es geht dann wirklich nur darum, diese Information zu bekommen oder eben diesen geheimnisvollen Koffer an sich zu bringen.
von Billerbeck: Oliver Baumgarten, Sie haben sich beide ja sicher eine ganze Menge Filme angesehen, um diese Reihe zu kuratieren. War da anfangs auch eine ganze Menge Mist dabei, sage ich mal, Ausschuss, weil man ja auch gemerkt hat, dieses Genre, das ist beliebt, da kann man alles Mögliche dem Publikum in Ost wie West anbieten?
Baumgarten: Ja, also ganz sicher, vor allem, wenn man natürlich sich die westeuropäischen Filme anschaut, dann ist dort zu 80 Prozent der Filme … Sagen wir mal so, 80 Prozent der Filme sind nicht im klassischen Sinne cineastische Highlights, sondern man muss sich vorstellen, dass zwischen 1962 und 1969 alleine in den westeuropäischen Staaten also bewiesenermaßen 600 bis 700 Filme gedreht wurden. Das war eines der beliebtesten Genres überhaupt. Also es war so, dass wirklich wöchentlich in Europa zwei bis drei dieser Filme in den Kinos gestartet sind, die sehr, sehr schnell, sehr billig produziert wurden, und im Grunde alle nur auf die Aktion, auf die Unterhaltung abzielten. So gesehen ist ein großer Teil davon natürlich, na ja, als Ausschussware zu bezeichnen. Wobei wir einen dieser Filme natürlich auch mit ins Programm genommen haben, denn ohne dass man diesen "Erfolgs-Edeltrash", in Anführungszeichen, dieses Genres zeigt, hat man das gesamte Genre nicht dargestellt.
von Billerbeck: Filme waren ja immer auch Teil der ideologischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Systemen, nicht erst in den Zeiten des Kalten Krieges, aber dann ganz besonders. Wie dicht waren sie denn am Propagandafilm?
Nikitin: Also bei den Ostfilmen muss man sagen, manchmal zu dicht oder übers Ziel hinaus dicht. Es gibt diesen wunderbaren Beitrag, den wir haben, "Skvorets and Lira" aus der Sowjetunion, 1974 fertiggestellt sollte er ins Kino kommen, wurde zurückgezogen, damals hieß es, ja die Macher, vor allem die Hauptdarstellerin Lyubov Orlova, ein Riesenstar in den 30er-, 40er-Jahren, sollte eigentlich eine 30-Jährige spielen, war damals schon 70, hätte gesagt, sie will das nicht, das ist ihr irgendwie, sie fühlt sich da nicht gut dargestellt und auch der Regisseur wäre nicht zufrieden mit dem Film. Gut 30 Jahre später kam angeblich der eigentliche Grund heraus, und zwar 74 gab es ja auch, wie wir alle wissen, die Guillaume-Brandt-Affäre, und es hat aber auch das Tauwetter eingesetzt. Also nach Stalins Tod hat ja Breschnew eine Entspannungspolitik …
von Billerbeck: … 73 war Helsinki auch schon, Helsinki-Prozess …
Nikitin: … so zum Westen gehabt, und man wollte eben nicht quasi in einem Film eine Vorgehensweise von Spionen zeigen, die der Realität entsprach. Also das, was im Film dargestellt worden ist – zwei Sowjetagenten gehen nach Deutschland und machen im Grunde das, was Guillaume gemacht hat –, da haben wohl die Mächtigen gesagt, das passt nicht in die Zeit der Entspannung, wir wollen nicht, dass unsere Agenten so dargestellt werden, also lasst uns mal den Film zumachen. Er lief damals nie, erst 89, nach der Perestroika, kam er im Fernsehen, und es ist jetzt wirklich das erste Mal, dass er überhaupt im Ausland im Kino gezeigt wird.
von Billerbeck: Oliver Baumgarten und Nikolaj Nikitin sind bei uns zu Gast. Im Auftrag des Goethe-Instituts haben sie die Reihe "The Celluloid Curtain", "Der Eiserne Vorhang aus Zelluloid" quasi, kuratiert. Oliver Baumgarten, Sie haben sich vor allen Dingen mit den westeuropäischen Filmen beschäftigt. Was war da Propaganda?
Baumgarten: Also der westeuropäische Agentenfilm transportiert natürlich vor allem auch Werte, und das sind natürlich ganz in erster Linie westliche Werte, und das sind Werte des Kapitalismus, die dort transportiert werden. Denn die Figur des westlichen Agenten – nehmen wir jetzt mal James Bond, weil den kennt jeder –, der fährt in den teuersten Autos und bewegt sich in exotischen Ländern, das war damals in den 60ern durchaus nicht üblich, dass man diese exotischen Länder kannte. Das heißt, jeder träumte davon, die hatten alle Geld, waren in Smokings gekleidet, auf tollen Partys gewesen. Das heißt, im Grunde genommen hat der westeuropäische Agent ein Leben vorgelebt, wie es der Durchschnittskapitalist sicherlich in seinen Träumen immer erstreben würde. Und da er ja immer unsere Sympathiefigur war oder ist, heißt das ja auch, dass wir uns mit diesen Werten identifizieren. Und das schwang natürlich in diesen Filmen mit. So gesehen ist diese Ideologie auch in den westeuropäischen Filmen immer spürbar.
von Billerbeck: So ein Film steht und fällt ja mit der Figur des Agenten. Wie haben sich die denn in West und Ost unterschieden, was waren das für Typen, die Ost- wie die Westagenten in der Zeit des Kalten Krieges?
Nikitin: Also man muss sagen, dass der Ostagent vielleicht viel härter war, viel enthaltsamer war. Also er ist halt eben in diesem, wie beschrieben, dekadenten Westen gegangen, hat diese ganzen Partys mitgemacht, hat sich aber nie vom Weibe locken lassen oder vom Alkohol in einen Zustand bringen lassen, wo er nicht mehr unter Kontrolle war. Das heißt, er hat immer mitgefeiert, hat immer mitgemacht, hat sich dann aber im entscheidenden Augenblick zurückgezogen und hat diese Mission erfüllt. Und ich glaube, dieses …
von Billerbeck: … und hat die Whiskeys immer in die Blumentöpfe gegossen …
Nikitin: … genau, das gibt es auch tatsächlich in dem einen oder anderen Film, und das Interessante dabei ist: Natürlich konnte damit dem Ostzuschauer auch sagen wir mal legitim dieser dekadente Westen gezeigt werden, was glaube ich auch viel vom Erfolg im Osten dieser Filme ausgemacht hat. Man konnte wirklich über die Mauer irgendwie sehen, man konnte das sehen, was da so Schlechtes stattfindet, das genießen. Zum Schluss kam aber natürlich ganz deutlich dann auch die Einstellung, das ist alles schlecht, das ist alles böse, unser guter Agent überlebt. Genau so hat es aber natürlich andersrum funktioniert. In vielen Westfilmen wird natürlich der verwahrloste Osten gezeigt. Also dieser Blick durch die Mauer hat in beide Richtungen interessiert, und ich glaube, hat auch zum Teil zum wahnsinnigen Erfolg dieses Genres beigetragen.
von Billerbeck: Sind denn die Agenten, die Darsteller der Agenten, genauer gesagt, immer Stars gewesen? Oder sind die dadurch, dass sie Agenten gespielt haben, dann später Stars in ihren Ländern geworden?
Baumgarten: Ich denke, das gab es sowohl als auch. Also wenn ich jetzt zum Beispiel an den ungarischen Beitrag denke, "Fotó Háber", da ist der Hauptdarsteller beispielsweise ein großer Star gewesen, und er war so was wie der Superstar des ungarischen Kinos in den 60ern und 70ern. Dann wiederum in den westeuropäischen Ländern hat dieses Genre tatsächlich eben auch die eigenen Stars produziert, also gerade in diesen etwas eher billigeren Pulp-Fiction-Verfilmungen. Also so Leute wie Rodger Brown, das sind so Schauspieler, die kennt man heute gar nicht mehr, die sind vielleicht auch jetzt nicht am höchsten Punkt der Kunst anzusiedeln, aber sie waren eben Typen und die waren damals gefragt und waren damals wirklich extrem beliebt. So gesehen hat dieses Genre auch eigene Stars immer produziert.
von Billerbeck: In Berlin wird ja die Filmreihe, wie vorher in London auch, von Diskussionen begleitet. Und eine Frage, die immer wieder gestellt wird und die man sich auch selber stellt: Wie steht es denn im Zeitalter von WikiLeaks eigentlich um die klassischen Spione? Geht da gerade ein altes Gewerbe flöten?
Baumgarten: Ich glaube nicht, dass das Gewerbe flöten geht, denn ich glaube, es ist eher so, dass das Zeitalter, in dem wir jetzt leben, da ist halt Information eben noch wichtiger als vielleicht sogar in den Zeiten damals. Ich glaube eher, dass das Gewerbe, es wird sich sehr verändern, es wird eher so sein, dass immer mehr Schreibtischtäter dazukommen, die über die neuen digitalen Möglichkeiten vielleicht auch das eigene Volk mehr und mehr, Informationen darüber sammeln. Also es ist eher so, dass vermutlich das Ziel der Spionage sich ändert. Es ist eben nicht mehr der eine große Gegner, sondern es ist viel kleinteiliger geworden. Und wie gesagt, unter anderem eben durchaus auch so, dass Information aus dem eigenen Volk viel interessanter und spannender wird, als es vielleicht damals in Zeiten des Kalten Krieges war, wo die Information des Gegners vielleicht interessanter war.
von Billerbeck: Und der Agent sich ins feindliche Feld wagen musste, wo auch das andere Geschlecht ja manchmal auf der Gegenseite stand. Denn die Liebe spielt in diesen Agentenfilmen ja auch immer eine Rolle. Was haben Sie da für interessante Geschichten gefunden?
Baumgarten: Es ist oft so, dass es zum einen die Frontlinie zwischen Ost und West gibt in den Filmen, aber zum anderen immer auch die Frontlinie zwischen Mann und Frau. Also das heißt, der Transit zwischen den Geschlechtern ist auch immer mindestens genau so wichtig, und da gibt es sehr viele, sehr spannende Beispiele. Also auch bei dem bulgarischen Film, den wir haben, ist es eben so, dass tatsächlich zwischendurch es sehr romantische Phasen gibt, also wo der Agentenfilm, das Genre tatsächlich in den Hintergrund rückt und kurzzeitig dann eher so die Liebesfilmelemente dann Vorrang bekommen. Und da gibt es in jedem Film sehr, sehr schöne Beispiele.
von Billerbeck: Also hingehen! "The Celluloid Curtain", "Der Eiserne Vorhang auf Zelluloid" – Oliver Baumgarten und Nikolaj Nikitin waren im "Radiofeuilleton" zu Gast, sie haben im Auftrag des Goethe-Instituts diese Filmreihe kuratiert, die jetzt im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist. Danke fürs Kommen!
Baumgarten und Nikitin: Danke, wir freuen uns auch!
Filmreihe "The Celluloid Curtain" im Deutschen Historischen Museum
Oliver Baumgarten und Nikolaj Nikitin: Ja hallo, vielen Dank!
von Billerbeck: Es gibt ja ein paar Filmtitel, die einem relativ schnell in den Kopf kommen, wenn man an Spionagefilme aus dieser Zeit denkt, die sind eben in dem Beitrag auch schon gefallen: "Der Spion, der aus der Kälte kam", "For eyes only" oder "Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse", und natürlich der Dauerbrenner "James Bond", den Sie aber nicht mit im Blick hatten. War der einfach zu unterhaltsam, zu bekannt, oder weshalb ist "James Bond" bei Ihnen nicht dabei?
Baumgarten: Ja, wir haben uns tatsächlich ganz bewusst entschieden, "James Bond" auszulassen. Nichtsdestotrotz kommt "James Bond" natürlich immer wieder vor in den Filmen und in unserer Reihe, sei es durch direkte Zitate zum Beispiel in dem spanischen Beitrag, den wir haben, da wird wirklich wortwörtlich auf "James Bond" auch referiert. Viel mehr ist es aber so, dass wir das gemacht haben, weil wir dachten, James Bond ist wirklich der Prototyp des Agenten, wie man ihn kennt, und wir wollten einfach davon ausgehen, dass den jeder kennt, und viel interessanter waren nun die Variationen, die sich wie gesagt alle mehr oder weniger auf "James Bond" beziehen. Aber die waren dann doch insgesamt für uns eigentlich spannender.
von Billerbeck: Um mal bei den Kriterien zu bleiben: Welche Zutaten gehören denn so zum Grundrezept eines Spionagefilms, Nikolaj Nikitin?
Nikitin: Na ja, es ist immer gerade zu der Zeit natürlich der Transit zwischen Ost und West, was sehr interessant ist und in unseren Augen viel zu dem Erfolg der Filme auf beiden Seiten dazu beiträgt. Also die klassische Situation, sagen wir mal im Osten: Man hat einen gut trainierten, klugen Agenten, er geht in den Westen, sehr oft hat man dieses Deep Undercover, was wir schon von Jack Bauers aus "24" kennen, das heißt, er verliert wirklich seine eigene Identität, schleicht sich ein in eine Gesellschaft, bekommt das Vertrauen, bekommt eine starke Position, eine gute Anstellung, und dadurch kann er eben sehr erfolgreich und sehr gut für sein Land spionieren, indem er an zahlreiche wichtige Informationen kommt und diese weiterleitet. Damals geht natürlich vor allem um Information, in fast allen Filmen geht es um irgendwelche geheimen Formeln oder um irgendwelche geheimen Pläne, oft ist aber der Inhalt gar nicht so richtig bekannt oder spielt keine Rolle. Es gibt ja von Hitchcock diesen schönen MacGuffin, also diesen Begriff für irgendwas, was irgendwie geheimnisvoll ist, für irgendeinen Koffer, wo irgendwas drin ist, wo gar keiner weiß, was da drin ist, was aber auch überhaupt keine Rolle spielt, weil es geht dann wirklich nur darum, diese Information zu bekommen oder eben diesen geheimnisvollen Koffer an sich zu bringen.
von Billerbeck: Oliver Baumgarten, Sie haben sich beide ja sicher eine ganze Menge Filme angesehen, um diese Reihe zu kuratieren. War da anfangs auch eine ganze Menge Mist dabei, sage ich mal, Ausschuss, weil man ja auch gemerkt hat, dieses Genre, das ist beliebt, da kann man alles Mögliche dem Publikum in Ost wie West anbieten?
Baumgarten: Ja, also ganz sicher, vor allem, wenn man natürlich sich die westeuropäischen Filme anschaut, dann ist dort zu 80 Prozent der Filme … Sagen wir mal so, 80 Prozent der Filme sind nicht im klassischen Sinne cineastische Highlights, sondern man muss sich vorstellen, dass zwischen 1962 und 1969 alleine in den westeuropäischen Staaten also bewiesenermaßen 600 bis 700 Filme gedreht wurden. Das war eines der beliebtesten Genres überhaupt. Also es war so, dass wirklich wöchentlich in Europa zwei bis drei dieser Filme in den Kinos gestartet sind, die sehr, sehr schnell, sehr billig produziert wurden, und im Grunde alle nur auf die Aktion, auf die Unterhaltung abzielten. So gesehen ist ein großer Teil davon natürlich, na ja, als Ausschussware zu bezeichnen. Wobei wir einen dieser Filme natürlich auch mit ins Programm genommen haben, denn ohne dass man diesen "Erfolgs-Edeltrash", in Anführungszeichen, dieses Genres zeigt, hat man das gesamte Genre nicht dargestellt.
von Billerbeck: Filme waren ja immer auch Teil der ideologischen Auseinandersetzung zwischen den beiden Systemen, nicht erst in den Zeiten des Kalten Krieges, aber dann ganz besonders. Wie dicht waren sie denn am Propagandafilm?
Nikitin: Also bei den Ostfilmen muss man sagen, manchmal zu dicht oder übers Ziel hinaus dicht. Es gibt diesen wunderbaren Beitrag, den wir haben, "Skvorets and Lira" aus der Sowjetunion, 1974 fertiggestellt sollte er ins Kino kommen, wurde zurückgezogen, damals hieß es, ja die Macher, vor allem die Hauptdarstellerin Lyubov Orlova, ein Riesenstar in den 30er-, 40er-Jahren, sollte eigentlich eine 30-Jährige spielen, war damals schon 70, hätte gesagt, sie will das nicht, das ist ihr irgendwie, sie fühlt sich da nicht gut dargestellt und auch der Regisseur wäre nicht zufrieden mit dem Film. Gut 30 Jahre später kam angeblich der eigentliche Grund heraus, und zwar 74 gab es ja auch, wie wir alle wissen, die Guillaume-Brandt-Affäre, und es hat aber auch das Tauwetter eingesetzt. Also nach Stalins Tod hat ja Breschnew eine Entspannungspolitik …
von Billerbeck: … 73 war Helsinki auch schon, Helsinki-Prozess …
Nikitin: … so zum Westen gehabt, und man wollte eben nicht quasi in einem Film eine Vorgehensweise von Spionen zeigen, die der Realität entsprach. Also das, was im Film dargestellt worden ist – zwei Sowjetagenten gehen nach Deutschland und machen im Grunde das, was Guillaume gemacht hat –, da haben wohl die Mächtigen gesagt, das passt nicht in die Zeit der Entspannung, wir wollen nicht, dass unsere Agenten so dargestellt werden, also lasst uns mal den Film zumachen. Er lief damals nie, erst 89, nach der Perestroika, kam er im Fernsehen, und es ist jetzt wirklich das erste Mal, dass er überhaupt im Ausland im Kino gezeigt wird.
von Billerbeck: Oliver Baumgarten und Nikolaj Nikitin sind bei uns zu Gast. Im Auftrag des Goethe-Instituts haben sie die Reihe "The Celluloid Curtain", "Der Eiserne Vorhang aus Zelluloid" quasi, kuratiert. Oliver Baumgarten, Sie haben sich vor allen Dingen mit den westeuropäischen Filmen beschäftigt. Was war da Propaganda?
Baumgarten: Also der westeuropäische Agentenfilm transportiert natürlich vor allem auch Werte, und das sind natürlich ganz in erster Linie westliche Werte, und das sind Werte des Kapitalismus, die dort transportiert werden. Denn die Figur des westlichen Agenten – nehmen wir jetzt mal James Bond, weil den kennt jeder –, der fährt in den teuersten Autos und bewegt sich in exotischen Ländern, das war damals in den 60ern durchaus nicht üblich, dass man diese exotischen Länder kannte. Das heißt, jeder träumte davon, die hatten alle Geld, waren in Smokings gekleidet, auf tollen Partys gewesen. Das heißt, im Grunde genommen hat der westeuropäische Agent ein Leben vorgelebt, wie es der Durchschnittskapitalist sicherlich in seinen Träumen immer erstreben würde. Und da er ja immer unsere Sympathiefigur war oder ist, heißt das ja auch, dass wir uns mit diesen Werten identifizieren. Und das schwang natürlich in diesen Filmen mit. So gesehen ist diese Ideologie auch in den westeuropäischen Filmen immer spürbar.
von Billerbeck: So ein Film steht und fällt ja mit der Figur des Agenten. Wie haben sich die denn in West und Ost unterschieden, was waren das für Typen, die Ost- wie die Westagenten in der Zeit des Kalten Krieges?
Nikitin: Also man muss sagen, dass der Ostagent vielleicht viel härter war, viel enthaltsamer war. Also er ist halt eben in diesem, wie beschrieben, dekadenten Westen gegangen, hat diese ganzen Partys mitgemacht, hat sich aber nie vom Weibe locken lassen oder vom Alkohol in einen Zustand bringen lassen, wo er nicht mehr unter Kontrolle war. Das heißt, er hat immer mitgefeiert, hat immer mitgemacht, hat sich dann aber im entscheidenden Augenblick zurückgezogen und hat diese Mission erfüllt. Und ich glaube, dieses …
von Billerbeck: … und hat die Whiskeys immer in die Blumentöpfe gegossen …
Nikitin: … genau, das gibt es auch tatsächlich in dem einen oder anderen Film, und das Interessante dabei ist: Natürlich konnte damit dem Ostzuschauer auch sagen wir mal legitim dieser dekadente Westen gezeigt werden, was glaube ich auch viel vom Erfolg im Osten dieser Filme ausgemacht hat. Man konnte wirklich über die Mauer irgendwie sehen, man konnte das sehen, was da so Schlechtes stattfindet, das genießen. Zum Schluss kam aber natürlich ganz deutlich dann auch die Einstellung, das ist alles schlecht, das ist alles böse, unser guter Agent überlebt. Genau so hat es aber natürlich andersrum funktioniert. In vielen Westfilmen wird natürlich der verwahrloste Osten gezeigt. Also dieser Blick durch die Mauer hat in beide Richtungen interessiert, und ich glaube, hat auch zum Teil zum wahnsinnigen Erfolg dieses Genres beigetragen.
von Billerbeck: Sind denn die Agenten, die Darsteller der Agenten, genauer gesagt, immer Stars gewesen? Oder sind die dadurch, dass sie Agenten gespielt haben, dann später Stars in ihren Ländern geworden?
Baumgarten: Ich denke, das gab es sowohl als auch. Also wenn ich jetzt zum Beispiel an den ungarischen Beitrag denke, "Fotó Háber", da ist der Hauptdarsteller beispielsweise ein großer Star gewesen, und er war so was wie der Superstar des ungarischen Kinos in den 60ern und 70ern. Dann wiederum in den westeuropäischen Ländern hat dieses Genre tatsächlich eben auch die eigenen Stars produziert, also gerade in diesen etwas eher billigeren Pulp-Fiction-Verfilmungen. Also so Leute wie Rodger Brown, das sind so Schauspieler, die kennt man heute gar nicht mehr, die sind vielleicht auch jetzt nicht am höchsten Punkt der Kunst anzusiedeln, aber sie waren eben Typen und die waren damals gefragt und waren damals wirklich extrem beliebt. So gesehen hat dieses Genre auch eigene Stars immer produziert.
von Billerbeck: In Berlin wird ja die Filmreihe, wie vorher in London auch, von Diskussionen begleitet. Und eine Frage, die immer wieder gestellt wird und die man sich auch selber stellt: Wie steht es denn im Zeitalter von WikiLeaks eigentlich um die klassischen Spione? Geht da gerade ein altes Gewerbe flöten?
Baumgarten: Ich glaube nicht, dass das Gewerbe flöten geht, denn ich glaube, es ist eher so, dass das Zeitalter, in dem wir jetzt leben, da ist halt Information eben noch wichtiger als vielleicht sogar in den Zeiten damals. Ich glaube eher, dass das Gewerbe, es wird sich sehr verändern, es wird eher so sein, dass immer mehr Schreibtischtäter dazukommen, die über die neuen digitalen Möglichkeiten vielleicht auch das eigene Volk mehr und mehr, Informationen darüber sammeln. Also es ist eher so, dass vermutlich das Ziel der Spionage sich ändert. Es ist eben nicht mehr der eine große Gegner, sondern es ist viel kleinteiliger geworden. Und wie gesagt, unter anderem eben durchaus auch so, dass Information aus dem eigenen Volk viel interessanter und spannender wird, als es vielleicht damals in Zeiten des Kalten Krieges war, wo die Information des Gegners vielleicht interessanter war.
von Billerbeck: Und der Agent sich ins feindliche Feld wagen musste, wo auch das andere Geschlecht ja manchmal auf der Gegenseite stand. Denn die Liebe spielt in diesen Agentenfilmen ja auch immer eine Rolle. Was haben Sie da für interessante Geschichten gefunden?
Baumgarten: Es ist oft so, dass es zum einen die Frontlinie zwischen Ost und West gibt in den Filmen, aber zum anderen immer auch die Frontlinie zwischen Mann und Frau. Also das heißt, der Transit zwischen den Geschlechtern ist auch immer mindestens genau so wichtig, und da gibt es sehr viele, sehr spannende Beispiele. Also auch bei dem bulgarischen Film, den wir haben, ist es eben so, dass tatsächlich zwischendurch es sehr romantische Phasen gibt, also wo der Agentenfilm, das Genre tatsächlich in den Hintergrund rückt und kurzzeitig dann eher so die Liebesfilmelemente dann Vorrang bekommen. Und da gibt es in jedem Film sehr, sehr schöne Beispiele.
von Billerbeck: Also hingehen! "The Celluloid Curtain", "Der Eiserne Vorhang auf Zelluloid" – Oliver Baumgarten und Nikolaj Nikitin waren im "Radiofeuilleton" zu Gast, sie haben im Auftrag des Goethe-Instituts diese Filmreihe kuratiert, die jetzt im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist. Danke fürs Kommen!
Baumgarten und Nikitin: Danke, wir freuen uns auch!
Filmreihe "The Celluloid Curtain" im Deutschen Historischen Museum