Master ohne Arbeit
Eine der größten Errungenschaften der portugiesischen Revolution war die Bildungsreform im Land. Vor allem der Hochschulzugang, vorher nur einer kleinen Elite möglich, wurde seit 1975 erweitert. Das hat nicht nur positive Folgen.
Zu Posaunenklängen ziehen die Professoren in ihren Talaren in den Prunksaal der Universität Coimbra. Mit würdigem Schritt, ernsten Gesichtern, bunten Hüten und Umhängen in den Farben ihrer Fakultäten.
Der Zeremonie in der Sala dos Capelos haben schon Portugals erste Könige beigewohnt. Die Hochschule der Stadt in der Landesmitte ist die älteste Portugals und eine der ältesten Universitäten Europas, gegründet 1290. Da kann ein bisschen Prunk nicht schaden.
In Coimbra wird Tradition groß geschrieben. Und zu der gehört eben auch, dass seine Magnifizenz der Rektor den Staatsvertretern, die er kurz vorher aufs Feierlichste und Höflichste begrüßt hat, ob ihrer verfehlten Hochschulpolitik knallhart den Kopf wäscht:
João Gabriel Silva beklagt, dass die Staatsgelder für das laufende Studienjahr viel zu spät zugeteilt worden seien und dass der Haushalt seiner Universität von Anfang an nur Makulatur sei, weil er ihn auf Ministeranweisung mit falschen, weil zu niedrigen Ausgabenzahlen machen musste. Dass seine Forschungszentren, für die es je nach Regierungsbeurteilung Steuergelder gibt, natürlich falsch beurteilt worden seien. Dass die Regierung einerseits die Einstellung ungewollter Mitarbeiter erzwinge, andererseits der Universität aber nicht die Möglichkeit gebe, neue Dozenten für pensionierte Professoren einzustellen.
Deutliche Worte des Rektors
Und während der zuständige Erziehungsminister das Thema meidet, wie der Teufel das Weihwasser, spricht Rektor Silva klar aus, was inzwischen eigentlich jeder weiß:
"Es hat ganz einfach nie irgendeine Art von Planung für den Hochschulbereich gegeben. Als alle noch an endloses Wirtschaftswachstum glaubten, als die Bevölkerung und die Studentenzahlen noch solide wuchsen, gab es einen unglaublichen Boom bei den Hochschulen. Die sind aus dem Boden geschossen, wie die Pilze."
Vor der Nelkenrevolution vom 25. April 1974 war höhere Bildung ein seltener Luxus, der nur den Reichen und den Angehörigen der regierenden Klasse offenstand. Dafür reichten drei Universitäten: eine in Porto, eine in Coimbra und eine in der Hauptstadt Lissabon. Der Diktator António Oliveira Salazar meinte, für das gemeine Volk seien vier Jahre Volksschule mehr als genug. Kein Wunder, dass damals rund ein Viertel der Portugiesen weder lesen noch schreiben konnte.
Bildung als Verfassungsrecht
Nach dem Ende der Diktatur wurde Bildung zum Verfassungsrecht, die Schulpflicht auf zwölf Jahre bis zum Abitur verlängert. Und weil immer mehr junge Portugiesen studieren gingen, wurden immer mehr Hochschulen gebaut. Die Milliarden dafür kamen vor allem von der EU, was den Hochschulausbau natürlich noch beschleunigte. Aber nicht nach pädagogischen Kriterien, sondern nach politischen, erinnert sich Rektor João Gabriel Silva:
"Das ging ganz einfach: Die Orte, die eine Hochschule wollten, begannen politischen Druck auszuüben. Auf die Parteien, auf das Parlament, auf die Abgeordneten. Vor den Wahlen fragten selbsternannte Vertreter der öffentlichen Meinung dann die Politiker, ob sie für oder gegen die gewünschten Hochschulen waren."
Die Politiker, die wiedergewählt werden wollten, waren natürlich dafür. Und so wurden überall in Portugal Fachhochschulen gebaut. Die brachten nicht nur den Politikern Prestige, sondern auch massiven Umsatz. In vorher verschlafenen Provinzstädten öffneten nach den Fachhochschulen Studentenkneipen und Restaurants, boomten die Bauindustrie und die Bettenvermietung für Studenten. Das dürften doch keine Kriterien für Hochschulpolitik sein, entrüstet sich Rektor Silva aus Coimbra:
"Hochschulen nur deshalb zu bauen, weil sie einen ‚Hoteleffekt’ haben, kann nicht angehen. Sicher, die Studenten essen am Studienort, schlafen dort, kaufen dort ein. Aber das ist doch Zwangstourismus! Eine Hochschule muss mehr sein als nur das."
Als die EU-Zuschüsse noch unkontrolliert sprudelten und Portugal als Musterschüler der EU galt, waren das jedoch die Kriterien. Ergebnis: In der Landesmitte gibt es auf nicht einmal 100 Kilometern gut zehn staatliche Universitäten und Hochschulen. Einigen gehen jetzt die Studenten aus, gibt Nuno Mangas, der Präsident der Fachhochschule Leiria zu:
"Das Angebot ist inzwischen größer als die Nachfrage, die stark zurückgegangen ist. Wegen der geburtenschwächeren Jahrgänge und auch, weil viele sich wegen der Krise kein Studium mehr leisten können."
Studentenschwund plagt die Hochschulen
Denn zu den Ausgaben für Bücher, Studienmaterial und Unterkunft kommen in Portugal noch 1000 Euro Studiengebühr im Jahr, Tendenz steigend. Bildung ist teuer, Stipendien gibt es so gut wie keine.
Wer noch studiert, tut das lieber an den klassischen Universitäten. Die haben mehr Prestige und liegen im Fall der mittelportugiesischen Stadt Leiria obendrein fast nebenan. Die Universität Coimbra ist gerade einmal 60 Kilometer entfernt. Trotzdem leistet Leiria sich ein polytechnisches Institut mit sechs Fachhochschulen, diversen Forschungsabteilungen und sogar einer eigenen Abteilung für Fernstudien. Für insgesamt gut 10.000 Studienplätze, die immer schwerer zu füllen sind.
Schon die Universitäten fanden im Studienjahr 2014/2015 nur Studenten für 90 Prozent der freien Studienplätze. Bei den Fachhochschulen jedoch war es nicht einmal die Hälfte. Weil die Hochschulen jedoch ihr Geld vom Staat entsprechend der Studentenzahlen bekommen, schreiben die vom Studentenschwund geplagten Fachhochschulen immer mehr Studiengänge aus und hoffen, so mehr Studenten zu bekommen.
"Im Grunde fehlt der politische Wille, das ganze Land gleichmäßig weiter zu entwickeln. Es wurden zwar ein paar Fachhochschulen in der sogenannten Provinz eröffnet, sonst ist aber nichts geschehen. Das reicht natürlich nicht, hat nichts mit ernsthafter Landesentwicklung zu tun."
Dabei wäre alles doch so einfach, wie das Beispiel des Provinzstädtchens Tomar zeigt: 15.000 Einwohner, ziemlich genau in der Mitte Portugals gelegen, viel Wald, wenig Wirtschaftskraft und kaum Industrie. Aber eine als Weltkulturerbe klassifizierte Templer-Burg und eine Fachhochschule.
Findige Strategien im Kleinen
Rund hundert Studenten werden hier zu Restaurateuren ausgebildet – den besten, die Portugal zu bieten habe, wie Direktor João Freitas Coroado stolz feststellt. Seine Fachhochschule arbeite eng mit der Templer-Burg zusammen, ebenso mit den vielen anderen Museen und Kirchen der Region. Das bedeute Mehrwert nicht nur für die Studenten, sondern auch für die unterentwickelte Region:
"Einerseits werden unsere Studenten an echten Kunstwerken ausgebildet. Andererseits könnten diese Objekte, die alle aus der Region kommen, auf dem freien Mark nicht restauriert werden, weil das zu kompliziert und viel zu teuer wäre. Kein Museum könnte das bezahlen."
Klein, aber fein wolle und solle die Fachhochschule von Tomar sein, betont Direktor Coroado. Vor allem aber müsse sie von Nutzen für die Region sein. Das wiederum garantiere die enge Zusammenarbeit mit der örtlichen Wirtschaft. Aber natürlich könne das Institut mit den großen Universitäten im dicht besiedelten Küstenstreifen nicht konkurrieren:
"Hier haben alle begriffen, dass unsere Hochschule ein fundamentaler Entwicklungsfaktor ist. Aber jetzt muss die Zentralregierung begreifen, dass kleine regionale Fachhochschulen besondere Hilfen brauchen, ihre Aufgabe zu erfüllen und junge Menschen in der Region zu halten."
Als genau das waren die Fachhochschulen in Portugal ursprünglich auch gedacht: Sie sollten Fachkräfte ausbilden, die mithelfen sollten, die recht ungleich entwickelten Regionen Portugals auf ein gemeinsames Niveau zu bringen, die Wirtschaft im strukturschwachen Landesinneren durch wissenschaftliche Arbeit stärken.
Zeitverträge für die Dozenten
Die meisten Fachhochschulen geben schon jetzt mehr Geld aus, als sie eigentlich können. Darum sparen sie vor allem beim Personal. Laut der portugiesischen Lehrergewerkschaft hat die Hälfte der Fachhochschuldozenten nur Zeitverträge und damit keinerlei Arbeitsplatzgarantie. Nuno Reis, Wirtschaftsdozent an der Fachhochschule Leiria, zum Beispiel:
"Mein Vertrag gilt ein Jahr. Vom August 2014 bis Juli 2015."
Was danach kommt, weiß der Mann Anfang 30 nicht. Seit sechs Jahren arbeitet Nuno Reis unter diesen Bedingungen, hatte auch schon Halbjahresverträge. Kein Wunder, dass er frustriert ist:
"Wir haben keinerlei Stabilität im Berufsleben, können nicht befördert werden, können nicht weniger unterrichten, um uns fortzubilden oder zu forschen, erhalten keinerlei Anerkennung unserer Arbeit."
Nuno Reis sitzt in der modernen Cafeteria am neuen Campus der Fachhochschule Leiria. Knapp zehn Jahre sind die Gebäude alt, für viele Millionen gebaut und eigentlich immer eine Nummer zu groß. Das schlimmste sei, dass er nie weiß, ob er im nächsten Studienjahr wieder einen Job habe, klagt Nuno Reis. Sinken – was wahrscheinlich ist - die Studentenzahlen weiter, wird er wahrscheinlich arbeitslos. Doch der Dozent – er schreibt gerade seine Doktorarbeit – hat, wie die meisten seiner Kollegen, keine Alternativen:
"Ich muss da wohl durch. Schließlich habe ich mir diesen Beruf ausgesucht. Ich werde weiter machen und hoffen, dass ich einmal etwas Besseres finde. Nur gibt es nichts anderes – die einzige Alternative wäre die Arbeitslosigkeit."
Das Spardiktat wird wohl weitergehen
Der Institutspräsident Nuno Mangas dagegen klagt, dass der Staat immer weniger Geld in die Hochschulen stecke. Seit der Krise zahle der Staat nur noch etwa die Hälfte der laufenden Kosten, den Rest müssten die Hochschulen selbst finanzieren, unter anderem durch Studiengebühren. Das könne so nicht weitergehen:
"Natürlich wäre es höchst wünschenswert, wenn unsere Budgets wieder wachsen würden. Wenn die Ausgaben im Staatshauhalt für die Hochschulen nicht steigen, wird die Qualität des Unterrichts sinken. Mit ein bisschen mehr Geld könnten wir entschieden besseres leisten."
Nur wird das wohl eher nicht geschehen. Portugal muss weiter sparen und wird das auch beim Erziehungssystem tun. Davon ist João Gabriel Silva, der Rektor der Universität Coimbra überzeugt:
"Ich bin mir sicher, dass viele der Hochschulen schließen werden müssen. Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Die finanzielle und die demografische Lage hat sich geändert, wir haben zu viele Hochschulen. Ich hoffe nur, dass, wenn es soweit ist, nach Qualitätskriterien geschlossen wird und die betroffenen Institutionen genug Zeit bekommen, sich darauf einzustellen."
Das ist gar nicht so sicher: Die Zahl der Jugendlichen, die jedes Jahr das Gymnasium beenden, sinkt dramatisch. Seit Jahrzehnten werden in Portugal immer weniger Kinder geboren. Und immer mehr Jugendliche fliehen vor der Dauerkrise als Emigranten ins Ausland. Jetzt steigt auch noch das Haushaltsdefizit, da könnte das Hochschulsterben schneller beginnen, als befürchtet.