Streit um die Zukunft von Niedersachsens Landwirtschaft
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In Niedersachsen werden 2,6 Mio. Hektar landwirtschaftlich genutzt. Angesichts des Klimawandels denken Experten nun darüber nach, wie diese Flächen künftig umweltschonend bewirtschaftet werden sollen. Doch um die richtige Ackerbaustrategie gibt es Streit.
Die Trockenheit im Sommer 2018 hat ihre Spuren hinterlassen in der niedersächsischen Landwirtschaft. Experten der Landwirtschaftskammer schätzen die Schäden durch Ernteausfälle auf rund 930 Millionen Euro. Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast sieht dringenden Handlungsbedarf: "Das letzte Dürrejahr hat uns alle wachgerüttelt, dass wir im Thema 'Klimaangepasste Landwirtschaft' weiter voran gehen müssen, dass wir das Thema Beregnung auf dem Schirm haben müssen, der Ressourcensparende Einsatz von Wasser. Ich war in der letzten Woche z.B. bei Feldberegnungs-Speicherbecken unterwegs, Niederschläge zu speichern und dann zu anderen Zeiten wieder auszubringen."
Extreme Wetterlagen und ihre Folgen, zunehmende Diskussionen über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, über den Schutz der Artenvielfalt, über Gewässerschutz - es gibt viel zu besprechen, wenn es um die Zukunft des Ackerbaus in Niedersachen geht. Bis Juni kommenden Jahres soll das in fünf Arbeitsgruppen geschehen, die gerade ins Leben gerufen werden und "ganz wichtig ist mir eine Arbeitsgruppe, die sich mit Öffentlichkeit, mit Gesellschaft, mit Kommunikation beschäftigt. Unsere Ackerbaustrategie soll kein Closed Shop sein, sondern all das, was wir da denken, wollen wir auch immer kommunizieren."
Blühstreifen werden gefördert
Mit den Tücken dieser Kommunikation kämpft auch Landwirt Manfred Walkemeyer aus Braunschweig-Lehndorf. "Ich habe mir ein bisschen technische Unterstützung geholt, weil ich glaube, das wird sonst ein wenig schwierig … ohh… das war der falsche Knopf!"
Bewaffnet mit einem Megaphon begleitet er die Landwirtschaftsministerin und etwa 50 neugierige Anwohner aus der Region auf einer Fahrradtour über die Feldwege am Stadtrand von Braunschweig. Etwa 50 Pensionspferde stehen auf seinem Hof, auf knapp 180 Hektar Land baut er ganz konventionell Getreide, Kartoffeln und Zwiebeln an. Bei der Fahrradtour sollen die Gäste sehen, wie er und seine Berufskollegen umwelt- und naturschutzgerechten Ackerbau betreiben. Stichwort "Greening", also spezielle Naturschutzmaßnahmen, durch die die Bauern Teile ihrer Flächen nicht nutzen können – und für die sie im Gegenzug Ausgleichszahlungen erhalten. Dazu gehört auch der sogenannte Blühstreifen am Rand eines Gerstenfeldes – hier wachsen einfach Wildblumen als Nahrungsgrundlage z.B. für Bienen und Hummeln.
"Ich weiß jetzt gar nicht, was das ist, was gerade blüht? Malve… Dieses Greening ist ein Muss – das heißt, unsere Beihilfen bekommen wir nur, wenn wir fünf Prozent unserer Fläche ökologisch bearbeiten! Das geht einerseits, indem wir entweder solche Blühstreifen anlegen, wir können das Ganze auch als Zwischenfrucht aktivieren, haben nicht den gleichen Faktor … aber das ist jetzt eine Feinheit."
Gülle belastet das Trinkwasser
Und bei der niedersächsischen Ackerbaustrategie soll es ja um das große Ganze gehen. Leitplanken wolle man entwickeln für "modernen Ackerbau", betont Ulrich Löhr, Vizepräsident des Landvolks – so heißt in Niedersachsen der Bauernverband. Dabei stehe die Produktion sicherer und hochwertiger Lebensmittel immer an erster Stelle. Die Rahmenbedingungen dafür dürften sich nicht immer wieder gravierend verändern. "Wenn ich investiere, muss ich auch ein gewisses Grundvertrauen haben, dass diese Investition sich auch lohnen kann. Eine Maschineninvestition dauert zehn Jahre und eine Gebäudeinvestition mindestens 20 Jahre – insofern ist es wichtig, dass man zumindest gewisse Leitlinien hat, an denen man sich orientieren kann für die Zukunft, denn wir brauchen letztendlich für unsere Investitionsentscheidungen auch eine gewisse Sicherheit."
Ein Beispiel: der massenhafte Einsatz von Gülle als Dünger auf den Äckern. In vielen Gebieten Deutschlands – nicht zuletzt in den Schweinemastregionen im nordwestlichen Niedersachsen – hat das zu erheblichen Belastungen des Trinkwassers geführt. Deshalb hat es gerade erst eine neue Düngeverordnung mit strengen Auflagen für die Landwirte gegeben – jetzt soll es auf Druck der EU schon wieder neue, noch strengere Auflagen geben. Für die Landwirte nicht nachvollziehbar, meint Ulrich Löhr: "Im letzten Jahr ist die Düngeverordnung neu gekommen, und sie können jetzt nicht verlangen, dass alles schon komplett umgestellt wird. Wir haben enorme Reduzierungen, 37 Prozent weniger Düngereinsatz, wir fangen jetzt an und denken mit, so wie es von uns gefordert wird – aber man muss uns auch die Zeit lassen, dass es erst mal wirken kann."
Wohin mit der Gülle?
Weniger Gülle auf die Äcker, um das Trinkwasser zu schützen – aber wohin dann mit der Gülle, die bei der Massentierhaltung in riesigen Schweineställen z.B. zwangsläufig anfällt? Auch darüber soll bei der Entwicklung einer Ackerbaustrategie für Niedersachsen gesprochen werden, außerdem über mögliche Alternativen zum Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln und über die Zucht neuer Pflanzensorten, die mit dem Klimawandel besser klarkommen.
Aber: Warum eigentlich eine eigene Ackerbaustrategie, wo doch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner bereits entsprechende Pläne angekündigt hat, fragt die agrarpolitische Sprecherin der Grünen im niedersächsischen Landtag, Miriam Staudte: "Wir haben den Eindruck, dass da wirklich auf Zeit gespielt wird. Also im Herbst wollte ja Frau Klöckner die Ergebnisse ihrer Ackerbaustrategie vorstellen – das will man jetzt nicht abwarten, sondern man macht einen neuen Diskussionskreis auf, der dann erst ein Jahr später Ergebnisse vorstellen soll."
Diskussion über die Zukunft der Agrarpolitik
Das aber sei viel zu spät. Auch wirklich bahnbrechend neuen Ideen verspreche sie sich davon auch nicht. Das Ganze wirke eher so, als solle das Rad neu erfunden werden, anstatt sich von Bewährtem inspirieren zu lassen: "Die Antworten sind eigentlich klar: Man müsste sehr viel stärker auf den Austausch hinarbeiten zwischen dem konventionellen Landbau und dem ökologischen Landbau, das müsste man eigentlich fördern – mehr Demonstrationsbetriebe z.B., wo man gucken kann, wie macht das eigentlich mein Kollege und was kann ich daraus lernen? Stattdessen wird eben jetzt noch weiter diskutiert."
Und das in einer bisher völlig unbekannten Zusammensetzung. In den Arbeitsgruppen sollen zwar unter Federführung des Landwirtschaftsministeriums Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Marktpartnern gemeinsam diskutieren – was das konkret bedeute sei aber unklar, so Staudte: "Für uns ist es auch überhaupt nicht nachvollziehbar, welche Rolle die Lobby da eigentlich spielt. Wenn man einen gesellschaftlichen Konsens über die Zukunft der Agrarpolitik schaffen will, dann muss man auch vorher den Konsens suchen, wie man solche Arbeitskreise zusammensetzt. Aber das ist ja nicht die Zielrichtung, sondern: Man sucht die Leute aus, von denen man vermutet, dass dann das Ergebnis rauskommt, das man hören möchte."