Wie purer Luxus für Kulturschaffende
Das Berliner Künstlerprogramm des Akademischen Austauschdienstes bietet seit 50 Jahren seinen Stipendiaten Studienaufenthalte. Zwölf Monate gibt es ihnen alle Freiheiten für ihre künstlerische Entfaltung.
Mit einem Lächeln bittet Clara Iannotta herein. Seit fast einem Jahr lebt die junge Italienerin in einer geräumigen, zweistöckigen Atelierwohnung, die sich etwas abseits der Hauptstraße in einem Hinterhof in Berlin-Moabit befindet. Es ist zum Glück sehr schön still hier, sagt die 30-Jährige. Denn Stille ist wichtig für ihre Arbeit. Clara Ianotta ist Komponistin für zeitgenössische Musik. Sie hat am Konservatorium in Mailand studiert und die vergangenen fünf Jahre in Paris gelebt. Jetzt sei Berlin ihre neue, kreative Heimat. Sie zeigt auf eine weiß verputzte Wand. Dort hängen akkurat nebeneinander 21 bedruckte Notenseiten.
"Ich pinne gerne meine Komposition an die Wand, dies hier ist mein letztes Stück, das ich komponiert habe. In Paris musste ich meine ganzen Notenblätter auf der Erde ausbreiten, weil ich an den Wänden nicht genug Platz hatte. Hier ist das viel einfacher."
Fruchtbarer Luxus
Clara Iannotta ist Stipendiatin des Berliner Künstlerprogramms des Deutsche Akademischen Austauschdienstes, kurz DAAD. Existenzielle Sorgen plagen sie in dieser Zeit nicht. Ein Jahr lang kann sie sich allein auf ihr künstlerisches Schaffen konzentrieren. Ein fruchtbarer Luxus, findet Clara Iannotta.
"Du hast ein ganzes Jahr in dem du machen kannst, was du willst. Du musst dich um nichts anderes kümmern als um deine Kunst. Wenn du also nur nachdenken, reflektieren willst, dann kannst du das machen. Du wirst dafür bezahlt, du hast eine Wohnung, in der du kostenlos leben kannst, du triffst dich mit anderen Künstlern, machst Kontakte. Und wenn du einen besonderen Wunsch hast, dann versucht der DAAD ihn dir zu erfüllen. Das ist doch fantastisch!"
Sie hat in den vergangenen Monaten ein Streichquintett geschrieben, das vor drei Wochen in Berlin uraufgeführt wurde. Zum ersten Mal konnte sie dabei intensiv mit Musikern zusammenarbeiten. Aus Kostengründen, erklärt Carla Iannotta, hätten zeitgenössische Komponisten oft nur drei Tage lang Zeit für die Proben. Das reiche aber oft nicht aus.
"Wir komponieren unsere Stücke auf dem Papier, wir haben diesen Klang in unserem Kopf, aber wenn du es dann zum ersten Mal richtig hörst, dann klingt es eben doch oft anders als in deinem Kopf. Und darum wollte ich ja auch mit den Musikern vorab arbeiten und das hat mir der DAAD ermöglicht. Du machst also eine wunderbare Erfahrung und du verstehst dann auch, wie dein Stück wirklich klingt. So funktioniert das eben."
Dem Trend voraus
Clara Iannotta ist eine der jüngsten Stipendiaten, die in den vergangenen 50 Jahren an dem Berliner Künstlerprogramm des DAAD teilgenommen haben. Die meisten Gäste seien ein bisschen erfahrener, stünden in der Mitte ihrer Karriere, sagt Julia Gerlach, Leiterin der Sparte Musik. Bei der Auswahl seiner Teilnehmer hat der DAAD oft ein gutes Händchen bewiesen, dem Trend war er meist eine Nasenlänge voraus. Nicht nur in den Sparten Literatur und Bildende Kunst, sondern auch in der Sparte Musik. Fast alle Größen der musischen Avantgarde hätten an dem Programm teilgenommen, sagt Julia Gerlach und zählt ein paar Namen auf: John Cage, Steve Reich, Luigi Nono, Morton Feldman. Und viele Künstler sind in Berlin geblieben.
"Was ich heute beobachte, ist die Welle der Jungen, also der zwischen 30- und 40-jährigen Komponisten, die sich für Berlin entscheiden als den Standort ihres Lebens. Das liegt sicherlich daran, dass Berlin noch eine relativ preisgünstige Stadt ist unter den Metropolen und dass es einfach auch eine sprießende, eine kulturell lebendige Stadt ist, die dann eben so viel an Lebensqualität und Austausch ermöglicht."
… und wie sie Künstler wieCarla Iannotta benötigen. Die Italienerin steigt in ihrer großen Gästewohnung in Berlin-Moabit eine Wendeltreppe hinab in ihr Atelier. Ein großer, heller Raum, in der Ecke steht ein Bechstein.
"Ich arbeite im Moment an einem neuen Stück, das Klavier spielt darin auch eine Rolle und ich experimentiere gerade mit einigen Sachen."
Für ihre Klänge nutzt sie nicht allein das Piano. Aus einer Holzkiste fischt die 30-Jährige ein Dessertglas, einen Stück Gummi, einen Elektrobogen für die Gitarre und ein Stück Knete. Sie öffnet den Klavierdeckel, legt die einzelnen Objekte nacheinander auf die Saiten. Wundersame Klänge entstehen, die sie in ihrer neuen Komposition vielleicht verwenden wird.
Auch Clara Iannotta hat sich entschieden, in Berlin zu bleiben. Im Januar endet ihr Stipendium, im Moment ist sie auf der Suche nach einem neuen, stillen Atelier. Hier zu bleiben, fühle sich einfach gut an, sagt sie.