"Deradikalisierung ist langfristige Arbeit"
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Abschieben! Diese Forderung wurde erneut erhoben, nachdem mutmaßlich ein Syrer einen Mann in Dresden erstochen hatte. Darüber müsse man reden, aber nicht als einzige Lösung, sagt der Psychologe Ahmad Mansour. In der Prävention könne man viel mehr tun.
Liane von Billerbeck: Eine Bluttat in Dresden vor ein paar Tagen, ein islamistischer Gewalttäter, ein den Behörden gut bekannter Syrer sticht auf offener Straße auf Passanten ein, ein Mann stirbt, ein zweiter wird lebensgefährlich verletzt. Wenn so etwas geschieht und man hört, junger Syrer, hat schon im Gefängnis gesessen, war den Behörden bekannt, dann heißt es sofort: Schiebt ihn doch ab!
Klingt einfach, ist es aber leider nicht: Wie abschieben in ein Land, in das nicht mal Flugzeuge fliegen? Was, wenn der oder die Gewalttäter hier aufgewachsen sind, und muss man nicht langfristig über andere Wege nachdenken, um solchen Radikalisierungen entgegenzuwirken? Das will ich jetzt wissen von Ahmad Mansour. Er ist Psychologe und Extremismusexperte und hält heute Abend die Berliner Rede zur Freiheit bei der Friedrich-Naumann-Stiftung.
In der Debatte um den tatverdächtigen Angreifer von Dresden dreht sich fast alles um eine mögliche Abschiebung solcher Gewalttäter. Mal abgesehen von den praktischen Hürden einer Abschiebung nach Syrien, hilft in einem solchen Fall denn gar nichts anderes mehr?
Radikalisierungstendenzen unter Jugendlichen aller Herkunft
Mansour: Definitiv nicht. Wir können enorm viel tun, wir müssen auch enorm viel tun, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die betrifft übrigens nicht nur Flüchtlinge, sondern Radikalisierungstendenzen sind etwas, was wir unter Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund merken. Natürlich sollten wir auch über Abschiebung reden, aber nicht als einzige Lösung.
Menschen, die hierher nach Deutschland kommen, die das Asylrecht so dermaßen missbrauchen, die eine Gefährdung der Mehrheitsgesellschaft, unserer Gesellschaft darstellen, müssen auch mit einem starken Rechtsstaat rechnen.
Aber das ist nicht die einzige Lösung. Ich frage mich, was hat man mit ihnen im Gefängnis getan, warum hat es nicht funktioniert mit der Beobachtung dieses Menschen auch nach der Haftentlassung? Es gibt viele Sachen, wo wir besser sein müssen, vor allem in der Prävention auch, Abschiebung ist nur eine Symboldebatte, die leider notwendig ist, aber uns nicht weiterbringt.
von Billerbeck: Sie machen auch selbst Deradikalisierungsarbeit in Gefängnissen. Wie läuft so was ganz praktisch ab, wie muss ich mir das vorstellen – reden Sie da nur?
Mansour: Wir machen Präventionsarbeit, wo es eigentlich darum geht, alle zu erreichen und sie gegen radikale Tendenzen zu immunisieren durch Gespräche, Vertrauen aufbauen, Denkanstöße geben, Alternativen zeigen, ihnen die Möglichkeit zu geben, auch stärker auftreten zu können gegen jegliche Extremisten, die sie vielleicht auch anwerben wollen.
Deradikalisierungsarbeit ist immer eine individuelle, langfristige, langjährige Arbeit, wo es darum geht, erstmal das Vertrauen dieser Menschen zu gewinnen, mit ihnen zu reden. Aber das Allerwichtigste ist natürlich rauszufinden, was waren die Gründe für die Radikalisierung, warum fand jemand diese Ideologie so attraktiv, was fehlte ihm in seiner Entwicklung, in seinem Leben?
Dann natürlich über die Ideologie zu sprechen, Denkanstöße zu geben, ihn zu bewegen, nachzudenken, zu hinterfragen, sich zu distanzieren und dann letztendlich auch ihm zu helfen, auszusteigen aus solchen Ideologien.
Viele Parallelen zwischen Islamisten und Rechtsextremisten
von Billerbeck: Mich erinnert manches ein bisschen so an die Arbeit mit Rechtsextremen, da hat es ja auch solche Ausstiegsprogramme schon gegeben. Wie kommen Sie denn an der Art radikalisierte Islamisten heran?
Mansour: Erstmal gibt es unfassbar viele Parallelitäten zwischen Islamisten und Rechtsextremisten, auch in der Ursache, aber auch in den Schwerpunkten dieser Ideologie. Beide teilen ein patriarchalisches Weltbild, beide sind sehr skeptisch gegenüber Mainstream, der Antisemitismus, das Frauenbild – das sind ganz viele Sachen, die die beiden Ideologien teilen.
Wir arbeiten in Gefängnissen, und die Jugendlichen, die schon als Gefährder oder als Radikale gelten, haben die Möglichkeit, dieses Gesprächsangebot wahrzunehmen und sozusagen zu reflektieren. Die müssen das nicht tun, aber die Kunst ist dabei, das Vertrauen dieser Menschen zu gewinnen, ihnen klarzumachen, dass diese Gespräche jetzt nicht nur darum gehen, sie von ihrer Ideologie zu trennen, sondern vor allem ihnen die Möglichkeit zu geben, über ihre Kindheit, über ihre Beziehung zu ihren Eltern, über ihre Schulzeit zu reflektieren. Viele nehmen das auch in Anspruch, weil sie auch eine Krise erleben und unzufrieden mit ihrem Leben sind.
Das Wichtigste ist der Wille, etwas zu ändern
von Billerbeck: In welchen Fällen kann denn so eine Deradikalisierung gelingen und wann muss man sagen, das hat keinen Zweck mehr?
Mansour: Wir können überhaupt keine Erfolgsgarantie geben. Das ist eine Arbeit, die wir machen müssen, weil die Zeit im Gefängnis genutzt werden muss, um diesen Menschen die Möglichkeit zumindest zu geben, sich zu deradikalisieren. Sie sehen ja, was passiert, wenn sie entlassen werden, und wie viel Energie das kostet, überhaupt solche Menschen zu beobachten. Das Allerwichtigste aber ist die eigene Verantwortung und vor allem der Wille, etwas zu ändern.
Also, wenn ich irgendwo bei Menschen bin und ich merke nach ein, zwei Monaten, dass sie überhaupt nicht in der Lage sind, zu reflektieren, oder nicht gewillt sind, etwas zu ändern, dann macht das keinen Sinn und dann muss man das auch weitergeben.
Aber es gibt bei vielen Menschen dadurch, dass sie im Gefängnis vor allem viel Zeit haben und man sie auch ernst nimmt in solchen Gesprächen und ihnen die Möglichkeit gibt, auch ihre Sicht darzustellen, die Chance, dass man ihr Vertrauen gewinnt und dadurch auch viel erreichen kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.