Aiko Kempen: "Auf dem rechten Weg? Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei"
Europa Verlag, München 2020
240 Seiten, 20 Euro
Risse in der blauen Mauer des Schweigens
05:47 Minuten
Wie umgehen mit rassistischen und rechtsextremen Vorfällen in der Polizei? Der Investigativjournalist Aiko Kempen beschreibt in seinem Buch kritisch die aktuelle Lage der Institution, die das staatliche Gewaltmonopol ausübt.
Hitlergruß und "Heil Hitler"-Rufe, rassistische Kommentare, Bedrohungen: All das bei den Beamten des Bundeskriminalamtes, die für den Schutz von Spitzenpolitikern im Ausland zuständig sind. Es ist die aktuellste von zahlreichen Meldungen in den vergangenen Monaten und Jahren zu rechtsextremen und rassistischen Vorfällen in der Polizei.
Inzwischen sind es so viele, dass selbst NRW-Innenminister Herbert Reul nicht mehr von "Einzelfällen" sprechen möchte. Und Aiko Kempen in seinem Buch "Auf dem rechten Weg?" im Untertitel "Rassisten und Neonazis in der deutschen Polizei" das Fragezeichen weglässt. Ob es sie gibt, ist für den Investigativjournalisten, der für das Leipziger Magazin "Kreuzer" und für das ARD-Magazin Monitor viel zum Thema recherchiert hat, keine Frage mehr. Es ist für ihn eine Tatsache, eine besorgniserregende.
Vertrauen und Misstrauen
Denn die Polizei ist die einzige Instanz, die in Deutschland grundsätzlich Gewalt gegen Menschen ausüben und mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Schusswaffen durch die Straßen laufen darf. Sie darf im Ernstfall mit Gewalt die demokratische Grundordnung verteidigen.
Aber genau weil die Polizei so viel Macht hat, so Kempen, müssen wir als Bürgerinnen und Journalisten misstrauen dürfen und kontrollieren können. "Wenn wir der Polizei nicht misstrauen dürfen, verspielen wir das Vertrauen in die Demokratie," so Kempen.
Kempen hat mit Polizisten gesprochen, mit ihren Ausbildern, mit Polizeiwissenschaftlerinnen, mit Menschen, die der Polizei den Rücken gekehrt haben. Wer das Thema verfolgt, findet wenig investigativ Neues im Buch, es sind die durch journalistische Recherche bekanntgewordenen Fälle der letzten Zeit. Allerdings auch, weil der Autor selbst bei vielen der bekanntgewordenen Fälle mitrecherchiert hat und hier seine Recherchen versammelt.
Kempen geht es, trotz seiner immer klar zu erkennenden kritischen Haltung, nicht um eine Abrechnung mit der Polizei. Er erkennt Verbesserungen, mehr und mehr Polizistinnen, die gegen Alltagsrassismus ihre Stimme erheben, Bemühungen, die Polizei personell diverser aufzustellen, Bemühungen, die Polizeiausbildung zu verbessern. Er ist bestrebt, immer wieder klar zu machen, dass diese Kritik sich nicht gegen alle Polizistinnen und Polizisten richtet, aber gegen die Polizei als Institution.
Transparenz unbedingt nötig
Scharf ist seine Kritik vor allem an der Politik und den Polizeigewerkschaften: Sie stellten die Polizei oft als unfehlbar dar. Kritik und Transparenzoffensiven würden abgeschmettert als unangebrachter Generalverdacht gegen alle Beamten, die Polizei so gegen Kritik "immunisiert".
Kempen zeigt, dass ein ernsthaft-konstruktiver Diskurs über die Polizei häufig scheitert und sich leider das Bild einer nicht kritikfähigen Polizei verfestigt, das Bild einer sich abschottenden Institution, die sich demokratischer Kontrolle entzieht. So wird mit der Lektüre klarer, was für eine Polizei wir eigentlich wollen: Eine, die sich bemüht, die bestmögliche Institution für eine demokratische, diskriminierungsfreie Gesellschaft zu sein. Oder wie Kempen feststellt: Polizei ist kein Selbstzweck.