"Wer wie ich in Südafrika lebt, kommt am Thema HIV und Aids nicht vorbei. Jeder kennt jemanden, der HIV-positiv oder an den Folgen von Aids gestorben ist. Auch ich. Deshalb hat es mich überrascht und erschüttert, wie viele Mythen sich immer noch um HIV ranken. Und wie viele Männer sich nach wie vor weigern, ein Kondom zu benutzen."
"Sie sterben lieber, als Kondome zu nutzen"
Südafrika hat eine der höchsten HIV-Infektionsraten weltweit. Schätzungen zufolge sind über sechs Millionen Südafrikaner positiv. Aufklärungsarbeit ist nicht einfach: Denn noch immer ranken sich viele Mythen um HIV, und viele Männer weigern sich, Kondome zu benutzen.
Es ist laut, heiß und es riecht intensiv nach Ammoniak. Aber daran gewöhnt man sich, meint Brandon Kohrs. Der Produktionsmanager steht mitten in der riesigen Halle, in der die einzigen Kondome "Made in Südafrika" hergestellt werden. Alles beginnt mit einer milchigen, zähflüssigen Naturlatex-Suppe in einer Metallwanne.
"Der Latex wird mit Ammoniak konserviert. Außerdem wird damit verhindert, dass die Flüssigkeit gerinnt und sich Klumpen bilden."
Denn jede noch so kleine Unregelmäßigkeit kann dazu führen, dass das Kondom ein Loch bekommt oder reißt. Nach und nach tauchen Glaskolben in die Latexwanne. Sie hängen an einer Art Zahnradbahn. Lange Röhren, die in charakteristischen Zipfeln enden. Mit einer feinen Gummischicht überzogen, tauchen sie milchig glänzend wieder auf und verschwinden in einem Metallkasten.
"Nach dem Bad werden sie in einem Ofen getrocknet. Dieser Vorgang wird dann noch einmal wiederholt. Die Kondome bestehen also aus zwei Schichten. Hier im oberen Teil der Maschine durchlaufen sie anschließend mehrere Heißluftkammern zur sogenannten Vulkanisierung, die sie elastisch und widerstandsfähig macht. Danach kühlen sie ab und werden von der Form gestreift."
Brandon Kohrs bleibt in der Mitte der rund zehn Meter langen Produktionskette stehen. Dort werden die Kondome mit weichen Bürsten von den Glaskolben gestreift. Nahezu 200 Millionen Stück spuckt die Maschine jedes Jahr aus. Wesentlich weniger als die rund 55 Millionen Südafrikaner im Jahr brauchen, um sich gegen die grassierende HIV-Epidemie zu schützen. Trotzdem ist RRT Medcon der einzige Hersteller im Land und der größte in ganz Afrika. Der Löwenanteil wird importiert. Aus einem einfachen Grund, erklärt der Vorsitzende des Unternehmens, Sikhulu Mtshali. Ein stylish angezogener Mann, schmale Hose, Jackett mit Einstecktuch, der gerade die sonst eher hemdsärmelige Produktionshalle betritt.
"Die Hürden sind sehr hoch, zum einem weil man für eine solche Produktion enorme Summen investieren muss, zum anderen weil man dafür viel Fachwissen braucht. Diese großen Maschinen, die sie hier sehen, werden alle importiert. Man braucht viel Geld um sie zu kaufen, hierher zu verschiffen und zu warten. Dazu kommen extrem hohe Qualitäts- und Sicherheitsstandards dieser Industrie. Die Kondome durchlaufen während der Herstellung 20 bis 30 Tests."
Im Raum nebenan werden die frisch produzierten Kondome in großen Waschmaschinen gewaschen, dabei mit Silikon und Puder beschichtet, damit sie nicht aneinander kleben und erneut getrocknet. Angel Bull kippt eine Ladung auf einen Beistelltisch. Das ist der erste Sicherheitscheck, erzählt die zierliche Frau mit dem Haarnetz lächelnd, während sie jedes Kondom routiniert kritisch beäugt.
"Das Leben von Menschen liegt in unseren Händen"
"Wir kontrollieren zuerst, ob es sichtbare Fehler gibt. Löcher, Falten oder Verklebungen. Dann folgen weitere Tests: Jedes einzelne Kondom wird auf kleinste Löcher getestet. Außerdem führen wir in Stichproben eine ganze Reihe anderer Materialkontrollen durch. Ich bin stolz darauf, dass ich diese Verantwortung mit trage. Denn in gewisser Weise liegt ja das Leben von Menschen in meinen Händen."
Die junge Angestellte sortiert die Kondome konzentriert weiter, zieht sie in die Länge und legt sie in zwei Plastikwannen - die makellosen in eine, die fehlerhaften in die andere. Es ist so leicht, sich damit zu schützen, sagt sie nach einer Weile. Und es wäre so wichtig. Wie jeder Südafrikaner hat Angel Nachbarn, Freunde oder Verwandte, die HIV-positiv oder sogar an den Folgen der Immunschwächekrankheit Aids gestorben sind. Ihre Heimat hat eine der höchsten Infektionsraten weltweit. Schätzungen zufolge sind über sechs Millionen Südafrikaner positiv.
"Es macht mich wütend, wenn ich sehe, dass die Leute Kondome, die sie zum Beispiel in der Klinik bekommen haben, einfach wegschmeißen. Die Herstellung kostet viel Geld. Trotzdem bekommen die Leute die Gummis umsonst. Aber sie verstehen immer noch nicht, wie wichtig es ist, sie auch zu benutzen."
Angel Bull schüttelt verärgert den Kopf. Sie ist in einem Township im Norden von Durban aufgewachsen. In diesen dichtbesiedelten Vierteln bestimmen die drei "A" den Alltag der Menschen: Armut, Arbeitslosigkeit und Aids.
Ntuzuma ist eines dieser Townships. Auf den Hügeln stehen Blechhütten und Steinhäuschen dicht an dicht, soweit das Auge reicht reflektieren die Wellblechdächer in der Sonne. Auf der Veranda eines der vielen kleinen Häuschen verpacken ein paar Frauen Kondome in Plastiksäckchen. Aus einem großen Karton fischen sie jeweils einen Streifen mit sechs roten und sechs goldenen. Und überlegen kurz: Ein Dutzend Kondome sollten für eine Woche reichen.
"We put six red and six gold per person for a week. We just want to make it look nice and attractive, so that young people will be attracted to them, start taking and using.”
Armut, Arbeitslosigkeit und Aids
Attraktiv sollen die Kondompäckchen aussehen, so dass junge Leute sie auch benutzen, betont Mandisa Dlamini. Die 30-Jährige engagiert sich seit Jahren als Aids-Aktivistin in ihrem Heimatviertel. Einmal in der Woche verteilen sie und ihre Mitstreiterinnen in der Nachbarschaft Kondome, die ihnen Hilfsorganisationen zur Verfügung stellen.
"Wir haben herausgefunden, dass die Leute die alten Kondome der Regierung ablehnen; die mit der dunkelblauen Verpackung. Sie haben ein regelrechtes Stigma. Einige behaupten, dass man sich durch diese Kondome mit HIV infiziert, oder mit anderen Geschlechtskrankheiten. Natürlich versuchen wir, diesen Mythos zu entkräften. Aber solange es ihn noch gibt, setzen wir auf andere farbenfrohe Marken. Es ist zwar absurd, aber die Verpackung scheint den Leuten wichtiger, als der Schutz. Zugespitzt gesagt sterben sie lieber, als die dunkelblauen Kondome zu benutzen, über die alles Mögliche gesagt wird."
Die Frauen sind startbereit. Mehrere Dutzend Kondompäckchen liegen sauber verpackt in zwei Kartons. Einer für jede Gruppe, die zu ihrer Mission in unterschiedliche Richtungen aufbrechen.
"Beeil dich, du brauchst dich nicht zu schminken, um Kondome zu verteilen", ruft Mandisa einer der Frauen zu, die ihr Make-Up daraufhin etwas verschämt wieder in ihrer Handtasche verstaut. Mandisa selbst ist eher der sportliche Typ: schwarze Jeans, gestreiftes Shirt und Turnschuhe. Statt den langen Extensions, die bei vielen jungen Südafrikanerinnen heißbegehrt sind, hat sie ihre Haare in Zöpfchen geflochten, die eng am Kopf anliegen.
Langsam und zunehmend außer Atem folgen die Frauen der steilen, ungepflasterten Straße den Hügel hinauf. Am Wegesrand zupfen ein paar angepflockte Ziegen zwischen Plastiktüten und Müll an kargen Grasbüscheln. Eine Frau wäscht vor ihrer ärmlichen Blechhütte Wäsche in einer Plastikwanne. Ein Mann öffnet die Tür eines der vielen Plumpsklos, kleine Verschläge, die etwas abseits der Ein-Raum-Häuschen und Wellblechhütten stehen. Darüber hängt ein Wirrwarr an Kabeln, angezapfte und ungesicherte Stromleitungen. Auf einer der geraden Strecken balanciert eine Ratte.
Mandisa und ihre Mitstreiterinnen gehen auf einen Schiffscontainer zu. Ein typischer Township-Kiosk. Der Verkäufer schaut skeptisch durch die vergitterte Öffnung an der Längsseite. So verbarrikadiert schützt er seine Tageseinnahmen vor Überfällen. Denn hier in Ntuzuma grassiert die Kriminalität, so wie in vielen Townships Südafrikas. Hinter ihm stapelt sich ein bescheidenes Sortiment auf schmalen Holzregalen: Seife, Süßigkeiten und Maismehl.
Ob er auch Kondome im Angebot habe, will Mandisa wissen. Der Verkäufer nickt zögerlich. Ob er auch welche kostenlos an seine Kunden verteilen würde. Noch ein Nicken. Die roten seien wirklich gut, fügt sie hinzu und schiebt ihm ein paar Päckchen unter dem Gitter hindurch.
Die Frauen gehen weiter. Selbstbewusst begrüßen sie die Leute, die ihnen begegnen. Auch wenn einige verlegen wegschauen. Uns sind die Kondome schon lange nicht mehr peinlich, sagt Mandisa. Das können wir uns angesichts der hohen HIV-Infektionsrate nicht leisten. Als sie die Hauptstraße erreichen, rufen sie einem vorbeifahrenden Minibustaxi zu. Wie wäre es mit ein paar Kondomen? Der Fahrer hält und lehnt sich aus dem Fenster.
"Diese Jungs benutzen keine Kondome"
Mandisa redet auf den Familienvater ein. Doch der will trotz aller Überredungskunst von Kondomen nichts wissen. Ich bin verheiratet und brauche keine, sagt er mit einer abwehrenden Handbewegung. Außerdem sei es doch unschicklich, über so etwas in der Öffentlichkeit zu sprechen, noch dazu mit jungen Frauen. Das Kreuz an seinem Rückspiegel schaukelt kräftig, als er hupend davon fährt.
"Religiöse und ältere Menschen wie er verstehen immer noch nicht, warum auch sie sich schützen sollten. Sie fragen uns, warum wir gerade sie ansprechen. Und was sie ihrer Frau erzählen sollen, wenn sie mit Kondomen nach Hause kommen."
Nur ein paar Schritte weiter wartet auf Mandisa ein weiterer Härtetest. Am Straßenrand taxiert sie eine ganze Gruppe junger Männer, einige waschen ihre Minibustaxis, andere lümmeln sich mit ihren Handys auf den Rücksitzen oder stehen einfach nur herum. Ihre Augen mustern unangenehm langsam jeden Zentimeter der Frauen, die ihnen entgegenkommen. Doch die lassen sich davon nicht einschüchtern.
Ob sie auch Kondome mit Schokoladengeschmack haben, will einer wissen, oder welche in Extra-Large. Woher sie überhaupt wissen, ob diese Gummis auch wirklich gut sind? Habt ihr sie selbst ausprobiert, fragt ein anderer? Und sein Kumpel fügt grinsend hinzu: Wenn nicht, dann könnten wir das jetzt gleich nachholen. Doch nichts kann Mandisa und ihre Mitstreiterinnen aus der Fassung bringen. Sie bleiben sachlich und freundlich, trotz der anzüglich-dummen Sprüche.
Er brauche ohnehin keine Kondome, sagt ein bulliger Typ, der breitbeinig auf der Sitzbank eines der Minibustaxis sitzt. Denn ich habe Blutgruppe A, fügt er fast triumphierend hinzu. Damit bin ich immun gegen eine HIV-Infektion! Mandisa versucht ihn mit Fakten zu überzeugen. Aber der Aufklärungsversuch scheitert. Jedenfalls vor seinen versammelten Freunden will sich der Mann keine Blöße geben. Wenn du doch mal wissen willst, wie das mit HIV wirklich ist, dann komm einfach vorbei, bietet Mandisa ihm noch an, verabschiedet sich freundlich und geht weiter.
"Diese Jungs benutzen keine Kondome. Und das Gespräch mit ihnen zeigt, wie viele Mythen sich noch immer um die Krankheit ranken. So einen Unsinn wie mit der Blutgruppe hören wir oft. Diese Minibusfahrer sind eine echte Risikogruppe. Sie sind jung, mobil, haben Geld und deshalb auch Erfolg bei Frauen. Sie holen ihre wechselnden Freundinnen von der Schule ab, bringen sie zur Arbeit, zahlen ihnen manchmal sogar ein Taschengeld und geben ihnen das Gefühl, zu einer wichtigen Clique zu gehören. Und das wirkt gerade auf junge Frauen attraktiv."
Auf dem Rückweg haben die Aids-Aktivistinnen dann doch wieder etwas mehr Erfolg. Einige Passanten nehmen die Kondompäckchen dankend an. Letzter Stopp ist eine schummrige Kneipe, vor der schon am Vormittag ein Grüppchen deutlich angeheiterter Männer vor ihren Literflaschen Bier sitzt.
"Ich werde nicht sterben, sondern noch lang leben"
Nehmt einfach ein paar Kondome, sagt Mandisa freundlich. Es ist besser, wenn ihr die in der Tasche habt. Ihr wollt hier ja heute Abend nicht mit einem schönen Mädchen stehen und dann merken: Oje, ich hab ja gar nichts dabei. Mit gespielt besorgtem Gesicht stülpt Mandisa das Innenfutter ihrer Hosentaschen um. Alles leer, sagt sie mit weit aufgerissenen Augen. Der kleine Sketch kommt gut an.
Wie heißt du noch einmal, fragt einer der Männer, nachdem er sich gleich zwei Kondompäckchen eingesteckt hat. Mandisa wiederholt ihren Namen. Du bist also die Tochter von Gugu, sagt er. Sie nickt. Es tut mir sehr leid, was mit deiner Mutter passiert ist, meint der Mann, der mit einem Schlag völlig nüchtern erscheint, mit ernstem Gesichtsausdruck. Mandisa bedankt sich für die netten Worte und verabschiedet sich dann zügig.
Schweigsam machen sich die drei Frauen auf den Nachhauseweg. Die Vergangenheit hat sie eingeholt. Kurz vor Weihnachten 1998 ist Mandisas Mutter Gugu Dlamini ganz in der Nähe auf bestialische Weise ermordet worden. Eine Gruppe Männer hat sie mit Messern, Knüppeln und Steinen angegriffen. Danach haben sie die bewusstlose Schwerverletzte einen Hang herunter geworfen und einer Nachbarin gesagt, die Familie könne ihren, so wörtlich, "Hund" nun abholen. Auslöser der Gewalt war ein öffentliches Geständnis nur wenige Wochen zuvor.
"Meine Mutter hat das Schweigen vieler Menschen gebrochen, nicht nur in diesem Viertel, sondern in ganz Südafrika. Sie war die erste Frau, die sich im öffentlichen Rundfunk und Fernsehen dazu bekannte, dass sie HIV-positiv ist. Das war damals ein Tabubruch. An der Hauptstraße vom Township nach Durban hing ein riesiges Plakat, auf dem ein Skelett zu sehen war. Darüber der Slogan: HIV tötet. Die Leute hatten eine Riesenangst vor jedem, der infiziert war. Ich erinnere mich noch, wie meine Mutter kurz zuvor mit mir über ihre Krankheit gesprochen hat. Sie sagte: Ich werde nicht sterben, sondern noch lang leben. Leider kam es anders. Nicht HIV, sondern unsere eigenen Leute haben ihr Leben ausgelöscht."
Mandisa war damals gerade 14. Doch kaum einer wollte ihr helfen. Die Nachbarn hatten sich sogar geweigert, ihre schwerverletzte Mutter ins Krankenhaus zu bringen - aus Sorge, sie würden den tödlichen Virus nie wieder aus ihrem Auto bekommen.
Meine eigene Tante hat mich aus diesem Haus geworfen, erzählt Mandisa weiter, als sie die Veranda wieder betritt, auf der sie vor einer guten Stunde mit den anderen Frauen aufgebrochen ist. Bis zu dem brutalen Mord hat sie hier mit ihrer alleinerziehenden Mutter gewohnt. Eine Kneipenbesitzerin nimmt das traumatisierte Mädchen damals auf. Allerdings nicht nur aus Mitleid.
"Ich habe etwa drei Jahre dort gelebt. Es war eine harte Zeit. Diese Frau hat mir wirklich wehgetan. Aber heute frage ich mich, was ohne sie aus mir geworden wäre. Ich hatte ja niemand sonst. Sie hat mir wenigstens Essen und ein Dach über dem Kopf gegeben. Auch wenn ich dafür hart arbeiten und auch sonst einen hohen Preis bezahlen musste. Ich konnte zur Schule gehen, auch wenn ich den größten Teil des Unterrichts verschlafen habe, weil ich immer so müde war. Meine Mitschülerinnen nannten mich Dornröschen. Aber wenigstens war ich nicht ganz mittellos."
Nachdenklich lässt die heute 30-Jährige ihren Blick über die ärmliche Nachbarschaft streifen. Wie viele Mädchen in der Gegend erlebt sie damals auch sexuelle Gewalt. Wenig später ist sie schwanger. Nach der Geburt ihres Sohnes hält sie es nicht mehr aus und flüchtet in die gut 600 Kilometer entfernte Hauptstadt Pretoria. Ihre Hoffnung auf ein besseres Leben erfüllt sich dort tatsächlich. Sie wird von einer liebevollen Familie adoptiert, die sie auch behutsam dazu bringt, sich testen zu lassen.
"Es fiel ihnen schwer zu sagen: Deine Mutter war HIV positiv, also solltest auch du dich testen lassen. Stattdessen ging die ganze Familie zum Test. Es war ein Schock, als ich das Ergebnis erfahren habe: Ich war negativ. Damit hatte ich nicht gerechnet. Denn ich hatte zuvor ja etliche Male ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt. Zur Sicherheit machte ich direkt einen zweiten Test."
Nach der Diagnose schöpft Mandisa neuen Lebensmut. Unterstützt von ihrer neuen Familie macht sie Abitur und studiert sogar. Nicht viele haben so viel Glück im Unglück.
"Nach dem Studium fragte ich meine Adoptivmutter, wie ich ihr je für all das danken könnte, was sie für mich getan hat. Sie antwortete: Am besten wäre es, wenn du zurückgehst und all den anderen Mandisas, in deiner alten Heimat hilfst. Und so ist es dann auch gekommen. Als erstes habe ich mich mit den Mördern meiner Mutter und deren Familien getroffen und ihnen vergeben. Das war sehr wichtig für mich, um wirklich neu anfangen zu können. Danach habe ich mich auf die Suche nach Mädchen und jungen Frauen gemacht, die in einer ähnlichen Lage sind, wie ich früher, um sie über die Krankheit aufzuklären und sie stark zu machen."
Das Haus ihrer Mutter ist heute der Sitz ihrer eigenen Stiftung, der Gugu Dlamini Foundation. Ein weißer Schiffscontainer dient als Büro. Neben einem kleinen Schreibtisch lagern Kartons mit Kondomen und Aufklärungsmaterial. In dem kleinen steilen Garten wächst Gemüse, das direkt in der Küche zubereitet wird. Die Frauen unterhalten sich fröhlich, während sie Möhren schälen, Maisbrei anrühren und Spinat waschen. Nach Schulschluss kommen Dutzende Kinder aus der Nachbarschaft, darunter viele Aids-Waisen, um hier etwas zu Mittag zu essen und Hausaufgaben zu machen, erklärt Mandisa stolz. Doch bis dahin dauert es noch ein paar Stunden.
Immer mehr Menschen sprechen über HIV
Gemeinsam mit ein paar anderen jungen Frauen stellt sie die Plastikstühle auf der Veranda in einen Kreis. Einmal im Monat kommen alle freiwilligen Helferinnen der Stiftung zusammen, um über ihre eigenen Sorgen und Hoffnungen zu sprechen. Einige sind selbst HIV-positiv, andere sind indirekt von der Krankheit betroffen. Etwa durch den Tod der Eltern oder eine Infektion des Partners. Das gesellschaftliche Stigma ist seit dem Mord an meiner Mutter deutlich kleiner geworden, sagt Mandisa, während die Frauen sich nach und nach setzen.
"Ich würde sagen, dass etwa die Hälfte der Leute hier mittlerweile offen mit der Krankheit umgeht. Statt zu schweigen, sprechen sie über HIV. Aber die andere Hälfte verheimlicht ihre Infektion noch immer. Sie füllen ihre Medikamente in Multi-Vitamin-Fläschchen um, weil sie Angst haben, ausgegrenzt zu werden. Das Stigma kommt aber nicht nur von außen, sondern die Leute stigmatisieren sich auch selbst. Sie verachten sich, weil sie HIV positiv sind. Sie glauben nicht an sich. Sie hören auf, von der Zukunft zu träumen. Sie brechen die Schule ab, machen die ganze Welt für ihr Elend verantwortlich. Viele junge Leute denken noch immer, HIV sei ein Todesurteil."
"Welches Leben erträumt Ihr Euch? Wer würdet ihr gern sein?", fragt Mandisa, als sich alle gesetzt haben. Ihr könnt nicht ewig umsonst für meine Stiftung arbeiten. Sie soll nur ein Sprungbrett für eine eigene, selbstbestimmte Zukunft sein. Eine HIV-Infektion ist kein Grund, alle seine Ziele aufzugeben.
Reihum stellen sich die Frauen vor: Eine junge Mutter, deren Baby auf ihrem Arm eingeschlafen ist, würde gern eine erfolgreiche Geschäftsfrau sein. Eine HIV-positive Mittdreißigerin Sozialarbeit studieren. Und eine langhaarige, schlanke Schönheit träumt von einer Karriere als Schauspielerin.
Und warum sind diese Träume noch nicht in Erfüllung gegangen, will Mandisa wissen? Die meisten Frauen schauen verlegen auf den Boden. Einige sind ungewollt schwanger geworden und mussten die Schule abbrechen. Andere haben ihre Eltern verloren und mussten auf die kleineren Geschwister aufpassen. Wieder andere wurden selbst krank. Und natürlich fehlen auch Jobs und Geld. Typische Schicksale in Südafrikas Townships.
Gemeinsam überlegen die Frauen, wie sie ihrem Traum trotz allen Herausforderungen näher kommen können. Helft euch gegenseitig, statt auf den Erfolg der anderen neidisch zu sein, betont Mandisa. Nutzt die Kurse, die wir hier in der Stiftung anbieten, um euch weiterzubilden. Fangt an, Entscheidungen für euer eigenes Leben zu treffen, statt euch einfach treiben zu lassen. Habt den Mut, beim Sex auf Kondome zu bestehen. Auch wenn die Männer das nicht mögen. Setzt kein weiteres Baby in die Welt, wenn ihr es nicht ernähren könnt. Seid euren Kindern ein Vorbild; ansonsten werden sie eure Fehler wiederholen.
Mandisas Ton ist streng und herzlich zugleich. Die Frauen nicken, einige lächeln ermutigt. Andere machen ein ernstes Gesicht, versunken in ihre Gedanken, als Mandisa sich von ihnen verabschiedet.
Am nächsten Morgen treffen sich die Frauen auf der Veranda wieder. Dazu kommen nach und nach ein Dutzend Nachbarinnen und sogar einige wenige Männer. Manche begrüßen die Anwesenden lautstark, andere setzen sich still auf einen der Plastikstühle.
"Quacksalber sind unser größtes Problem"
Mandisa betritt die Veranda gemeinsam mit einem jungen Mann, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "HIV-positiv" trägt. Sandile Khumalo besucht die Stiftung einmal im Monat zu einer Art Aufklärungsstunde. Er ist Aktivist der "Treatment Action Campaign", der Organisation, die sich seit fast 20 Jahren gegen die Stigmatisierung und für die Rechte HIV-Positiver in Südafrika stark macht. Mehrfach ist sie erfolgreich gegen die Regierung vor Gericht gezogen, die AIDS lange verharmlost hatte; die Krankheit auf Armut statt auf das Virus zurückgeführt und für Knoblauch und Rote Beete statt für lebensrettende antiretrovirale Medikamente geworben hatte.
Es ist Aktivisten wie Sandile Khumalo zu verdanken, dass Südafrika heute das weltweit größte Behandlungsprogramm hat. Doch der Kampf ist damit noch nicht zu Ende, sagt er, während er drei große leere Seiten Papier mit Klebeband an der Wand befestigt.
"Es ist ein Meilenstein, dass allein hier in der Provinz Kwazulu-Natal mittlerweile 1,6 Millionen Menschen Medikamente erhalten. Sorgen bereitet uns aber, dass viele ihre Pillen nicht regelmäßig einnehmen oder die Behandlung abbrechen. Das führt unter anderem zu Resistenzen - und wir haben hier in Südafrika noch nicht viel Auswahl, was die Therapien angeht."
Starke Nebenwirkungen, aber auch das Gefühl wieder gesund zu sein sind nur zwei Gründe dafür, dass die Leute ihre Medikamente auf eigene Faust absetzen, erzählt Sandile weiter.
"Hier in Durban sind Quacksalber unser größtes Problem. Prediger und Heiler, die behaupten, Aids heilen zu können. Es ist wichtig, immer wieder klarzustellen, dass HIV nicht mit heiligem Wasser oder rituellen Handlungen fortgespült werden kann. Wir müssen immer noch betonen, dass Aids bislang unheilbar ist."
"Guten Morgen Genossen", begrüßt Sandile Khumalo die Runde in alter Freiheitskämpfer-Tradition. Wir werden heute über Prävention, die sogenannte Postexpositionsprophylaxe und neue Behandlungsmöglichkeiten sprechen. Er schreibt die drei Begriffe auf die Poster an die Wand. Einige der Frauen machen sich Notizen.
Sandile erklärt, was nach einer Vergewaltigung zu tun ist, dass es Medikamente gibt, die eine HIV-Infektion unmittelbar nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr verhindern können. Er erzählt von neuen Medikamenten, die wesentlich geringere Nebenwirkungen haben. Noch sind sie sehr teuer, unerschwinglich für arme Township-Bewohner. Aber wir arbeiten daran, dass die Patente fallen und Südafrika preiswerte Generika bekommt, verspricht Sandile. Einige Frauen stellen Fragen und auch Mandisa Dlamini hört dem engagierten Aktivisten aufmerksam zu.
"Die Medikamente haben eine große Wirkung: Die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen. Bei vielen HIV-Positiven liegt die Viruslast mittlerweile unterhalb der Nachweisgrenze. Sie sehen nicht mehr krank aus, sie fühlen sich auch gesund und können arbeiten gehen. Angesichts der Fortschritte bei der Behandlung hoffen sie nun, dass es bald auch ein Heilmittel geben könnte."
Trotz aller Fortschritte aber sind Kondome noch immer der beste Schutz, betont der Aids-Aktivist gegen Ende seiner Aufklärungsstunde. Er sitzt noch eine ganze Weile mit der Gruppe zusammen. Die Frauen bringen jedem einen Pappteller mit Hühnchen und Weißbrot, dazu ein Glas Saft. Mit dem gemeinsamen Essen klingt der Vormittag langsam aus. Es tut gut zu hören, dass die Aids-Forschung vorankommt, bilanziert Mandisa Dlamini. Aber von einer HIV-Freien-Generation, die die Vereinten Nationen sich zum Ziel gesetzt haben, ist es noch ein weiter Weg.
"Vielleicht ist es in 20 oder 30 Jahren soweit. Auf dieses Ziel arbeiten wir alle hin. Aber wenn man den Leuten hier auf der Straße zuhört, dann weiß man, dass noch eine Menge Arbeit vor uns liegt. Wir brauchen vor allem einen Bewusstseinswandel: Es ist doch verrückt sein Leben zu riskieren, nur weil das Kondom nicht attraktiv verpackt ist. Millionen Kinder in Südafrika wachsen noch immer ohne Eltern auf, die heute noch leben könnten. Aber sie waren egoistisch und haben auf ein Kondom verzichtet. Manchmal nur aus dem Grund, weil es nicht angenehm riecht."
Erfolg mit Erdbeergeschmack und Farbe
Mandisa Dlamini schüttelt wortlos den Kopf. Doch kurz danach hellt sich ihre Mine wieder auf: Es ist ein gutes Zeichen, sagt sie, dass mittlerweile auch die Regierung das Problem mit den Kondomen erkannt hat.
Nur ein paar Kilometer weiter in der Kondomfabrik, arbeitet Produktionsmanager Brandon Kohrs an einem neuen Großauftrag der Regierung. Statt den herkömmlichen Gummis setzt sie seit kurzem auf bunte Kondome in verschiedenen Geschmacks- und Geruchsrichtungen. In der Halle riecht es intensiv nach Erdbeere. Eine Arbeiterin legt ein rotes Kondom nach dem anderen aufs Fließband. Sie werden mit dem Duft imprägniert und in eine knallrote Verpackung eingeschweißt.
"Es ist eigentlich dasselbe Produkt, nur der Name und Verpackung haben sich geändert. Dazu kommen Farbe und Geruch. Aber das Kondom an sich unterscheidet sich nicht von den Kondomen, die wir früher für die Regierung hergestellt haben."
Es geht also nur um die Wahrnehmung, fügt Kohrs hinzu. Er hofft, dass die neuen Kondome tatsächlich besser ankommen. Vor allem bei den jungen Südafrikanern in Townships wie Ntuzuma. So dass die Utopie einer HIV-Freien-Generation doch noch Wirklichkeit werden könnte.