Mit einer Pille gegen das HI-Virus
In den USA oder in Frankreich wird bereits über "PrEP" debattiert: Medikamente, die vorbeugend gegen eine Infektion mit HIV wirken sollen. In Deutschland nimmt die Diskussion gerade erst Fahrt auf - und es geht um viel Geld.
Jeden Tag zur selben Zeit nimmt der Londoner Alex Craddock, 24 Jahre alt, eine der circa zwei Zentimeter langen und himmelblauen Tabletten ein, die eine HIV-Infektion bei ihm verhindern sollen. Er gehört zur Risikogruppe. In London trägt jeder achte schwule Mann das HI-Virus im Körper. Die Prä-Expositions-Prophylaxe, kurz PrEP, wirkt antiviral.
"Du musst selbst ein Experte für PrEP werden. Auf einmal liest du Fachzeitschriften über die Effektivität und die Einnahmemethoden. Du lernst alles über die biologischen und chemischen Zusammenhänge und informierst dich über die Ergebnisse von Studien. Das alles, weil du verzweifelt probierst, mehr Infos zu bekommen, als allgemein veröffentlicht sind."
Alex ist zum Aktivisten geworden. Gibt in der BBC Interviews, bekommt Anfragen aus ganz Europa. Langsam, ganz langsam, schwappt eine Debatte aus der Fachwelt in die breite Öffentlichkeit. Das bekannteste PrEP-Präparat heißt "Truvada", hergestellt von der US-Firma "Gilead". Die Europäische Arzneimittelbehörde prüft zurzeit, ob "Truvada" zugelassen werden darf. Voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte 2016 wird das passieren.
Medikament mit Nebenwirkungen
Off-Label, außerhalb der Zulassung, können Menschen es sich schon jetzt verschreiben lassen. Egal ob in Großbritannien oder in Deutschland
So arbeitet das HI-Virus in unserem Körper: Um sich zu vermehren, muss es seine Erbsubstanz ständig in die menschliche DNA kopieren. Das schafft das Virus, in dem es seine Erbinformationen in die menschliche Form umschreibt. Dabei hilft ein spezielles Enzym. PrEP kann genau diesen Prozess blockieren. Es werden falsche Bausteine in die menschlichen Zellen eingebaut. Das HI-Virus kann seine Erbsubstanz also nicht mehr mit den Zellen des Menschen in Verbindung bringen.
Aber es gibt auch Nebenwirkungen. Einige Patienten beschreiben Übelkeit oder Kopfschmerzen. Vor allem Menschen mit Nierenleiden sollten niemals ohne eine regelmäßige ärztliche Kontrolle PrEP einnehmen. Die Inhaltstoffe sind eine Kombination von zwei Medikamenten, die auch in Therapien für HIV-positive Menschen verwendet werden. Bei ihnen greift eine Dreier-Kombination. Alle drei Monate wird den PrEP-Nutzern ein HIV-Test empfohlen. Denn sollte es unbemerkt doch zu einer Infektion kommen, wäre dies äußerst gefährlich, sagt Armin Schafberger von der Deutschen AIDS-Hilfe.
"Dann hat man eine inkomplette HIV-Therapie, es sind ja nur zwei Medikamente und nicht drei, wie man das eigentlich für die Therapie hat und hat eine HIV-Infektion und das ist eine günstige Voraussetzung Resistenzen zu bekommen."
Der Medizinreferent begrüßt PrEP als zusätzliches Präventionsmittel. Bislang wurden vor allem in den USA, Großbritannien und Frankreich umfassende PrEP-Studien durchgeführt. In Deutschland sollen Untersuchungen folgen. Sicher ist: Die PrEP ist wirksam. Das Mittel soll die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung um bis zu 99 Prozent verringern. Armin Schafberger hat sich Studien mit insgesamt 25.000 Probanden angesehen.
"Bei knapp 20.000 hat es praktisch gar nicht funktioniert. Obwohl man in Studien eigentlich optimale Bedingungen hat. Die PrEP kostet nichts, man hat dauernd Beratung, man wird alle zwei, drei Monate auf HIV getestet. Und es haben auch nur die zwei Studien richtig gut funktioniert, die in Europa gemacht wurden. Das macht sicherlich einen Unterschied. Aber trotzdem."
Befördert PrEP einen sorgloseren Umgang mit der Sexualität?
Vor allem junge Männer gehen besonders selten zum Arzt. Und: Das Medikament muss täglich, am besten immer zur selben Zeit eingenommen werden. Eine große Herausforderung für die Präventionisten wirksam aufzuklären. Für den Briten Alex Craddock bedeutet PrEP sorgloseren Umgang mit Sexualität.
"In der echten Welt ist es nicht immer einfach Kondome zu verwenden. Es gibt oft risikoreiche Situationen. Beispielsweise nutzt wirklich niemand ein Kondom beim Oralverkehr - aber auch dadurch kann man sich mit HIV anstecken."
Ein Dilemma. In Zeiten, in denen Syphilis und andere sexuell übertragbare Geschlechtskrankheiten auf dem Vormarsch sind, ist auch der Verzicht auf Kondome risikoreich. Adam Bourne von der renommierten "London School of Hygiene and Tropical Medicine" sagt, dass diese Message durchaus bei den meisten Nutzern angekommen ist.
"Es bedeutet nicht: Ich nutze PrEP oder Kondome. Viele Männer in den Studien greifen auf beide Möglichkeiten zurück. Die Sorgen, die wir im Bezug auf die sexuell übertragbaren Krankheiten haben sind nicht berechtigt."
Werbung: "What the hell is PrEP? You take one pill and it prevents HIV? Just one pill? One pill! Of course I heard of it! It's like the birth-control pill for homos."
In den USA informiert eine breite Kampagne vor allem junge Homosexuelle über PrEP. In einigen Städten erhalten Menschen kostenlosen Zugang. In Frankreich übernehmen seit dem 1. Januar 2016 die Krankenkassen die Kosten. Und in Deutschland? Hier gibt es weder eine Debatte zum Thema noch werden generell Präventivmaßnahmen von den Kassen getragen. Kordula Schulz-Asche ist Mitglied des Bundestags, bei den Grünen Sprecherin für Prävention und Gesundheitswirtschaft. Sie ist für die Zulassung von "PrEP" – will die Diskussion dazu aber lieber weniger emotional führen.
"Für andere Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten haben wir im Moment insgesamt zwölf Millionen vorgesehen. Also wenn wir hier die Prophylaxe in diesem Bereich umsetzen müssten, müssten wir ein Vielfaches dafür investieren. Deswegen glaube ich, dass es richtig ist, dass wir ähnlich wie mit anderen Fragen hier umgehen. Nämlich, dass wir sagen, wir bleiben bei dem bewährten Präventionsmaßnahmen: Aufklärung, Beratung, vor allem auch Kondomnutzung."
Eine Monatsration kostet 840 Euro
Für Menschen, die beispielsweise eine Latexallergie haben, solle man aber über die Kostenübernahme sprechen, sagt die Politikerin. In Deutschland kostet eine Monatsration "Truvada" 840 Euro. Unerschwinglich für die meisten Menschen. Gerne hätten wir darüber mit dem Hersteller "Gilead" gesprochen. Nach immer wieder verschobenen Interviewterminen und der Zusage, unsere Fragen doch noch schriftlich zu beantworten, haben wir von der Pressesprecherin nichts mehr gehört. Armin Schafberger von der Deutschen AIDS-Hilfe weiß, warum die Firma in der Kostenfrage nicht mit sich reden lassen will.
"Sie will für die Therapie nicht andere Preise wie für die Prävention. Das ist natürlich für eine Firma auch nachvollziehbar kein leichtes Unterfangen. Wenn das gleiches Medikament im gleichen Land einmal für 840 Euro abgegeben wird und einmal vielleicht für 48 Euro im Monat. Das wäre ein Preis, der für die Prävention funktionieren würde."
PrEP ist ein Baustein zur Prävention gegen HIV. Kondome alleine reichen nicht aus – das zeigen die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte. Vor allem junge Menschen neigen dazu, die Gefahr einer Infektion zu unterschätzen. Diese Form der Prävention hätte bei der richtigen Anwendung die Kraft, das Ansteckungsrisiko deutlich zu vermindern. Das ist teuer. Ein Preis, den unsere Gesellschaft aber zahlen muss, wenn sie den Kampf gegen HIV gewinnen will.