Agrarpolitik

"Verlierer sind Bauern, Tiere und Umwelt"

Rinder in einem Stall in Deutschland.
Rinder in einem Stall in Deutschland. © imago stock&people
Robert Habeck im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Viele deutsche Bauern fürchten derzeit um ihre Existenz. Das liege nicht nur an den niedrigen Preisen, sagt der Grünen-Politiker Robert Habeck. Es fließe zu viel Geld ohne Zweckbindung in die Landwirtschaft. Und der Bauernverband mache eine falsche Politik.
Schleswig-Holsteins Agrarminister Robert Habeck (Bündnis 90/Grüne) gibt dem Bauernverband eine Mitschuld an der teils existenzgefährdenden Lage der Landwirte. Der Verband kenne auch heute noch "nur eine Richtung: billiger und mehr", sagt Habeck:
"Er sieht noch nicht mal richtig eine Krise. Er sagt: das ist nur eine Marktschwäche, wir müssen das mit Liquiditäten überbrücken und dann geht es einfach weiter wie bisher. Das halte ich wirklich für falsch, und ich finde, er berät seine Mitglieder falsch und vertritt sie schlecht."

Gelder für Tier- und Umweltschutz

Die Ratlosigkeit bei den Bauern sei groß, sie demonstrierten gegen ihren eigenen Verband. Vielleicht sei das aber auch eine Chance zum Umdenken. Habeck kritisiert insbesondere, dass "Milliardenbeträge" für die Landwirtschaft ausgegeben würden. Aber:
"Diese Gelder werden nicht zielgerichtet ausgegeben. Wir sollten aufhören, Gelder einfach so in das System reinzukippen, sondern nur noch an Leistungen binden: an Tierschutz, an Umweltschutz - und sonst gibt es die Gelder nicht!"
Ein Bauer würde so mit weniger Kühen und weniger Leistung, dafür aber mit mehr Platz für die Tiere auch mehr Geld verdienen. Der Steuerzahler müsste nicht mehr bezahlen, so Habeck, "weil eben sauviel Geld im System" sei.

Bessere Politik, ohne ein besserer Mensch zu sein

Im Moment müssen nach Angaben des Ministers zehn bis 15 Prozent der bäuerlichen Betriebe im Jahr aufgeben - aufgrund der niedrigen Preise. Habeck zeigt aber Verständnis dafür, dass momentan nur die wenigsten Menschen Bioprodukte kaufen:
"Wir sind als Verbraucher verführbar durch Werbung, gehetzt, gestresst, und wollen einfach nur das günstigste Angebot nehmen."
Das gelte nicht nur für Lebensmittel. Doch es spreche nichts dagegen, "dass wir andere Produktionsverhältnisse haben wollen". Es sei möglich, "eine bessere Politik zu entwickeln, ohne ein besserer Mensch zu sein. Und damit sollten wir endlich anfangen."

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Die Milch macht’s! Die Milch macht’s deutlich! Es ist etwas faul mit der deutschen Landwirtschaft! Sie ist so günstig und effizient, dass die, die davon leben müssen, davon kaum noch leben können, die Bauern nämlich.
Das Thema ist bekannt, das wird eines der bestimmenden Themen sein, wenn heute in Hannover der Deutsche Bauerntag beginnt. Und der Sound der Landwirte ist klar: Helft uns! Und damit ist in erster Linie gemeint: Helft uns finanziell!
Was sind gute, was sind bessere Wege aus dieser Agrarkrise? Es ist das Geschäft meines Gesprächspartners, sich darüber Gedanken zu machen, Robert Habeck, stellvertretender Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein für Bündnis 90/Die Grünen. Herr Habeck, guten Morgen!
Robert Habeck: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Frenzel: Gibt es nur noch Verlierer bei der Art und Weise, wie wir Lebensmittel produzieren, jetzt auch die Bauern?
Habeck: Wenn man ehrlich ist, gibt es einen Gewinner, das ist das Portemonnaie der Verbraucher. Die Bauern sorgen dafür, dass wir alle günstige und auch hochqualitative Lebensmittel bekommen zu einem Preis wie nie zuvor in Deutschland. Allerdings, sie sorgen dafür tatsächlich mit der Aufgabe ihrer Existenzen.
Also, Verlierer sind Bauern, Tiere und Umwelt, Gewinner ist unser Portemonnaie, wir haben dadurch mehr Geld für, ich weiß nicht, Bücher, Gesundheitsleistung, aber natürlich Schnickschnack und Luxus. Das muss man ganz klar so sehen.
Und das ist einerseits ein Dankeschön an die Landwirte und andererseits auch aus meiner Sicht das Eingeständnis, dass das System, das uns reich gemacht hat – also Deutschland reich gemacht hat –, jetzt anfängt, richtig Armut zu produzieren. Und nicht nur Umweltarmut, sondern auch die Bauernbetriebe zerstört.

30 Schweine auf 20 Quadratmetern

Frenzel: Was läuft denn schief in diesem System? Ist es zu wenig marktwirtschaftlich, gerade auch durch die ganzen EU-Subventionen, oder zu marktorientiert?
Habeck: Wenn man den Markt zu eng definiert, dann ist es zu wenig Marktwirtschaft … Man nennt das immer externe Kosten, also Umwelt-, Klimaschutzkosten, Gewässerschutzkosten, die zahlen wir alle nicht mit im Preis. Und über Tierschutz rede ich noch gar nicht. Also, die Bürger wissen, dass die Schweine 0,75 Quadratmeter Recht auf Platz haben, also, 30 Schweine sind auf 20 Quadratmetern eingepfercht. Wie will man das vergüten? Das ist also im Preis nicht mit drin.
Aber das marktwirtschaftliche System selbst, das alles gesagt und anheim geschoben, sorgt immer noch dafür, dass die Betriebe aufgeben müssen, wenn sie diesem Druck, billig und mehr zu produzieren, nicht standhalten können. Und der Preis ist jetzt so im Keller, dass tatsächlich ungefähr zehn Prozent der Betriebe pro Jahr aufgeben werden.
Frenzel: Was kann man denn da machen? Ich meine, der einfache Rückschluss, den Sie da gerade ja auch nahelegen, die Preise sind zu niedrig, einfach höhere Preise … Aber das würde ja so einfach wahrscheinlich nicht funktionieren, oder?
Habeck: Genau, das wäre ein sehr einfacher Rückschluss, weil das System an so vielen Stellen Fehler produziert. Ich fange mal mit der Lebensmittelverschwendung an, weil das das schlagendste Beispiel ist: Ich habe mir mal so eine ganze Schlachtkette von der Besamung über die Mast bis zur Wurstscheibe angeguckt und am Ende, nachdem ich diese ganzen engen Haltungsformen gesehen habe, wurden die Wurstscheiben schon in der Fabrik aussortiert, wenn ein Pfefferkorn bei der Pfeffersalami rausgefallen ist. Und das war ungefähr ein Viertel der produzierten Ware.
Wir werfen in Deutschland elf Millionen Tonnen Lebensmittel jedes Jahr weg, fertig produzierte Lebensmittel, die gut und verzehrbar sind. Also, es ist viel zu einfach zu sagen, die Preise müssen höher werden. Wir können uns an vielen Stellen fragen, ob das alles wohl so richtig ist.
Aber in der Tat, die Bauern müssen faire Preise bekommen, gerade für die Güter, die wir von ihnen verlangen – Tierschutz, Umweltschutz und so weiter und so fort –, sonst kann man es nicht von ihnen fordern.
Schweine in der Massentierhaltung
Schweine in der Massentierhaltung© imago

Der Bauernverband kennt nur billiger und mehr

Frenzel: Heute tagen sie ja, die Bauern, oder heute vielmehr beginnt der Bauerntag. Da war ja früher eins immer klar: Bauern und ihre Funktionäre waren jetzt nicht unbedingt so was wie die gesellschaftliche Avantgarde. Sie waren beim letzten Bauerntag, Sie sind ständig im Kontakt – haben Sie den Eindruck, dass sich da etwas geändert hat?
Habeck: Also, einmal muss man klar sagen, dass der Bauernverband, die Berufsvertretung der Landwirte, mit schuld an der Misere ist. Der Bauernverband kennt auch noch heute nur eine Richtung, nämlich billiger und mehr. Er sieht noch nicht mal richtig eine Krise, er sagt, das ist nur eine Marktschwäche, wir müssen das mit Liquiditäten überbrücken und dann geht es einfach weiter wie bisher. Das halte ich wirklich für falsch und ich finde, er berät seine Mitglieder falsch und vertritt sie schlecht.
Jetzt im Moment, wenn ich das richtig sehe, ist die Ratlosigkeit ziemlich groß. Die Bauern demonstrieren gegen ihren eigenen Verband, fühlen sich nicht mehr von ihm vertreten. Und das ist vielleicht eine Chance zum Umdenken. Ganz sicher bin ich mir da aber nicht, weil meine Erfahrung mit Umdenken der Landwirte noch nicht so ausgeprägt ist.

Kein Zurück ins 19. Jahrhundert

Frenzel: Was sind denn die Lösungen? In meiner kleinen, idyllischen Welt sehe ich den guten alten Bauern mit ein paar Hühnern, ein paar Kühen, Schweine, ein paar Hektar Getreide, und das am besten natürlich alles bio. Ist das realistisch als breite Grundlage für die Landwirtschaft, für die Versorgung einer ganzen Gesellschaft?
Habeck: Ein Zurück ins 19. Jahrhundert oder ins 12. Jahrhundert, das ist weder erstrebenswert noch realistisch. Keiner will, dass die Bauern mit Gicht geplagt hinterm Pflug hinterhergehen. Aber wir müssen die Leistung der Landwirte breiter definieren. Sie sind im besten Fall positiv Pfleger von Umwelt, sie wahren den Umgang mit der Kreatur, prägen den ländlichen Raum. All das wird nicht vergütet. Dabei geben wir Milliardenbeträge für die Landwirtschaft aus.
Noch grüne Getreidefelder prägen die Landschaft nahe Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg).
Noch grüne Getreidefelder prägen die Landschaft nahe Sieversdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg). © picture-alliance / dpa / Patrick Pleul
Und politisch geantwortet: Das, was am einfachsten zu sehen ist, ist: Diese Gelder werden nicht zielgerichtet ausgegeben. Wir sollten aufhören, Gelder einfach so in das System reinzukippen, sondern nur noch an Leistung binden, Tierschutz und Umweltschutz, und sonst gibt es die Gelder nicht! Das würde jetzt dazu führen, dass die Landwirte, die jetzt weniger Kühe hätten, weniger Milch produzieren würden, diesen Kühen aber mehr Raum geben würden, die auf die Weide gehen würden, die würden dafür bezahlt werden, dass die Kühe mehr Platz haben, für weniger Leistung mehr Geld zu verdienen, ohne dass der Steuerzahler mehr bezahlen muss, weil eben so sauviel Geld im System ist.

Wir wollen das günstigste Angebot nehmen

Frenzel: Kommen wir noch mal, Herr Habeck, auf uns, auf die Verbraucher! Ich glaube, es sind so sechs, sieben Prozent der Leute, die Bioprodukte kaufen, also nicht mal alle Grünen-Wähler. Sind wir einfach doch zu geizig?
Habeck: Ja. Als Teil unserer normalen Verbraucherwelt. Und das kann jeder für sich auch ehrlicherweise einräumen, ohne sich schämen zu müssen. Wir sind eben keine perfekten Menschen, und Gott sei Dank, würde ich sagen. Das wäre ja fürchterlich, wenn wir keine Fehler machen würden.
Wir sind als Verbraucher geizig, wie Sie sagen, verführbar durch Werbung, gehetzt, gestresst und wollen einfach das günstigste Angebot nehmen. Das gilt übrigens nicht nur für die Lebensmittel, sondern auch … Ich meine, fragen Sie sich, zu welchen Bedingungen unsere Hemden oder unsere Hosen produziert wurden, keiner weiß es.
Aber das spricht nicht dagegen, dass wir andere Produktionsverhältnisse haben wollen. Als Bürger, als wählende Menschen können wir Gott sei Dank anders entscheiden als im Tag getriebene Verbraucher. Das heißt, es ist möglich, eine bessere Politik zu entwickeln, ohne ein besserer Mensch zu sein. Und damit sollten wir endlich anfangen.
Es ist nicht so schwer zu sehen, wie die Agrarpolitik aufgestellt werden muss; dafür zu sorgen, dass 80 Millionen Menschen ihr Verkaufsverhalten ändern, ist geradezu unmöglich.
Frenzel: Robert Habeck sagt das, grüner Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein und einer der Kandidaten für die Spitzenkandidatur seiner Partei zur Bundestagswahl, das soll nicht unerwähnt bleiben. Herr Habeck, vielen Dank für das Gespräch!
Habeck: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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