"Censored": Ai-Weiwei-Filmretrospektive im Berliner Kino Babylon
Bis zum 24. Februar sind dort 52 Filme zu sehen – darunter die Dokumentation "The Rest".
Der Chronist der Verfolgten
08:19 Minuten
Der chinesische Künstler Ai Weiwei klagt mit seiner Kunst immer wieder Missstände an. Bei der Eröffnung seiner Filmretrospektive "Censored" in Berlin kritisierte er besonders die europäische Scheinheiligkeit im Umgang mit Menschenrechten.
Seit Ai Weiwei nach seiner Freilassung aus dem chinesischen Gefängnis im Westen weilt, beurteilt er seine Situation und seine Glaubwürdigkeit offenkundig neu. Seit 2015 begann er damit, sich den Westen und dessen oft bigottes Menschenrechtsverständnis vorzunehmen, wahrscheinlich auch schon infolge einiger Erfahrungen mit Museen, die ihn nicht mehr so unterstützten wie zur Zeit seiner Inhaftierung.
Raus aus der Dissidentenrolle
Jedenfalls will er schon lange raus aus seiner Dissidentenrolle, die ihn beständig als Deckmantel für kulturpolitische Spielchen erscheinen lassen könnte. Also nutzt er seinen medialen Status, den er immer noch hat, und benennt das Schicksal der Flüchtlinge als Beispiel für den europäische Umgang mit den Menschenrechten.
"Was wir in den letzten Jahren erlebt haben im Umgang mit den Flüchtlingen, kann ich nur als Schande bezeichnen. Ich kann nicht glauben, dass das Europa sein soll, das Europa, das die Menschenrechte, Redefreiheit und die Menschenwürde hochhält. Selbstbezogen, engstirnig, betrügerisch gegenüber ihren eigenen Prinzipien", so Ai.
Kritik vermischt mit persönlicher Enttäuschung
Auch wenn er in seiner Kritik die Situation in Deutschland und Europa etwas grob und stereotyp überzeichnet: Er steht in Sachen Provokation der Öffentlichkeit zum einen in einer langen modernen Tradition. Jenseits dieser Überzeichnungen vertritt er hinsichtlich der europäischen Flüchtlingspolitik keineswegs exotische oder besonders radikale Auffassungen, sondern eine durchaus verbreitete Kritik. Diese mischt sich freilich, wie er sagt, mit seiner persönlichen Enttäuschung, die sicherlich auch mit der dreimaligen Ablehnung seiner Filme durch die Berlinale zu tun hat.
Er habe 23 Länder bereist, mehr als 40 Flüchtlingscamps besucht, gehe an die Orte, die die Öffentlichkeit gesehen haben muss – alles das gehört zu seinem künstlerischen, aufklärerischen Selbstverständnis, schon um nicht mehr als Günstling oder moralische Tarnung der westlichen Wirtschaftspolitik gegenüber China gelten zu wollen.
Vor China in die Knie gegangen
Jede Jury, so stellt Ai klar, hat natürlich das Recht, sich für oder gegen einen Beitrag zu entscheiden. Doch in diesem Fall haben ihn seine eigenen Erfahrungen auf einen anderen Verdacht gebracht: "China ist nichtmehr nur China, es ist völlig integriert in die globale Kultur und Politik. Also sehen wir Unternehmen und auch kulturelle Institutionen, die ihre Prinzipien haben opfern müssen, um China zufriedenzustellen. Denn als größter Markt der Gegenwart repräsentiert China die Zukunft."
Er habe sich nach den Ablehnungen seiner Filme den Markt in Hollywood angeschaut, sagt er. Dabei habe er einige Parallelen zum Kunstbereich entdeckt: "Dasselbe könnte auch die Situation für Berlin sein. Gut, ich kann es nicht beweisen. Aber ich habe auch schon bei diversen Ausstellungen in Museen die Erfahrung gemacht, dass ich von deren Direktoren angesprochen wurde, nach dem Motto: 'Wir können dich leider nicht weiter unterstützen, weil dein Name unseren Sponsoren oder unseren Trägern nicht länger gefällt'."
Spätestens hier hätte man gern einmal ein paar konkrete Namen gehört. Doch der Moderator des Abends teilte diese Neugier offenkundig leider nicht.
Stimme der Geflüchteten
Der jüngste Dokumentarfilm Ais, "The Rest", feierte im voll besetzten Kino Babylon im Anschluss seine Premiere. Er nähert sich als Fortsetzung von "Human Flow" erneut den Geschichten der Geflüchteten, ebenso wie dieser betont narrativ und im Bemühen, vor allem den Opfern und Verfolgten eine Stimme zu geben, aber immer auch gepaart mit einer gewissen Dramatisierung durch den Bildschnitt und die musikalische Untermalung.
Die Bilder sind als Appelle an die Menschlichkeit zu verstehen, dabei wird auf übermäßige Ästhetisierung verzichtet. Dadurch bilden sie eine eindringliche Dokumentation einzelner Schicksale, die sich nicht mit Debattenfolklore abbügeln lassen. Auf der Berlinale jedenfalls waren schon wesentlich schwächere Filme zu sehen.