Agnès Varda wird 90

Die Regie-Großmutter der Nouvelle Vague

Die Regisseurin Agnes Varda auf dem Filmfestival in Cannes 2017.
Die Regisseurin Agnès Varda auf dem Filmfestival in Cannes 2017. © Sébastien Botella / MAXPPP / dpa
Von Jörg Taszman |
Die Regie-Ikone und Künstlerin Agnès Varda wird 90 – und ist bis heute nicht zu stoppen. Mit 25 Jahren drehte sie ihren ersten Spielfilm "La Pointe Courte" – einen Film, der bereits Nouvelle Vague war, bevor es dafür ein offizielles Label gab.
Mit ihrem Ehrenoscar in der Hand, mit dem sie im November 2017 bei den Governor Awards augezeichnet wurde, lud Agnès Varda die äußerst charmante Angelina Jolie auf der Bühne zu einem Tänzchen ein. Zuvor hatte die 89-jährige Künstlerin unter dem Jubel der Anwesenden auch eine Rede voller Esprit und Humor gehalten. So wunderte sie sich über die Abwesenheit von Männern.
Agnès Varda erhielt den Oscar für ihr Lebenswerk. Schon mit 25 Jahren drehte sie 1954 ihren ersten Spielfilm "La Pointe Courte" in dem Fischerort Sètes mit dem damals unbekannten Philippe Noiret und der etwas bekannteren Silvia Monfort. Vom Kino hatte die Autodidaktin damals kaum eine Ahnung.

"Es schien völlig normal, den Film selbst zu produzieren"

"Ich war Fotografin und hatte eigentlich auch keine Absichten, etwas anderes als eine Fotografin zu sein. Ich hatte, wie es damals üblich war, mein Fotolabor bei mir zu Hause. Wie es dann genau zu diesem Switch zur Regisseurin kam, weiß ich nicht mehr ganz genau. Aber ich hatte ein Drehbuch geschrieben und es war mir klar, dass mir niemand Geld geben würden. Es schien völlig normal zu sein, den Film selbst zu produzieren. Dabei hatte ich sehr wenig Geld. Ich lieh etwas von meiner Mutter und benutzte ein wenig vom Erbe meines verstorbenen Vaters. So gründeten wir eine Kooperative."
Dieses Erstlingswerk ist stilistisch eine Mischung aus dem italienischen Neorealismus und einer intellektuellen Liebesgeschichte. Für Agnès Varda gab es in ihren Filmen immer diesen sehr bewussten Widerspruch zwischen dem sozialen Kontext und dem Privatleben. Und sie entschied sich schon als junge Frau, ihre Filme zu produzieren, sich auch um den Vertrieb selber zu kümmern. Ihrer Zeit war sie dabei um Jahre voraus. Ihr Film war bereits Nouvelle Vague, bevor es dafür ein offizielles Label gab und Francois Truffaut 1959 "Sie küssten und sie schlugen ihn" drehte.
"Der Film wurde bei Journalisten und in Cinematheken sehr schnell bekannt. Gedreht wurde er 1954 und er spielte seine Herstellungskosten nie ein. Aber er wurde von Cinematheken gekauft, in Filmclubs gezeigt. Im französischen Kino ist der Film eine Wendemarke. Und als dann all diese neuen Filme der Nouvelle Vague kamen, nannte man mich die Großmutter der Nouvelle Vague."

Sie liebt Flohmärkte, kauft gerne Kleinigkeiten

Schon mit 30 Jahren die Großmutter der Nouvelle Vage gewesen zu sein, hat Agnès Varda durchaus amüsiert. Wer ihr in den letzten Jahren einmal begegnete, weiß dass sie etwas rührend Großmütterliches ausstrahlt. Als sie 2001 von der Berliner Akademie der Künste mit dem Konrad Wolf Preis ausgezeichnet wurde, brachte sie in ihrer großen Handtasche jedem ein kleines Geschenk mit.
Sie liebt Flohmärkte, kauft gerne Kleinigkeiten und Krimskrams. Privat hatte sie 1958 den Regisseur Jacques Demy kennengelernt, dem späteren Schöpfer der französischen Musicals wie "Die Regenschirme von Cherbourg". Sie wurde seine Frau und blieb mit Jacques Demy bis zum frühen Tod des Filmemachers 1990 zusammen. In den letzten Jahren kümmerte sie sich dann auch um die Restaurierung des gemeinsamen Oeuvres, gab die Filme in liebevollen DVD-Editionen neu heraus. Auch dabei kümmert sie sich um alle Aspekte.
"Mein Kind ist Handarbeit, hausgemacht. So mache ich immer die Trailer zu meinen Filmen. Viele sagen dann, lass das lieber von Profis machen, aber ich weiß einfach besser, welche Signale ich auslösen möchte. Man könnte mich als einen Kontrollfreak bezeichnen, aber es ist eher die Freude daran, etwas von Anfang bis Ende selber zu machen: auf meine Art. Das macht mir Spaß. Ich mache Handwerkskunst und keinen Kommerz."

Eine Reisende, eine Sammlerin

Agnès Varda ist eine leidenschaftliche Sammlerin und Reisende. Das merkt man ihren letzten Dokumentarfilmen an wie "Die Sammler und die Sammlerin", aber auch ihrem neuesten Werk "Augenblicke-Gesichter einer Reise", den sie zusammen mit dem 33-jährigen Fotokünstler JR gedreht hat.
Mit ihm zieht sie durch Frankreich, fotografiert die Gesichter von Menschen, denen sie begegnet. JR klebt dann überdimensionale Riesenporträts auf Hauswände oder Fabrikmauern. Agnès Varda hat immer noch dieses genaue Auge für Menschen und Protagonisten. Das merkt man ihren bedeutenden Spielfilmen wie "Vogelfrei" ebenso an wie ihren Dokumentarfilmen. Nächste Woche wird die Varda 90 und ist eine besonders rüstige filmende Großmutter geblieben.
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