Regisseurin beklagt Parallelen zwischen Polen und USA
Die polnische Filmregisseurin Agnieszka Holland hat die Aushöhlung des Rechtsstaats in ihrem Heimatland beklagt. Die Präsidentin des European Film Academy Boards lebt sowohl in Polen wie in den USA. In beiden Ländern seien die Menschen mit märchenhaften Visionen leicht zu manipulieren.
Es gebe viele Ähnlichkeiten wie die Spaltung der Gesellschaft, den Nationalstolz oder das messianische Gefühl, die wichtige Nation der Welt zu sein, sagte die polnische Filmregisseurin Agnieszka Holland im Deutschlandradio Kultur. Die Präsidentin des European Film Academy Boards verwies darauf, dass Religion in beiden Ländern eine große Rolle spiele und als politisches Mittel benutzt werde. Gleichzeitig sei die Ignoranz groß, weil viele Menschen wenig über die Welt außerhalb ihres Landes wüssten. Deshalb seien sie mit märchenhaften Visionen leicht zu manipulieren.
Streben nach kompletter Macht
"Ich lebe die meiste Zeit in den USA und jedes Mal, wenn ich zurück nach Polen komme, fühlt es sich an, als ob man von der großen Stadt ins kleine Dorf fährt, aber gewissermaßen noch immer im gleichen Land bleibt", sagte Holland. Mit Blick auf die polnische Lage warnte sie: "Am traurigsten macht mich aber, was sie mit dem Gesetz und der Verfassung des Landes machen. Das ist so gefährlich, weil es komplett gegen die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates verstößt." Institutionen wie das Verfassungsgericht und der Oberste Gerichtshof würden von der konservativen PIS-Regierung zerstört. "Ohne diese, können sie machen, was sie wollen. Dann kann sie niemand mehr kontrollieren oder stoppen." Es sei allerdings schwierig zu sagen, was die polnische Regierung darüber hinaus wolle, außer der kompletten Macht.
Alles hängt von Kaszynski ab
Nur so lange der Rechtstaat noch funktioniere, könnten die schlimmsten Auswüchse, Gesetze oder Handlungen der Mehrheit zu stoppen. "Wenn sie ohne Kontrolle die Mehrheit haben, auch den Präsidenten, der nur eine Marionette des Parteiführers Kaczynski ist, können sie alles machen." Dabei sei Polen ein großes Land, dass sich positiv entwickelt habe. Aber das Land hänge jetzt von einem einzigen Mann ab, von dem sie glaube, dass er die Verbindung zur Realität verloren habe. "Aber er hat einen starken Willen, stark genug, um ihn der Mehrheit des Volkes aufzudrücken."
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Heute vor 25 Jahren, am 17. Juni 1991 wurde ja der Deutsch-Polnische Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Das Abkommen hat ja den Kalten Krieg sozusagen im Herzen Europas beendet und war der Beginn einer Ära der Freundschaft. Das hat Bundespräsident Joachim Gauck gestern ja auch beim Besuch des amtierenden polnischen Präsidenten Duda betont. Das nimmt man ihm auch ab, denn Gaucks Antrittsreise als Präsident ging ja nicht, wie üblich, nach Paris, sondern zuerst nach Warschau.
Aber seitdem in Warschau die erzkonservative, nationalistische und auch deutschlandkritische Partei des Rechtspopulisten Jaroslaw Kaczynski regiert, ist die Stimmung angespannt, auch im Land selbst. Eine Unterstützerin der Opposition in Polen ist Agnieszka Holland, polnische Filmregisseurin, zweimal Oscar-nominiert. Wir kennen sie als Regisseurin des Film "Hitlerjunge Salomon". Sie ist auch noch Präsidentin des European Film Academy Board, lebt in den USA und in Paris, aber ist sehr oft in ihrem Heimatland. Und ich habe sie als erstes gefragt, ob sie findet, dass die polnische Regierung das Land gespalten hat.
Agnieszka Holland: Wissen Sie, ich habe da eher eine negative Meinung über diese Partei und ihren Führer, und das nicht erst seit Kurzem. Sie haben dieses Land schließlich schon vor acht Jahren regiert. Damals war es gefährlich, jetzt ist es sehr gefährlich. Das passt zur allgemeinen Tendenz in Europa, dieser wachsenden populistischen und antidemokratischen Bewegungen. Und genau das ist diese Partei, populistisch und antidemokratisch, dabei auch noch sehr nationalistisch und euroskeptisch, um es milde auszudrücken.
Am traurigsten macht mich aber, was sie mit dem Gesetz und der Verfassung des Landes machen. Das ist so gefährlich, weil es komplett gegen die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats verstößt. Sie zerstören Institutionen wie das Verfassungsgericht und den obersten Gerichtshof, und ohne diese können sie machen, was sie wollen. Dann kann sie niemand mehr kontrollieren oder stoppen. Was sie außer der kompletten Macht wirklich wollen, ist schwer zu sagen.
Brink: Ist es das, was Sie besonders kritisieren, die fehlende Rechtsstaatlichkeit?
Holland: Ja. Das heißt nicht, dass sie auf anderen Gebieten sympathischer wären. Aber solange der Rechtsstaat funktioniert, ist es immer möglich, die schlimmsten Auswüchse, Gesetze oder Handlungen der Mehrheit zu stoppen. Wenn sie ohne Kontrolle die Mehrheit haben, auch den Präsidenten, der nur eine Marionette des Parteiführers Kaczynski ist, können sie alles machen. In einem großen Land, das sich eigentlich sehr positiv entwickelt hat, dann aber vollkommen von einem einzigen Mann abhängt, von dem ich glaube, dass er die Verbindung zur Realität verloren hat. Aber er hat einen starken Willen, stark genug, um ihn der Mehrheit des Volkes aufzudrücken.
Kaczynski möchte die Geschichte verändern
Brink: Gerade im Kulturbereich versucht ja die Regierung Einfluss zu nehmen. Wie nehmen Sie die Stimmung unter den Kulturschaffenden wahr? Gibt es da Widerstand gegen die Regierung?
Holland: Es ist schwer, die Situation zu beschreiben, weil es nicht genau so ist wie zur Zeit der Kommunisten, die auch alles kontrollierten, alle Institutionen, alles Geld, die mit Hilfe der Zensur Inhalte verhinderten, die nicht gut für sie waren. Hier und heute streben sie nach einer Art utopischen totalitären Regime wie aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kaczynski möchte die Geschichte verändern, neu schreiben, die Verbündeten auswechseln, die Berühmtheiten austauschen. Was bisher als Qualität galt, soll nun als Schande gelten, und andersherum. Er möchte eine weitreichende Kulturrevolution. Was er tun möchte, und da drückt er sich ganz schrecklich aus, weil er ein Romantiker ist, er möchte die Seele der Nation verändern.
Es ist nicht nur rationaler, leicht zu verstehender Machthunger wie bei Viktor Orban, den man in gewissem Maße auch bekämpfen kann. Aber gegen so eine Besessenheit und derartige Aktivitäten anzukämpfen, ist sehr schwierig. Das ist, als lebe man in der Matrix. Wir kennen ja unsere Geschichte. Wir erinnern uns gut an Solidarnosc, an Lech Walesa, an Andrej Wajda, den früheren Dissidenten und späteren Minister Jacek Kuron und viele andere. Aber all diese sind nun wie aus der Geschichte radiert.
Auch erfolgreichen Filmemachern, Gewinnern des Nobelpreises wird jedes Verdienst an der polnischen Kultur abgesprochen, als hätten sie nie existiert. Stattdessen wird nun Kaczynski als der größte Held der Geschichte Polens propagiert. Sein Werkzeug dafür ist der Konflikt. Er spaltet das Land mit den primitivsten, populistischsten und emotionalsten Mitteln. Sein selbsterfundener Mythos des Attentats in Smolensk gegen seinen Bruder, den inzwischen immer mehr Leute glauben, wie eine Art Fluch.
Er nutzt nationalistische Stimmungen und das Bedürfnis der jungen Generation nach einer starken nationalen Identität, um sich besser und weniger verloren in Europa zu fühlen. Er nutzt die Fremdenangst, benutzt die Flüchtlinge dazu, diese Angst zu verbreiten. Er behauptet einfach, sie seien eine Gefahr für die polnische Nation, für die polnischen Frauen. Sie brächten Krankheiten und Parasiten. Er sagt alles, um Hass und Angst zu schüren. Und leider fangen ziemlich viele Leute an, das zu glauben, dass die EU unser Feind ist, dass Flüchtlinge, Feministinnen, Homosexuelle, Juden und so weiter unsere Feinde sind, die Welt also voller Feinde steckt und nur Kaczynski und seine Partei zu den wenigen Guten gehören. Ein bisschen so, wie Mr. Trump das in den USA versucht. Ein recht wirksames Mittel heutzutage.
Manipulation ist leicht geworden
Brink: Aber was wir ja in den Vereinigten Staaten auch sehen, dass es ein gespaltenes Land ist. Das ist ja dann Polen auch.
Holland: Das ist eine ganz ähnliche Situation. Es gibt in der Tat viele Ähnlichkeiten zwischen Polen und Amerika, wie der Nationalstolz, dieses messianische Gefühl, dass wir die wichtigsten auf der ganzen Welt sind, was im Falle Polens natürlich reine Erfindung ist. Aber auch die große Rolle, die Gott in beiden Ländern spielt, in denen Religion gern als politisches Mittel genutzt wird. Und auch die Ignoranz. Es gibt viele Menschen, die wenig über die Welt außerhalb ihres Landes wissen und sehr leicht mit märchenhaften Visionen zu manipulieren sind. Ich lebe die meiste Zeit in den USA, und jedes Mal, wenn ich zurück nach Polen komme, fühlt es sich an, als ob man von der großen Stadt ins kleine Dorf fährt, aber gewissermaßen noch immer im gleichen Land bleibt.
Brink: Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland und ihre Einschätzungen über die Situation in Polen gerade.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.