Wie Usedom zur AfD-Hochburg wurde
Auf der Ostsee-Insel Usedom bekam die AfD bei der Landtagswahl im September jede dritte Stimme - so viele wie in keinem anderen Wahlkreis. Es folgte eine Debatte über Fremdenfeindlichkeit der Insel, die vom Tourismus lebt. Einige Usedomer sagen, das Wahlergebnis habe andere Gründe.
Usedom ist die zweitgrößte Ostsee-Insel Deutschlands. Es ist weithin bekannt für seine Kaiserbäder Ahlbeck, Heringsdorf, Bansin im Süden und für das ehemalige Peenemünder V2-Militärgebiet im Norden.
Geographisch betrachtet liegt der vorpommersche Tourismusmagnet am östlichen, also rechten Rand der Deutschlandkarte. Gesellschaftspolitisch scheint es neuerdings ähnlich zu sein, ging doch dort am 4. September 2016 jede dritte der abgegebenen Landtagswahl-Stimmen an die AfD – so viele wie in keinem anderen Wahlkreis.
Warum? Was hat die AfD auf Usedom richtig, was haben die anderen Parteien falsch gemacht? Und wie lässt es sich derzeit auf der sonnenscheinreichen Ostseeinsel leben und erholen?
Gekürztes Manuskript zur Sendung:
Ich komme von Norden. Meine erste Usedom-Station: Die Wolgaster Schlossinsel mitten im Peenestrom, der die Insel Usedom auf ihrer nördlichen Seite begrenzt.
In der Hafenstraße führt Henry Hahn sein Geschäft namens "Wolgaster Schiffsausrüster". Wie er da so an der Kasse steht, großgewachsen, schlank, Kapitänsbart, wirkt Hahn wie ein weitgereister Seefahrer. Er lacht. Zur See sei er nie gefahren.
Ich bin mit ihm verabredet, weil er sich vorigen Sommer in einem ausführlich abgedruckten Leserbrief an die "Ostseezeitung" mit Namen und Ort dazu bekannt hatte, die AfD zu wählen. Damit stand er am Wahltag, dem 4. September, nicht allein. Im Wahlkreis Wolgast-Usedom ging jede dritte abgegebene Stimme an die AfD.
Wie er den hiesigen Menschenschlag beschreiben würde, frage ich. Usedomer seien auf jeden Fall verlässlich, sagt Henry Hahn: "Wenn einer was anpackt, dann macht er das auch."
Also eher nicht so der Schaumschläger?
Hahn: "Ja, das ist alles ein bisschen ruhiger, dezenter. Nicht so, dass man eben mit der großen Kelle um sich haut. Man möchte sich natürlich gern ein bisschen in seiner eigenen heilen Welt bewegen. Das Fremde, das mag man auf den ersten Moment nicht so. Da ist man so ein bisschen ruppig."
Fremd kann auch schon der Sachse sein, oder?
Hahn: "Ja genau, das ist richtig. Mit dem Dialekt - da wird sich auch schon gern drüber lustig gemacht - (lacht). Wir haben hier sehr viel internationalen Tourismus. Die Leute sind da wirklich viel aufgeschlossener geworden im Gegensatz zu früher, so wie wir auch mit der Zuwanderung hier eigentlich sehr gut klarkommen. Bloß wenn man von den Sachen immer so überstürzt wird und nicht darauf vorbereitet wird, dann ist es natürlich so, dass man auch mal ein bisschen bockig reagiert. Aber das hat nichts grundlegend damit zu tun, dass die Menschen hier irgendwie schlecht sind, oder dass man die Meinung haben muss, man darf hier nicht mehr herfahren."
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"Ich würde die beiden Dinge nicht miteinander vermischen."
Das wird mir später in einem Usedomer Landgasthof eine Frau aus Köln sagen. Sie hat ihre Kindheit und Jugend im Hinterland von Usedom verbracht und besucht ihre alte Heimat. Auch Agnes Wiedemann hat von der Debatte in den Medien und sozialen Netzwerken gehört, die unmittelbar nach der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern losging:
Da fragten die einen besorgt, ob sie – weil sie ausländisch aussehen – noch gefahrlos auf Usedom Urlaub machen können.
Andere erklärten, sie würden ihr Geld keinesfalls mehr den Usedomern in den Rachen werfen, die von Fremdenverkehr lebten und sich doch derart fremdenfeindlich verhielten.
Doch Letzteres habe zumindest sie auf der Insel noch nie erlebt, sagt Frau Wiedemann. Sie werde sich ihren traditionellen Kurzurlaub mit Usedomer Freundinnen nicht vermiesen lassen.
"Denn politische Gesinnungen und mein Erholungseffekt sind zwei verschiedene Dinge. Wenn ich mich erholen will, würde ich jederzeit immer wieder auf die Insel Usedom fahren. Und tja – AfD-Mitglieder stehen nicht an der Straße und winken."
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"Wir leben in einem demokratischen Staat, und jeder hat das Recht seine Meinung zu äußern und die Partei zu wählen, wo er sich vielleicht mit identifizieren kann, mit deren Inhalten oder Sonstiges. Aber das hat so rein gar nichts damit zu tun, ob ich noch oder kann ich noch Urlaub auf der Insel Usedom machen darf oder nicht. Aber natürlich doch! Mecklenburg-Vorpommern ist eines der schönsten, ja sogar das schönste Bundesland. Das ist so."
Das sagt Manuela Köpke aus Peenemünde, wo bei der Landtagswahl vorigen September sogar jede zweite abgegebene Stimme an die Partei "Alternative für Deutschland" gegangen war. Hier – wie auch in einigen anderen Gegenden von Usedom – war die rechtsextreme NPD jahrelang sehr stark.
Sie war 2011 im gesamten Wahlbezirk noch auf 11,3 Prozent der Stimmen gekommen, mit Spitzenwerten wie 22 Prozent in der Stadt Usedom. Vorigen September war die NPD auch hier schon nicht mehr so attraktiv und erreichte nur noch 5,3 Prozent im gesamten Wahlkreis. Landesweit war es sogar noch deutlich weniger, so dass die NPD ihre Landtagsbüros räumen musste.
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Ja, sagt die Dritte im Bunde, Sylke Weber: Da hätten auch frühere NPD-Wähler ihr Kreuz bei der AfD gesetzt, zumal die NPD diesmal auf einen eigenen Direktkandidaten verzichtet hatte. Aber grundsätzlich erklärt sie sich die starke Zuwendung zur AfD so:
"Viele sind damals der NPD hinterhergelaufen. Wussten gar nicht, warum sie die wählen. Das war eine Flucht vor der Unzufriedenheit der bestehenden Parteien. Dann waren die PIRATEN dran. Alle sind den PIRATEN nachgerannt. Jetzt ist es die AfD. Jetzt laufen sie da alle hinterher. Also ich denke, wenn nächstes Jahr oder in zwei Jahren 'ne ganze andere Organisation auf den Tisch gelegt wird, denn laufen die auch wieder hinterher."
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Zurück im Laden von Henry Hahn, dem parteilosen AfD-Wähler aus Wolgast. Warum hat sich seiner Meinung nach jeder dritte Usedomer, der zur Wahl gegangen ist, für die "Alternative für Deutschland" entschieden?
"Aus Hass, aus Wut - das kann natürlich auch mal mit reinspielen. Gar keine Frage."
Sagt der Gewerbetreibende und meint vor allem die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, allen voran Kanzlerin Merkel.
Doch schon während der Hochzeit der Flüchtlingskrise Ende 2015 - Anfang 2016 hatte die Ostseeinsel Usedom nur eine verschwindend geringe Zahl an Flüchtlingen und anderen Asylbewerben aufgenommen. Viele Ferienorte wehrten sich dagegen. Auf Trassenheide brannte ein für die Aufnahme von 15 Flüchtlingen vorgesehenes Gebäude kurz vor Inbetriebnahme ab.
Es gab aber auch private Willkommensinitiativen und überhaupt, so Henry Hahn: Man könne die über Monate hinweg unkontrollierte Einreise hunderttausender Menschen aus fremden Kultur- und Religionskreisen falsch finden und die Haltung der AfD zu diesem Thema richtig. Und dennoch seien die wenigsten Usedomer geistige oder tatsächliche Brandstifter gegen Ausländer.
Außerdem hätten viele Leute die AfD aus anderen Gründen gewählt. Genau wie er, sagt der Wolgaster.
"Wir haben hier in der Region eine sehr große Altersarmut. Und wenn mir zwei Rentner sagen, dass sie zusammen 1500 Euro im Monat Rente haben, und man sagt, man braucht mindestens 900 Euro pro Person, um die Armutsgrenze nicht zu unterschreiten, dann kann man sich ausrechnen, was hier los ist. Und wir leben hier in einer Region, wo viele außerhalb arbeiten.
Wir hatten letztens wieder eine schöne Statistik in der Zeitung, wo stand, dass in Mecklenburg-Vorpommern das Kfz-Alter am höchsten ist. Das hängt dann auch damit zusammen, dass die Leute nicht die Autos fahren, weil sie auf alte Autos stehen. Sondern weil kein Geld da ist, sich ein neues zu leisten. Das sind so die ganzen Probleme, wo man sagt, man ist mit der Politik satt und man möchte gern eine Veränderung haben. Dann sagt man: Okay, wir haben uns mal für eine andere Partei entschieden, und wir haben ja nicht irgendwie was Schlimmes gemacht."
Zumal die AfD mehr als jede andere Partei das in den letzten Jahren stark gewachsene Gefühl der Vorpommern aufgenommen habe, dass das ferne mecklenburgische Schwerin desinteressiert oder überheblich über die Probleme der Menschen in den Randlagen hinwegregiert.
Dass Usedom keinen eigenen Autobahnzubringer hat und dass das im Touristen- und Lieferverkehr erstickende Wolgast nicht die so dringend benötigte Umgehungsstraße bekommt, verstehen sie hier nicht.
Und es gibt noch mehr Probleme.
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Wolgast, November 2016. Seit einem Jahr ist das Kreiskrankenhaus, das für die Versorgung der 12.300-Einwohner-Stadt und der Insel Usedom zuständig ist, um Geburtshilfe und Kinderstation ärmer. Eine privatwirtschaftliche Entscheidung, politisch abgesegnet von der damaligen SPD-Gesundheitsministerin.
Doch rund 250 Bürger wollen auch jetzt noch nicht hinnehmen, dass die die Wege ausgerechnet zu dieser Art ärztlicher Versorgung deutlich länger geworden sind. Man müsse nun einfach relativ weit hinaus aufs Festland fahren nach Anklam oder Greifswald, klagt diese junge Insulanerin mit Kinderwagen. Im Sommer sei das eine kleine Ewigkeit für Einheimische wie Touristen.
"Ich habe alle meine drei Kinder hier zur Welt gebracht und ich hatte sehr schwere Entbindungen. Ich habe dieses Kind noch kurz bevor die Station geschlossen wurde bekommen. Und die Vorstellung, dass ich in meinem Zustand noch nach Anklam oder nach Greifswald hätte fahren müssen, wäre eine Zumutung für mich als Schwangere gewesen. Und wenn ich dann an andere denke, die noch weiter fahren müssen von der Insel, dann ist das eine Beleidigung an die Frauen".
Was bedeutet es für die Stadt und auch für die Insel Usedom, dass es diese Stationen hier nicht mehr gibt?
"Für die Stadt ist es wieder ein Punkt, den wir weniger haben. Ein großer Verlust. Für die Insel, die so viel Tourismus hat, wirklich eine peinliche Angelegenheit. Dass man so viel Tourismus schafft und wirklich die Insel zubetoniert, und dann aber keine Infrastruktur in Form eines Krankenhauses besitzt, wenn dann mal etwas Schlimmeres passiert. Und generell ist es nicht zu kapieren, dass man diese Kinderstation, die Gyn-Station und auch die Geburtenstation ausgebaut hat für Millionen - und sie dann ein paar Jahre später schließt, um diese Millionen jetzt wieder nach Anklam zu schaffen."
Bürgermeister sprechen, Landespolitiker sind gekommen. Den größten Beifall erhält Schlussredner Ralph Weber von der AfD.
Der aus Baden-Württemberg stammende und nun in Greifswald lehrende Jurist war im Wahlkreis Wolgast/Usedom als AfD-Direktkandidat angetreten. Ortsfremd hin oder her - mit 35,3 Prozent der abgegebenen Stimmen und riesigem Vorsprung vor den Konkurrenten segelte der ehemalige Christdemokrat glatt nach Schwerin durch.
Nun sagt Professor Weber, er habe seinen Vorrednern zugehört und finde, es gebe "eine gute Chance", im Parlament die erforderliche Mehrheit von 36 Stimmen für "die Wiederbelebung der beiden geschlossenen Stationen" zu erreichen.
Und nun, zwei Monate später, hat die AfD-Fraktion das inzwischen höchst symbolträchtige Thema "Kreiskrankenhaus Wolgast" auf die Tagesordnung gesetzt. Die LINKE zieht in diesem Punkt mit der AfD an einem Strang, wenn auch mit einem eigenen Antrag. Der neu für Gesundheit zuständige Wirtschaftsminister Harry Glawe, CDU, zeigt sich gesprächs- und kompromissbereit.
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Klingt nach guten Nachrichten, doch die Usedomer werden sich ohne eine baldige positive Entscheidung nicht besänftigen lassen, glaubt Beate-Carola Johannsen aus Mölschow im Insel-Hinterland.
Ansonsten erklärt die Vorsitzende des Tourismusverbandes Insel Usedom e.V. die derzeit überdurchschnittlich verbreitete AfD-Sympathie unter den Insulaner so:
"Wir haben eine ganze Reihe regionaler Entscheidungen gehabt, die die Landesregierung getroffen hat, die die Menschen nicht verstehen, nicht akzeptieren. Das Amtsgericht, das weg ist. Das Finanzamt ist nach Greifswald umgezogen vor einiger Zeit. Und der i-Punkt ist natürlich das Krankenhaus gewesen. Wenn man sich alleine Wolgast anguckt, wie sehr die unter den Auswirkungen zu leiden haben und wie viel Kraftanstrengung diese Stadt erbringen muss, um lebendig zu bleiben, sich zu verändern. Und das hat man völlig außer Acht gelassen."
Allein der Tourismusverband Usedom habe nach der Landtagswahl vorigen September an die hundert schriftliche Reaktionen aus allen Teilen der Republik erhalten. Übrigens deutlich mehr als 2006 und 2011, da die rechtsextreme NPD ins Schweriner Parlament einziehen konnte, sagt die gebürtige Sächsin.
"Es hat sich schon 14 Tage, drei Wochen gehalten, dass immer wieder E-Mails von Gästen oder einfach von Menschen eingegangen sind, die ihre Meinung dazu äußern wollten, und die auch gesagt haben 'Jetzt kommen wir erst recht!', 'Jetzt kommen wir gar nicht mehr' bis hin 'Wir erwarten von euch auf der Insel, dass ihr Position bezieht!'.
Der Verband habe jede einzelne Mail beantwortet. Dabei ging es nicht darum, Position für oder gegen die AfD zu beziehen, sagt Frau Johannsen. Sondern unbegründete Ängste zu zerstreuen, die ihrer Meinung nach durch eine allzu oberflächliche Deutung des Usedomer Wahlergebnisses zustande kamen.
"Es arbeiten hier ganz viele ausländische Menschen. Also das wäre zu einfach zu sagen, es hätte einfach nur was mit einer Ausländerfeindlichkeit zu tun. Also im Moment sind es noch ein paar unbegleitete minderjährige Ausländer, die auf der Insel untergebracht sind. Ich glaube, es sind ein bis zwei Familien auf der Insel. Natürlich, Wolgast hat seine Häuser, wo die Ausländer, also die Asylbewerber, untergebracht sind.
Aber im Bundesmaßstab ist es zu vernachlässigen, wie viele Flüchtlinge wir hier in der Region haben. Aber die mediale Begleitung der gesamten Problematik, die hat natürlich dazu beigetragen, dass jeder – ob nun direkt betroffen oder auch nicht – sich aber doch betroffen gefühlt hat. Und wir haben natürlich auch alle ganz berechtigte Fragen dazu."
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Zu Gast in Ahlbeck, einem der drei "Kaiserbäder". Unter dem Vordach des Gemeindeamtes Heringsdorf-Ahlbeck finden die Rentner Siegfried Hartmann und Roland Lieckfeld Gelegenheit für eine Raucherpause. Der eine jobbt nebenher als Hausmeister im Gemeindeamt von Heringsdorf-Ahlbeck. Der andere kümmert sich um die Schulspeisung. Wie sich zeigt, hat sich Herr Hartmann in seinem Leben nie weit von seinem Geburtshaus fortbewegt.
Lieckfeld: "Immer hier geblieben. Außer als junger Bengel mal ein bisschen auf Montage. Ansonsten nur Heimat. Wo andere Urlaub machen, da leben wir."
Gibt es noch andere Gründe für Sie, auf Usedom und dann auch noch in Ahlbeck zu leben?
Lieckfeld: "Tja, Natur. Noch nicht so verbaut wie überall anders. Noch nicht so viel Beton. Die Lichtverhältnisse sind so eigenartig - das geht von Schwarz über Rot ins Blau und Grüne. Dazu die Wellengischt. Meine Schwester ist Berlinerin, Fotografin. Die steht manchmal um vier Uhr im Sommer auf. Dann runter an die Küste. Und macht ihre Bilder, manche auch in Schwarz-Weiß. Hervorragend."
Hartmann: "Das einzig Störende sind die Radfahrer, die im Sommer im Urlaub nur einmal aufs Rad steigen und nicht wissen, was sie hier tun. Dat hat so zugenommen bei uns mit dem Fahrradtourismus. Die Promenade ist voll und dann: Hans Guck in die Luft - wo bin ick? Klack, den nächsten angefahren. Das passiert hier so oft."
Dass sich dieses Problem dank eines spürbaren Usedom-Boykotts entschärfen wird, glauben auch die beiden Rentner nicht. Doch auch sie wollen ein Missverständnis ausräumen: Die meisten Usedomer hätten bei der Wahl im September gar nicht so sehr FÜR die Politik der AfD gestimmt als vielmehr GEGEN die Politik der Großen Koalitionen in Schwerin und Berlin. Und ja, auch gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel.
"Wir haben ja nur wenige Flüchtlinge hier, aber das wirkt sich doch irgendwie aus. Das Schlimme ist ja, wenn man hört, die Asylbewerber kriegen soundso viel Geld. Und der Rentner bei uns kriegt soundso viel Geld und kriegt keine Unterstützung. Wenn ich die Mieten hier sehe - wir haben schon Wohnungen mit teilweise 12 Euro pro Quadratmeter!"
Kalt oder warm?
"Kalt. Kalt. Und das verärgert die Leute. Sie kriegen keine Unterstützung. Ja, und dann sagen sie sich: 'Wähle ich AfD'. Ganz klar eine Protestwahl."
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Ein paar Häuserecken weiter an der Strandpromenade. Zu Gast im "Das Ahlbeck". Hoteldirektorin Petra Bensemann führt mich in die oberste Etage in ein Appartement, in dem auch schon die Hauptdarstellerin der Fernsehserie "Usedom-Krimi" Katrin Sass entspannt habe.
"Wir haben einen traumhaften Blick durch diese schönen Panoramafenster und haben auf einmal diese wunderschöne Ostsee vor uns. Sie gucken nach rechts. Da haben wir heute sehr schön klar die Stadt Swinemünde mit der Molen-Einfahrt. Dahinter verbirgt sich auch schon die Insel Wollin. Wir können sogar Mistroj heute sehen."
Ich würde sagen, da regnet es gerade, oder?
"Ja, genau. Wir haben das schon hinter uns. Das Wolkenspiel ist ein ganz anderes bei uns auf der Ecke."
Das Wolkenspiel am Himmel wirkt tatsächlich, als hätten sich expressionistische Maler mit aller Leidenschaft an einer riesigen Staffelei ausgetobt. Wenig später erscheint durch den Mix aus Abendsonne und Regen ein doppelter Regenbogen über dem Meer. Das Licht auf Usedom - wieder einmal unbeschreiblich.
Petra Bensemann weist noch einmal nach rechts Richtung Polen.
"Was das Schönste ist für mich: Ich bin ein Kind der Insel, und ich bin so großgeworden, dass ich nur drei Kilometer laufen konnte. Dann war da ein Stacheldrahtzaun im Wasser bis noch runter in die Ostsee rein auf unserer Seite. Dann kam das Niemandsland, und dann auf der polnischen Seite genau das Gleiche.
Polen ist ja erst 2004 der EU beigetreten und seit dem 21. Dezember 2007 haben wir ja erst diese offenen Grenzen. Und im Zuge dessen ist auch dieser wunderschöne Fahrradweg entstanden. Sie können sich jetzt entscheiden loszufahren und dann sind Sie in 20 Minuten an der Promenade in Swinemünde und können sich dort das Leben angucken. Und können dann ganz gewiss wieder zu unserer schönen Bäderarchitektur zurückkehren."
Hoffentlich wollen in den klassischen Kaiservillen auch künftig genügend Touristen Urlaub machen. Bei den polnischen Nachbarn geht nämlich die Post ab. Vor gut einem Jahr beschlossen die dortigen Stadtväter, die Übernachtungskapazitäten von derzeit 7000 auf dann 17.000 Betten auszubauen. Schon entstehen dort direkt am Strand riesige Hotelkästen.
Die deutschen Hoteliers müssten wachsam sein, mahnt Hoteldirektorin Bensemann. Sie berührt ein schon lange schwelendes Problem, denn entlang der mecklenburgisch-vorpommerschen Ostseeküste nimmt so mancher Hotelier und Gastwirt den bisherigen Besucherboom für selbstverständlich. Dabei sprechen manche Gäste längst von Abzocke bei mangelnder Servicequalität.
"Gastfreundschaft hegen und pflegen mussten die Usedomer schon immer. Was jetzt neu dazugekommen ist: Dass das nichts mehr von alleine kommt. Dass man eine hohe Qualität anbieten muss, und nicht nur die Qualität, sondern auch die Freundlichkeit. Und Service. Dienstleistungsbereitschaft."