Schlagstöcke gegen die Freiheit der Wissenschaft
Eine bedrohliche Situation: Mehr als 100.000 Angestellte und Beamte sind in der Türkei seit Juli 2016 entlassen worden. Mindestens die Hälfte davon sind Lehrer, Universitätsdozenten oder Professoren. Im Bundesbildungsministerium in Berlin ist man alarmiert.
Ankara, am Freitag vergangener Woche. Studenten und Professoren der Universität Ankara haben sich zu Protesten versammelt, umzingelt von Polizisten mit Schlagstöcken und Schutzschilden. Nach einem über Nacht erlassenen Notstandsdekret waren erneut über 4400 Beamte entlassen worden, darunter 330 Dozenten und Professoren an Universitäten. Eine Medizinprofessorin ergreift das Wort:
"Das ist ein Alptraum! Sie wollen alle oppositionellen Stimmen in den Universitäten zum Schweigen bringen. Das dürfen wir als Akademiker und Studenten nicht zulassen. Wir dürfen keine Angst haben!"
Große Sorge um Forschung und Bildung
Kurz darauf werden die Proteste von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen aufgelöst, zwölf Menschen festgenommen. Mehr als die Hälfte der Entlassenen sind Teil des Netzwerkes "Akademiker für Frieden", das sich 2016 mit einer Petition für ein Ende der Militäreinsätze in den kurdischen Gebieten einsetzte. Aber auch der Verfassungsrechtler Ibrahim Kaboglu verlor seinen Job, der die umstrittene Verfassungsreform zur Einführung eines Präsidialsystems kritisiert hatte. Damit sind seit Beginn des Ausnahmezustands im Juli letzten Jahres weit mehr als 100.000 Angestellte und Beamte entlassen worden, mindestens die Hälfte davon sind Lehrer, Universitätsdozenten oder Professoren. Eine bedrohliche Situation, die auch in Deutschland mit großer Sorge betrachtet wird.
Otmar Wiestler: "In dem Moment wo Wissenschaftler aufgrund ihrer Tätigkeit ihre Arbeit verlieren und inhaftiert werden, ist die Wissenschaftsfreiheit nicht mehr gewährleistet, und dieser Punkt ist in der Türkei offensichtlich erreicht."
Sagt Otmar Wiestler. Der Krebsforscher ist Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, deren Forschungszentren über zahllose Kooperationen mit türkischen Hochschulen und Wissenschaftlern verbunden sind. Die deutschen Wissenschaftsorganisationen haben allen Grund zur Sorge. Denn noch nie war die Zusammenarbeit mit der Türkei so intensiv wie derzeit. Über 1300 Hochschulkooperationen verbinden beide Länder – vor sechs Jahren waren es gerade mal 400.
Erst vor zwei Jahren ist Bundespräsident Joachim Gauck nach Istanbul gereist, um dort in einem gemeinsamen Staatsakt mit seinem türkischen Amtskollegen Abdullah Gül die Türkisch-Deutsche Universität einzuweihen:
"Die Türkei und die Bundesrepublik schlagen gemeinsam ein neues Kapitel in den Wissenschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern auf."
Alarm im Bundesbildungsministerium
Das Projekt wurde seit 2009 mit fast 13 Millionen Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert. Mittlerweile studieren an der TDU fast 1000 junge Leute, 30 deutsche Dozenten arbeiten dort, daneben entsenden 35 deutsche Partner-Hochschulen regelmäßig Dozenten und Professoren zu Lehraufenthalten nach Istanbul. Doch die TDU unterliegt der türkischen Hochschulgesetzgebung wie die anderen Universitäten des Landes auch. Auch an der TDU mussten die Dekane zurücktreten, hat es Entlassungen gegeben – nur sechs, statt hundert, wie an anderen Universitäten. Doch zweifellos sechs zu viel.
Im Bundesbildungsministerium ist man alarmiert – doch an Rückzug will man vorerst nicht denken. Staatssekretär Georg Schütte:
"Das ist eine Gratwanderung, weil wir natürlich auch von Regierungsseite mit öffentlichen Geldern die Deutsch-Türkische Universität unterstützen. Wir sehen momentan, dass an der Deutsch-Türkischen Universität das akademische Leben noch weitgehend ungehindert weitergehen kann. Wir fragen uns aber, wie lange ist das noch möglich in einem Umfeld, in dem inzwischen in breiter Front Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Türkei ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen können."
Wissenschaft als verbindendes Element
Vorerst halte man es für wichtiger ist, die Kontakte zu den Wissenschaftlern, zur Zivilgesellschaft nicht abbrechen zu lassen. Wissenschaft kann eine wichtige Brückenfunktion haben, so sieht es auch Helmholtz-Präsident Otmar Wiestler:
"Ich meine, dass gerade in so einer Situation Wissenschaft irgendwo ein verbindendes Element bleiben sollte. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir in solchen Ländern wie Russland aktiv bleiben. Und nach wie vor dort ein Büro haben. Weil gerade in Zeiten wo die politischen Beziehungen schwierig sind, wo es Sanktionen gibt, wäre es geradezu fatal, wenn die Wissenschaft sich jetzt auch noch zurückziehen würde und sämtliche Verbindungen kappt."
Doch was, wenn am Ende an den Hochschulen in der Türkei nur noch AKP-hörige Wissenschaftler übrig sind? Wenn Forschungsergebnisse nicht mehr frei publizierbar sind oder von der Regierung zensiert werden? Natürlich werde man bei den Kooperationen auf die Einhaltung von wissenschaftlichen Standards bestehen, sagt Wiestler. Den größten Schaden aber werde letztlich die Türkei selber davontragen:
"Denn das nächste, was den Türken droht ist, dass eine ganze Generation von smarten jungen Köpfen das Land verlässt. Das ist ein Schaden, der ist wahrscheinlich über lange Zeit nicht mehr gut zu machen."