Mit Hans Falladas Sohn im Archiv
"Pfingstgruß an Achim" ist ein Text Hans Falladas, aus dem die Sehnsucht nach dem jüngsten Sohn spricht. Der ist heute Ende 70. Im Archiv der Akademie der Künste in Berlin hält er das Original zum ersten Mal in der Hand. Dort finden sich noch weitere Fallada-Schätze.
Im Archiv der Akademie der Künste Berlin am Robert-Koch-Platz geht die Tür auf. Für Achim Ditzen, einen schlanken, hochgewachsenen Mann Ende 70 und jüngsten Sohn Hans Falladas, ist so ein Gang ins Literaturarchiv immer auch ein Blick ins Familienalbum:
"Das ist schon ein besonderer Moment. Ich hoffe, dass ich hier etwas Neues zu sehen bekomme, ich habe gehört, dass hier das Trinker-Manuskript meines Vaters liegt."
Die einzige Erinnerung an den Vater: eine Birne im Garten
Gerade hat Achim Ditzen den Briefwechsel seines Vaters Rudolf Ditzen alias Hans Fallada und seiner beiden Schwestern herausgegeben. Nachdem die Geschwisterbriefe jahrzehntelang im Archiv schmorten, geben sie nun einen sehr privaten Hans Fallada preis.
"Ich kenne ihn ja eigentlich gar nicht, ich kenne ihn nur als Schriftsteller", sagt Achim Ditzen. "Hier in den Briefen hat er sich erstmals gezeigt, in seiner Art und Weise, wie er mit Menschen, Situationen umgeht. Vorher habe ich ihn nicht gekannt, war zu klein, um ihn als lebende Person in Erinnerung zu haben. Ich habe nur eine einzige Erinnerung, dass er mir im Garten in Berlin eine Birne schenkte."
Als Achim Ditzen sechs Jahre alt ist, stirbt sein berühmter Vater an den Folgen seines Morphinkonsums. Hans Fallada war drogen- und alkoholabhängig und einer der besten Schriftsteller Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg. Wer wenig über seinen Vater weiß, für den halten Archive Familiengeschichten bereit – und manchmal weiß der Biograf mehr über einen Schriftsteller als dessen eigener Sohn.
Peter Walther: "Wissen Sie überhaupt, Herr Ditzen, dass Sie einen Brief an Ihren Vater geschrieben haben?
Achim Ditzen: "Nein, das weiß ich nicht."
"Das ist ein kleines Zettelchen, was Ihre Mutter als Beilage in einen Brief gab. Drin steht, habe wieder einen Zahn verloren – oder so ähnlich".
Ditzen: "Das ist völlig neu für mich!"
Ein Getriebener, der die Extreme sucht
So ein Tauchgang in die Archive hat sich schon immer gelohnt. In seiner Biografie hat Peter Walter viel neues Material aufgearbeitet. In seinem Porträt beschreibt er Fallada als einen getriebenen, besessenen Schriftsteller, der die Extreme sucht, der in weniger als fünf Monaten seinen Welterfolg "Kleiner Mann – was nun?" niederschreibt.
Immer wieder treibt es nicht nur die Biografen die Treppen hinab ins Archiv der Akademie der Künste. Gut geschützt hinter einer Brandtür verborgen liegen u.a. die Nachlässe von Heinrich Mann, Günter Grass, Christa Wolf und – eben auch die vier Archivkästen von Hans Fallada, betreut von der Leiterin des Literaturarchivs Sabine Wolf:
"Das ist ein sogenannter Archivzweckbau, feuergeschützt, klimatechnisch auf dem neuesten Stand, Temperatur um 18 Grad, 15 Prozent Luftfeuchtigkeit, also nach allen Regeln der Kunst funktioniert. Sehr unromantisch, wie ich zugeben muss, aber funktioniert."
Aus dem Text an den Sohn spricht Sehnsucht
In dem großen neonbeleuchteten Archivraum stehen links und rechts graue Metallschränke, Rollregale, mit denen sich das Archiv buchstäblich aufblättern lässt.
"Regal C 4, die kleine Fallada-Sammlung ist zusammengetragen worden", sagt Sabine Wolf. "Das ist die Kiste mit den wichtigsten wertvollsten Manuskripten. 1a. – ein Prosatext aus dem Erzählband von Peter Walter. Sie sehen hier die Signatur Fallada, vielleicht schauen wir in 'Pfingstgruß an Achim' hinein."
Der "Pfingstgruß an Achim" ist ein rührender Text über einen kleinen Jungen, der sich aufmacht an Pfingsten, den offenen Himmel zu sehen. Es ist ein aufmunternder Gruß des Vaters an den Sohn, der bei der Mutter lebt. Viel Sehnsucht legt Fallada in diesen Text. Er ist für Achim Ditzen geschrieben, jetzt hat er zum ersten Mal das Original in der Hand.
"Das ist schon was Besonderes", sagt Achim Ditzen. "Wir haben diese Seite damals aus der Zeitung ausgeschnitten und aufbewahrt... Es beschreibt mir, dass mein Vater wohl doch gern wieder in die Carwitzer Gegend, in die Ehe zurückgegangen wäre."
Eine besondere Trophäe im Archiv: das Manuskript seines Bekenntnisromans "Der Trinker". Falladas persönlichstes Buch! Nachdem er wegen eines mutmaßlichen Totschlagversuchs an seiner ehemaligen Frau für dreieinhalb Monate in Haft ist, schreibt er sich hier nackt und ohne Umschweife seine Krisen von der Seele - heimlich, in Miniaturschrift.
Sabine Wolf: "Eine Handschrift, die fantastisch ist, die ich gern mal vorzeige, weil sie so viel aussagt über die Lebenssituation Hans Falladas, 1944 in der Heilanstalt inhaftiert. Er hat das Papier bis zum letzten Millimeter ausgenutzt, in mikroskopischer Schrift dieses Roman-Manuskript geschrieben."
Achim Ditzen: "Er sagt ja von sich, er sei ein penibler Mensch, kann nur Ordnung haben. Das ist der Gegensatz zu seinem Leben, wenn alles nach dieser Ordnung gehen muss, ist das eine Antwort auf die Untiefen und Unordentlichkeiten seines Lebens. Das Rauschgift ist stark beteiligt an der Unordentlichkeit."
Noch immer findet man Neues im Archiv
Dass die Archive überhaupt noch etwas hergeben bei einem so prominenten Autor, hängt auch mit den verwickelten Lebensverhältnissen Falladas zusammen: wechselnde Wohnorte, Verlage, seine Scheidung. Und ist sein Archiv auch ordentlich ausgequetscht, in Falladas Nachlass, der im mecklenburgischen Carwitz und Neubrandenburg liegt, befinden sich an die 8000 Fallada-Briefe, die erst zum Teil ausgewertet sind. Gerade macht sich Achim Ditzen an eine neue Edition - Falladas Elternbriefe:
"Ich habe mir eine Probe der Briefe von Fallada an die Mutter vom Literaturzentrum vom Archiv geben lassen, das ist eine völlig neue Aufgabe. Ich weiß nicht, ob da meine Kraft noch ausreicht. Das ist wirklich Handschrift, das ist viel Arbeit, die man da reinstecken muss."