"Censored: Ai Weiwei's Films"
Babylon Berlin, 19.-24. Februar 2020
Der entzauberte Held
08:49 Minuten
Ai Weiweis Verhältnis zu den Medien hat sich gewandelt, sagt die Journalistin Ruth Kirchner. Einst habe er sie für seine Selbstinszenierung benutzt, aber sie hätten ein verzerrtes Bild von ihm geschaffen.
Ai Weiwei mag Deutschland nicht mehr. In einem Interview mit dem Guardian hat der chinesische Künstler Deutschland fremdenfeindlich genannt, der Nationalsozialismus sei noch immer in der Gesellschaft präsent. Ai Weiwei ist deshalb nach Cambridge gezogen. Sein Studio hat er allerdings noch in Berlin. Er stellt auch in Deutschland aus. Im Babylon Berlin wird zur Berlinale eine Werkschau seiner Lang- und Kurzfilme gezeigt.
Die Journalistin Ruth Kirchner hat zehn Jahre lang als ARD-Korrespondentin in China gearbeitet und Ai mehrfach getroffen. Sie sagt: "Diese Interviews sind nicht nur eine Abrechnung mit Deutschland, sie enthalten für mich auch sehr viele problematische Aussagen, unbewiesene, teils falsche Vorwürfe, Gerüchte, Verallgemeinerungen über Deutschland und die Deutschen, die ich ausgesprochen schwierig finde."
Projektionsfläche für Medien
Ai Weiwei sei in den deutschen Medien entzaubert worden. Seit seinem Auftritt bei der Documenta 12 in Kassel ist er in Deutschland bekannt und durch seine mediale Präsenz zu einer Projektionsfläche geworden. Das habe zu einem verzerrten Bild in der Öffentlichkeit geführt.
"Wir haben in ihm immer schon den Warner, den Kritiker, den Dissidenten gesehen", so Kircher. Ai Weiwei wolle aber nicht so sein. Er habe sich beklagt, dass man sich weniger für seine Kunst als seine politischen Ansichten interessiere. Allerdings finde sie, dass seine Kunst in China hintergründiger gewesen sei, seine jüngeren Werke seien "weniger subtil und direkter".
Erwartungen nicht entsprochen
"Er ist in eine komische Rolle gedrängt worden, als das Gewissen Chinas, als die bessere Seite Chinas. Und da fällt es auch sehr viel schwerer, eine Person in ihrer gesamten Komplexität, in ihrer Widersprüchlichkeit und vielleicht auch mit ihren negativen Seiten wahrzunehmen und anzuerkennen, dass jemand vielleicht nicht so der Held ist, zu dem man ihn so gern stilisiert hat."
Dabei habe Ai Weiwei immer schon die Medien benutzt und sich stark inszeniert. "Er liebt die Selbstinszenierung." Heute wirke er damit aber eitel. Andererseits hätten ihn die Medien nicht mit der nötigen kritischen Distanz betrachtet. "Und die Enttäuschung ist umso größer, wenn jemand dann nicht unseren Erwartungen entspricht."
Sein Umzug nach England passe zu dem Künstler. Kirchner zufolge entspricht Ai Weiwei das Unbehauste und Heimatlose. "Er reibt sich an allen Orten, an denen er ist. Ich kann mir schwer vorstellen, dass er in Cambridge seinen Frieden findet. Ich glaube, er wird irgendwann weiterziehen."
(leg)