Odyssee eines afghanischen Musikers
Er ist ein Vorzeigeflüchtling: der afghanische Arzt und Musiker Ahmad Shakib Pouya. Er spricht Deutsch, spielte am Theater in München und hatte feste Jobs. Seiner Ausweisung kam er zuvor, indem er freiwillig nach Kabul zurückkehrte. Dort schwebt er in Lebensgefahr.
Eckhard Roelcke: Ahmad Shakib Pouya, das ist ein Zahnarzt und Musiker aus Afghanistan. Vor acht Jahren ist er nach Deutschland geflohen. Er hat hier Kontakte geknüpft, hat in einer Beratungsstelle für Flüchtlinge gearbeitet. Er hat als Musiker Kontakte geknüpft, unter anderem zum Orchester des Theaters am Gärtnerplatz in München, er spricht fließend Deutsch und ist ganz offensichtlich bestens integriert. Doch dann folgte die Ausweisung: Afghanistan, so die offizielle Linie der Bundesregierung, ist ein sicheres Herkunftsland, zumindest in großen Teilen und auch in Kabul, und der afghanische Arzt und Musiker Pouya, er ist seiner Abschiebung zuvorgekommen und freiwillig nach Kabul zurückgekehrt. Dort ist er nun in höchster Gefahr. Bestätigt hat das Albert Ginthör, er ist Geiger im Gärtnerplatz-Orchester und hat Pouya nach Kabul begleitet. Am Telefon begrüße ich nun Cornelia Lanz, sie gehört zum Vorstand des Vereins "Zuflucht Kultur". Dieser Verein versucht unter anderem Ahmad Shakib Pouya eine Perspektive in Deutschland zu geben. Einen schönen guten Abend, Frau Lanz!
Cornelia Lanz: Hallo, guten Abend!
Roelcke: Pouya ist in Kabul. Was hat er denn in den vergangenen Tagen dort erlebt?
Lanz: Oh je, die Ankunft in Kabul hat sich als schrecklicher herausgestellt, als wir es gedacht hatten: Wir hatten zuerst gar keine Möglichkeiten, mit Institutionen dort vor Ort in Kontakt zu treten, sprich die Deutsche Botschaft haben wir tagelang nicht erreicht. Das Goethe-Institut hat uns ganz klar gesagt, dass sie keine Garantie für ausländische Künstler oder Künstler, die nach Kabul reisen, übernehmen können und für keinerlei Sicherheit geradestehen können. Am Sonntag hatten wir dann Kontakt mit einem Herrn vom Goethe-Institut, der tatsächlich am Montagmorgen noch ganz kurzfristig einen Kontakt mit der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft ausgemacht hat und dann den Geiger Albert Ginthör und Pouya in einem gepanzerten Wagen abgeholt hat und in die Botschaft gebracht haben. Also auch die deutschen Botschafter dort sind wirklich nur in der Botschaft und fahren mit gepanzerten Wagen zum Flughafen, und kein westlich aussehender Mensch läuft dort mehr auf der Straße rum, nur noch ein paar todesmutige CNN-Redakteure.
Roelcke: Warum hat denn der Geiger Ginthör jetzt Herrn Pouya begleitet?
Lanz: Wir hatten im Januar drei Aufführungen unserer Mozart-Oper "Zaide", weil der Pouya auch eine Hauptrolle singt, und Albert Ginthör war unser Veranstalter vom Deutschen Forum für Musik und Theater, und er hat gesagt, wenn Pouya hier mit uns auf der Bühne steht, kann ich ihn nicht zwei Tage danach einfach abreisen lassen und das hinnehmen, dass er dann direkt abgeschoben wird, ich begleite ihn aus Solidarität.
Roelcke: Hier, was bedeutet hier?
Lanz: Hier in seiner Veranstaltung, in seiner Oper in München, die er veranstaltet, und auch wir alle von "Zuflucht Kultur" einfach versucht haben, uns sehr einzusetzen für Pouya mit Petitionen, mit Journalisten, mit anderen Kulturschaffenden, mit Bischöfen, mit Spitzenpolitikern wie Claudia Roth, um Pouya ein Bleiberecht in Deutschland zu ermöglichen, weil wir sind der festen Überzeugung, dass jemand, der in seinem Heimatland in Todesgefahr schwebt, hier nach unserem Grundgesetz und nach unserem Asylrecht Asyl bekommen sollte.
Roelcke: Also auch ein ganz großes Risiko, dass der Geiger Ginthör da eingegangen ist.
Mal eine ganz einfache Frage: Da kommt jemand nach Kabul – woher wissen denn die Taliban, dass dieser Mensch aus ihrer Sicht ein Feind ist? Hat er sich da irgendwie öffentlich geäußert, ist er irgendwie eine bekannte Figur?
Die Taliban warfen eine Bombe auf sein Haus
Lanz: Ja, er hat erst vor ein paar Monaten regimekritische und talibankritische Lieder auf YouTube veröffentlicht, für die er auch selber die Texte geschrieben hat, und er ist schon vor sechs Jahren überhaupt erst ausgereist, weil die Taliban eine Bombe auf sein Haus warfen. Er hat damals in einem europäischen Krankenhaus gearbeitet, und das hat den Taliban nicht gepasst. Sein Vater ist dann auch an einem Herzinfarkt gestorben.
Roelcke: Beschreiben Sie doch, was Pouya in den letzten Jahren in Deutschland gemacht hat, wie er vernetzt war. Ich habe das ja schon angedeutet.
Lanz: Also man kann fast sagen, Pouya ist ein maximalintegrierter Vorzeigeflüchtling: Er ist gelernter Zahnarzt, er hat in der Altenpflege gearbeitet, er hat in fünf Sprachen übersetzt – Hindi, Paschtu, Urdu, Englisch, Deutsch –, sogar bei deutschen Gerichten. Er hatte einen festen Job bei der IG Metall in der Flüchtlingsberatungsstelle, er hat Auftritte mit "Zuflucht Kultur" und anderen Theatern bis hin zum Bundespräsidenten gehabt, wo er dem Präsident auch ganz eindrucksvoll gesagt hat, Herr Präsident, ich habe hier zwei Minuten mein Lied zu singen. Ich singe nur eine Minute, weil ich Ihnen sagen möchte, ich möchte Teil dieser Gesellschaft sein, ich möchte hier Steuern zahlen, bitte geben Sie mir eine Chance! Da bin ich auch der festen Überzeugung, dass jemand, der sich über sechs Jahre derart konstant integriert, auch eine Bereicherung für unsere Gesellschaft ist, sich hier einbringt, ja wirklich auch zeigt, dass er einfach nicht zurückkann, weil sonst würde er diese unglaublichen Mühen auch nicht machen, und dass wir ihm eine Chance geben sollten, weil wir solche Menschen brauchen, die hier aktiv sind.
Roelcke: Höchste Gefahr für Künstler in Kabul, jetzt speziell für Ahmad Shakib Pouya. Frau Lanz, die Botschaft hat diese Gefahr bestätigt, das Goethe-Institut vor Ort hat das bestätigt. Nun behauptet die Regierung, die Bundesregierung, Afghanistan sei ein sicheres Herkunftsland. Das passt ja irgendwie nicht zusammen. Ist das Wunschdenken aus Berliner Sicht, ein Wunschdenken, das offensichtlich nichts mit der Realität gemein hat?
"Afghanistan ist nirgendwo sicher"
Lanz: Also wir sind ja wirklich Kulturschaffende, und wir wollen ja gar nicht so politisch sein, aber was sich jetzt wirklich zeigt, ist, dass Afghanistan keineswegs ein sicheres Herkunftsland ist. Ich habe letztens gelesen, dass es das viertunsicherste Land auf dieser Welt ist. Der UNHCR hat vor ein paar Tagen eine Studie herausgegeben, da stand, dass nirgendwo Afghanistan sicher ist. Egbert Tholl von der "Süddeutschen" wollte Pouya begleiten und sein Kollege, der 20 Mal in Kabul war, hat gesagt, du bist wahnsinnig, ich fliege nie wieder nach Kabul, da sind überhaupt keine deutschen Journalisten mehr, du bist Zielscheibe für Entführungen, wenn du dort als westlicher Mensch hingehst, weil sie den tollen Sport dort haben, Lösegelderpressungen für westlich erkennbare Menschen zu machen. Also es zeigt wirklich, dass es einfach keineswegs sicher ist und auch, dass gerade Künstler, die sich positionieren, dort in Lebensgefahr schweben.
Roelcke: Pouya wurde nicht abgeschoben, er ist freiwillig ausgereist.
Lanz: Na ja, freiwillig ... Erzwungen.
Roelcke: Ja, freiwillig, erzwungen, also er ist seiner Ausweisung zuvorgekommen. Deshalb kann er jetzt auch wieder in Kabul einen Wiedereinreiseantrag stellen, ein Visum beantragen. Wie beurteilen Sie denn seine Erfolgsaussichten?
Lanz: Ich hoffe sehr, dass er eine Chance hat. Er hat hier einen festen Arbeitsvertrag bei der IG Metall, er hat viele Auftritte mit unserem Verein in Zukunft. Wir würden am liebsten gleich im Februar mit ihm nach Brüssel fahren zu einer Tagung "European Innovation Lab". Er hat jetzt einen festen Vertrag angeboten gekriegt vom Gärtnerplatz-Theater. Also er hat Angebote für feste Jobs noch und noch, und natürlich stirbt die Hoffnung zuletzt, dass er zurückkommen kann, aber erst mal in Lebensgefahr zu schweben, war natürlich für uns alle ein unglaubliches Zittern.
Roelcke: Vielleicht gelingt es ja, und das ist ihm natürlich sehr zu wünschen, aber natürlich muss man auch die Frage stellen, vielen, vielen gelingt das nicht, die nämlich nicht so eine Öffentlichkeit haben, über die im Radio nicht gesprochen wird.
Lanz: Ja, natürlich kämpfen wir mit Pouya auch für andere Afghanen und Flüchtlinge, die wir natürlich auch in unserem Team haben und die auch alle jetzt umso mehr bibbern, weil Pouya schon auch immer wieder ein Motivator war und gesagt hat, wenn ihr hier in Deutschland mitmacht, wenn ihr die Sprache lernt, wenn ihr euch engagiert, wenn ihr euch nichts zuschulden kommen lasst, dann habt ihr hier eine Chance. Als er dann wirklich abgeschoben war, war schon eine große Frustration auch unter den anderen Afghanen und Pakistani vor allem.
Roelcke: Die Geschichte von Ahmad Shakib Pouya, er ist in Kabul und dort in höchster Gefahr. Cornelia Lanz war das vom Verein "Zuflucht Kultur". Frau Lanz, Dankeschön!
Lanz: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.