In Deutschland soll Human Flow ab dem 16. November 2017 in die Kinos kommen.
Weltreise - auf den Spuren der Flüchtlinge
In seinem ersten langen Dokumentarfilm "Human Flow" hat der chinesische Künstler Ai Weiwei die weltweiten Migrationsbewegungen beschrieben. "Human Flow" feierte seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Venedig. Christiane Peitz hat den Film angeschaut.
"Mein Name ist Mohammed Hassan, ich komme aus dem Irak", sagt der junge Mann und Ai Weiwei reicht ihm einen Becher Tee. 65 Millionen Flüchtlinge gibt es derzeit auf der Welt, die größte Völkerwanderung seit 1945. Das ganz große, globale Bild zeigen und zugleich das einzelne Schicksal, ist das möglich? Der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei versucht es in seiner 140-minütigen Flüchtlingsdokumentation "Human Flow", die auf dem Filmfest Venedig Weltpremiere feierte.
Ein Jahr Dreharbeiten
Ein gutes Jahr lang hat der in Berlin lebende Künstler für seine erste Kinoproduktion mit zwei Dutzend Teams überall in der Welt gedreht, in halb Europa, im Nahen und Mittlern Osten, in Bangladesch, der Subsahara, in Idomeni, in Calais, am Flughafen Tempelhof und etlichen weiteren Notunterkünften und Grenzübergängen. Eine Weltreise, in die Ai Weiwei hineingestolpert ist, wie der Regisseur in Venedig auf die Frage hin erzählt, warum er selber so oft im Bild ist.
"Ich war im Urlaub auf Lesbos mit meinem Sohn. Wir sahen, wie ein Flüchtlingsboot strandet und ich fing an, das mit meinem Smartphone zu filmen. Als wir dann begonnen haben, das Material zu strukturieren, hatten wir nicht die Absicht, mich selbst ständig ins Bild zu setzen. Aber wir wollten ehrlich vorgehen, also keinen History-Channel-Film machen und mich selber lieber als diesen etwas ahnungslosen Mann zeigen, der bis heute nicht wirklich versteht, was da vor sich geht. Ich bin der Zuschauer, der das herausfinden will, gleichzeitig schauen die Leute mir zu. Das hat eine gewisse Ehrlichkeit."
Die Absicht in Ehren, aber ein Erkenntnisgewinn wächst der ehrgeizigen internationalen Produktion durch die Dauerpräsenz Ai Weiweis nicht zu. Das ethische Dilemma des Zuschauers thematisiert "Human Flow" jedenfalls nicht. Bei aller Empathie kann der Filmemacher, können wir Nicht-Flüchtlinge nach dem Anblick der Elendsschauplätze wieder nach Hause zurückkehren und lassen die Geflüchteten zurück.
Eine verfolgte muslimische Minderheit in Bangladesch. Junge Mädchen im Gazastreifen. Die amerikanisch-mexikanische Grenze. Wüstenwanderer in der Sahara. Erschöpfte Mittelmeer-Boat-People auf den Rettungsbooten der NGOS. Palästinensische Flüchtlingsviertel in Jordanien, im Libanon. Der Film wechselt die Schauplätze und Protagonisten, man kommt kaum hinterher.
Gestrandet an den Stacheldrahtzäunen
Wie lässt sich die horrende Menge der Flüchtlinge ins Bild setzen? Ai Weiwei versucht es unter anderem mit Drohnenflügen etwa über die UN-Camps an der syrischen Grenze. Er versucht es auch mit eingeblendeten Zahlen, Fakten, mit Statements von Betroffenen, Helfern und Experten, mit Versen arabischer und asiatischer Lyriker.
In Venedig wird Ai Weiwei gefragt, ob er Lösungen weiß für die Flüchtlingskrise.
"Es ist eine menschliche Tragödie, aber wir sind alle Teil der Lösung. Wir wissen die Antwort. Wenn wir uns den anderen verbunden fühlen und die Menschheit als Einheit begreifen, dann haben wir die Lösung. Wenn wir stattdessen aber über Geopolitik, Gesetzgebungen oder technische Probleme reden, dann versäumen wir das Wesentliche."
Migration ist ein Menschenrecht, heißt es einmal im Film. Wie wohlfeil die Rede von der Humanität sein kann, beweist ein kurzes Interview mit der jordanischen Prinzessin Dana Firas, die die Menschlichkeit ihres Landes preist, ohne dass Ai Weiwei nach den seit Jahrzehnten menschenunwürdigen Palästinenser-Siedlungen fragt. Immerhin zeigt "Human Flow" auf eindrückliche Weise, mit welch rigoroser Effizienz Europa die Flüchtlingsfrage an die Außengrenzen wegdrängt und Zigtausende an Stacheldrahtzäunen stranden lässt.
Die Folgen des Türkei-Abkommens
Er zeigt, als Folgen des Türkei-Abkommens, die Rechtlosigkeit der dorthin zurückgeführten Heimatlosen. Er zeigt die Hoffnungslosigkeit in Gaza, die Gefahren der Radikalisierung einer ihrer Identität beraubten Jugend, Mütter, die mitten in Europa um heißes Wasser für Säuglingsmilch betteln. Beschämende Szenen, und doch stellt sich durch die schiere Häufung so etwas wie Gewöhnung ein. Oder errichtet man sich im Kinosaal mit solcher Kritik nur einen Schutzmechanismus gegen den moralischen Appell, den jedes einzelne Filmbild enthält?
Es geht nicht um Flüchtlinge, es geht um uns alle, betont der Regisseur in Venedig. Jeder kann handeln, kann die Politik unter Druck setzen, Diskussionen anregen. Jeder muss bei sich selbst anfangen, sagt Ai Weiwei.
"Human Flow", der bislang größte, wenn auch streitbare Kinofilm zur Migration in der Welt.