Ahmed Saadawi: "Frankenstein in Bagdad"

Monströse Zeiten

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Cover des Buch "Frankenstein in Bagdad" von Ahmed Saadawi
Von der Metapher über ihre Materialisation zurück zur Metapher: "Frankenstein in Bagdad" von Ahmed Saadawi. © Assoziation A / Deutschlandradio
Von Thomas Wörtche · 14.02.2020
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"Frankenstein in Bagdad" von Ahmed Saadawi spielt in einer buchstäblich vom Krieg in Stücke gerissenen Gesellschaft. Dieser großartige Kriminalroman verbindet realistische und phantastische Elemente und verknüpft den Schrecken mit Komik.
Bagdad, circa 2005/2006. Die Stadt leidet unter den Kriegsfolgen, Chaos herrscht, überall explodieren Bomben, die Verwaltung ist dysfunktional. Die Profiteure der Situation verteilen Macht und Reichtum neu, Gewalt ist überall. Monströse Zustände erschaffen Monster, zumindest metaphorische.

Eine Metapher, die sich materialisiert

In dem Roman "Frankenstein in Bagdad" von dem Dokumentarfilmer und Romancier Ahmed Saadawi materialisiert sich die Metapher: Der Trödler Hadi erschafft ein richtiges, klassisches Monster, indem er einzelne Körperteile von Menschen, die von Bomben zerrissen worden waren, zusammenfügt.
Als dann auch noch die Seele eines tapferen Hotelwachmanns, auch er Opfer eines Bombenattentats, körperlos wird, sucht sie sich eine neue Heimat: eben den künstlichen Körper des "Monsters".

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In klassischer Tradition hat die Kreatur keinen Namen, man nennt sie den "Soundso" - und ebenso klassisch richtet sich der Zorn des Geschöpfs zunächst gegen die Urheber der verschiedenen Anschläge. Da ist dann auch das obskure "Amt für Beobachtung und Beurteilung" ratlos, das sich mit transrationalen Phänomenen beschäftigt und unter anderem Astrologen auf der Lohnliste hat.

Politische Interessen im Macht-Vakuum

Das Bagdad, das Saadawi zeichnet, ist ein faszinierendes Amalgam aus "realistischen" und phantastischen Elementen. Auf der einen Seite geht es um handfeste politische Interessen, um Immobilien und Investitionen, um neue Machtstrukturen, die das Vakuum nach der Baath-Partei und Saddam Hussein auszunutzen trachten.
Auf der anderen Seite wird alles aufgerufen, was die arabischen, muslimischen, christlichen, antiken und jüdischen Traditionen – der Irak war nie ein "homogenes" Land – zu den Themen Körper und Seele, Prometheus, Golem oder Pygmalion zu sagen haben, und das obskure Amt steuert eine kafkaeske Dimension bei.
Aber alles eben nur aufgerufen, mitklingend, vage verweisend. Auch "Frankensteins Monster" ist nur ein sehr weitläufiger Verwandter von Dr. Victor Frankensteins Kreatur. Er entsteht aus der Verzweiflung, aus dem Chaos, aus Zufall, nicht aber aus der menschlichen Hybris, Gott spielen zu wollen.

Utopisches Moment der Hoffnung

Die Reibung zwischen den realistischen und phantastischen Elementen des Romans erzeugt inmitten des Schreckens Komik, die auch die Lektürevariante "Satire" eröffnet, die dann wiederum eher in der Tradition von Gogol oder Bulgakow anzusiedeln wäre. Und damit stellt sich der Roman deutlich in eine anti-totalitäre Linie, die ideologische, religiöse und politische Gewissheiten zersetzt und dabei ein utopisches Moment von Hoffnung behauptet.
Das Monster "Soundso" durchläuft so eine Transformation von einer Metapher zu ihrer Materialisation und zurück wieder zur Metapher – der einer zerrissenen, zerfetzten und wieder zusammengestoppelten gesellschaftlichen Konstellation, die kaum eine andere Option hat, als mörderisch zu sein, bis sie irgendwann vielleicht wieder versöhnt sein wird. Ein großartiges, vielschichtiges und extrem vergnügliches Buch.

Ahmed Saadawi: "Frankenstein in Bagdad"
Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich
Assoziation A, Berlin & Hamburg 2019
295 Seiten, 22 Euro

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