In der Filterblase des Einheitsgeschmacks
Ikea mit etwas Vintage - und zwar von Oslo bis Kapstadt: Für Igor Schwarzmann, Geschäftsführer eines Think Tanks für digitale Strategieberatung, hat Airbnb zu einer weltweiten Angleichung des Einrichtungsgeschmacks geführt.
Dieter Kassel: Der Monotonie von Hotelzimmern, die zumindest bei den Ketten, den großen bekannten, ja oft auf der ganzen Welt völlig gleich aussehen, dieser Monotonie zu entgehen, das ist eines der Motive, weshalb viele Menschen gerne bei Anbietern wie Airbnb nach Wohnungen suchen, in denen sie in ihrem Urlaub auf ihren Reisen wohnen können. Man kann ja durchaus darauf hoffen, dass man dann halt so wohnt, wie Menschen zum Beispiel in Madrid, in New York oder auch in Kapstadt eben wohnen.
Rein theoretisch ist das ja auch so bei diesem System, rein praktisch führen aber gerade die Angebote von Airbnb und Co. eher zu einer Angleichung des weltweiten Geschmacks und zu so einer Art Allerweltsdesign. Das kritisieren auch Fachleute aus aller Welt. Im Fachmagazin "The Verge", und einer von denen ist Igor Schwarzmann. Er ist Geschäftsführer von "Third Wave", eines Thinktanks für digitale Strategieberatung.
Wie eine Hotelkette mit einer Prise Individualität
Herr Schwarzmann, was soll denn das heißen, es führt alles zu einer Angleichung? Ich meine, die Wohnungen auf der ganzen Welt sind doch immer noch unterschiedlich, wie können die sich denn durch Airbnb und Co. so angleichen?
Schwarzmann: Durch die gleiche Inneneinrichtung. Wenn wir uns Fotos in den unterschiedlichen Städten von Wohnungen auf Airbnb anschauen, dann sehen wir bestimmte Muster, die ähnliche ästhetische Merkmale aufweisen. Und der Grund dafür ist einfach: Airbnb ist ebenfalls wie eine Hotelkette darauf angewiesen, immer wieder ein verlässliches, gleichwertiges Angebot anzubieten. Meistens suchen Kunden, die aus westlichen Ländern kommen, und die, ob sie es bewusst haben oder nicht, wollen immer wieder eigentlich das Gleiche, und zwar einerseits eine Prise Individualität, aber dann doch immer wieder die gleichen Normen, die man von zu Hause vielleicht kennt.
Kassel: Welche Normen entdecken Sie denn da inzwischen, also wie sieht denn die typische Airbnb-Wohnung von Oslo bis Kapstadt aus?
Schwarzmann: Na ja, ein bisschen wie ein aufgepimpter Ikea-Katalog. Das heißt, viele der Einrichtungsgegenstände sind nicht zwangsläufig sehr teuer, genauso wie in einem Hotel, aber es gibt immer mal wieder ein teureres Objekt, welches Vintage ist oder weil sie einem das Gefühl gibt, dass man eben nicht nur in einem Hotelzimmer ist, sondern in einer Wohnung von jemandem. Selbst wenn man eigentlich weiß, dass diese Wohnung oft ja gar nicht von Individuen bewohnt werden, sondern primär direkt als Angebot für Airbnb eingerichtet worden sind.
Algorithmen kreieren Filterblasen
Kassel: Das heißt, Airbnb und ähnliche Anbieter schaffen neben der berühmten digitalen Filterblase, über die wir immer mal wieder sprechen, so eine Art Filterblase des Geschmacks?
Schwarzmann: Absolut. Das liegt daran, dass darunter die gleichen Mechaniken und Algorithmen entstehen. Die zeigen uns immer wieder an, was wir sehen wollen. Sie bestärken quasi unsere eigenen Eindrücke. Das wird auch generiert aus ganz unterschiedlichen Datenquellen. Selbst dann, wenn wir es uns gar nicht bewusst machen, kriegen wir ja immer wieder die gleichen Sachen angezeigt, weil unsere Cookies irgendwo hinterlegt worden sind und wir bestimmte Bilder auf Amazon uns angeschaut haben – daraus generiert ein Algorithmus ein Signal für einen anderen Algorithmus, der es aufgreift.
Und auf diese Art und Weise entsteht eben der Einheitsbrei, den man irgendwie in Nachrichten auf Facebook bekommt oder auf Twitter und genauso eben auf anderen Plattformen, die auch visuellere Komponenten haben.
Kassel: Das heißt, es könnte sein, wenn ich mir jetzt mal zum Beispiel in letzter Zeit relativ häufig bei verschiedenen Seiten, bei denen man Möbel online bestellen kann, weiße Sofas angeguckt habe und anschließend will ich was bei Airbnb buchen, dann kriege ich Ferienwohnungen angeboten, in denen weiße Sofas stehen?
Schwarzmann: Ich kann jetzt nicht hundertprozentig sagen, dass die diese Art von Daten verwenden, aber das ist die Art und Weise, wie die Informationen übertragen werden. Das Wichtige für mich dabei ist gar nicht so sehr, wie einheitlich die Wohnungen auf Airbnb eingerichtet sind, sondern dass wir uns in der Gesellschaft bewusst machen, wie diese Daten gegen uns verwendet werden. In unserer Arbeit oder in meiner Arbeit ist es für mich wichtig, Handlungsfähigkeit herzustellen, und mir ist es im Grunde genommen egal, was Leute mögen, ich will nur, dass sie wissen, warum sie es mögen.
Die Plattform gibt uns, was wir wollen
Kassel: Das heißt, den Leuten muss auch klar sein, dass sie eventuell, wenn sie halt bei Airbnb – machen wir es noch mal ganz einfach – jetzt öfters schön mal gebucht haben und da immer was Ähnliches gebucht haben, dass sie dann die Wohnungen, die es gibt und die vollkommen anders aussehen, auch gar nicht mehr finden oder zumindest nicht bei den vorderen Suchergebnissen.
Schwarzmann: Absolut, klar. Wie gesagt, ich arbeite nicht für Airbnb, aber ich würde davon ausgehen, dass das definitiv der Fall ist. Uns wird ja nicht offengelegt, wie die Suchergebnisse zusammengestellt werden. Auch gibt es immer wieder, wenn man Airbnb benutzt, so einen Anzeiger auf eine Wohnung, "das ist ein seltener Fund" zum Beispiel. Wie das entsteht, dass das jetzt unbedingt ein seltener Fund ist, das wissen wir nicht. Wir verlassen uns aber instinktiv darauf, dass die Plattform uns die richtige Antwort gibt. Und in vielen Fällen ist das ja auch richtig, in vielen Fällen wollen Leute genau das sehen.
Kassel: Aber diese Angleichung des Geschmacks, wie wirkt die aus der digitalen Welt dann hinaus in die richtige? Glauben Sie, dass dann dieser gehobene Ikea-Geschmack, den Sie am Anfang so ein bisschen beschrieben haben, dass der dann nicht nur dazu führt, dass Leute sich Wohnungen so einrichten, weil sie sie bei Airbnb vermarkten wollen, oder dass wir uns so daran gewöhnen, dass wir am Ende alle nur noch im gleichen Stil leben? Ausnahmen wird's immer geben, aber Sie wissen, worauf ich hinaus will.
Die Inneneinrichtung muss instagramtauglich sein
Schwarzmann: Na ja, also ich sag mal so: Vor ein paar Jahren konnte man an dem Ikea-Katalog sehr gut erkennen, dass die Auswirkungen von Instagram auf Ikea einen sehr hohen Faktor haben, wie sie das als Katalog irgendwie geshootet haben, welche Fotos auftauchen, in welchem Format sie auftauchen. Das heißt, es gibt auch jetzt immer wieder Restaurants, die primär ihre Inneneinrichtung danach richten, ob diese gut für Instagram geeignet ist.
Das ist hier in Deutschland noch nicht ganz so weit fortgeschritten, aber in den USA gibt es ganze Experten, die einrichten, dass das Restaurant für Instagram geeignet ist. Das ist die Art und Weise, wie die digitale Infrastruktur auf unsere physikalische Welt einen sehr massiven Einfluss nimmt.
Kassel: Was folgt denn nun daraus? Sagen Sie, man muss … Sie haben ja gesagt sinngemäß, man muss sich halt bewusst sein als User, wie man manipuliert wird – reicht das schon, gibt es Möglichkeiten als einzelner Anwender, wirklich etwas zu tun, oder sagen Sie, man müsste das anders regulieren?
Schwarzmann: Na ja, ich glaube, dass ein Bewusstsein und damit auch ein Forum für eine Unterhaltung extrem wichtig ist. Wenn wir uns nicht bewusst sind, welche Faktoren auf uns einwirken, können wir ja auch keine Form von Kritik ausüben. Wie gesagt, ich hab persönlich eine Vorstellung, wie ich eine Welt mir wünsche, aber das heißt ja nicht, dass das gleich ist gegenüber meinen Nachbarn.
Was ich will, ist, dass wir eine aktivere Unterhaltung darüber führen, eigene Narrative entwickeln können, wie digitale Welt auf unser Leben eine Auswirkung haben soll, anstatt diese an sehr wenige Leute – in den USA primär, aber vermehrt auch in China – überlassen, wo uns unsere Handlungsfähigkeit genommen wird, weil wir kein Verständnis dafür haben, wie diese Algorithmen unser Leben verändern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.