Akten deutscher Kolonialherren werden digitalisiert

Von Ulli Weissbach |
Samoa arbeitet seine Geschichte auf - genauer: seine deutsche Kolonialgeschichte. Über das Vorgehen der Kolonialherren gibt es Hunderttausende Belege. Diese historischen Schriftstücke werden nun digitalisiert. Ein langer Prozess voller Entdeckungen.
Ein Ständchen der Samoa Police Band im Hof vor dem alten Court House in Apia, der Hauptstadt Samoas. Das Gerichtsgebäude stammt aus der Zeit Kaiser Wilhelm II., als der südpazifische Inselstaat Samoa noch deutsche Kolonie war. Und als die Polizeikapelle zum Klang deutscher Märsche die Strandpromenade entlang defilierte. Heute, rund 100 Jahre später, gibt es keine Verwendung mehr für das Gerichtsgebäude. Die samoanische Regierung will den Holzbau abreißen, wie schon viele andere Kolonialbauten zuvor. Die Polizeikapelle darf noch als Fotomotiv für Touristen weitermarschieren. Viel ist also nicht mehr zu sehen von der 14-jährigen deutschen Kolonialzeit zwischen 1900 und 1914.

Aber dies wäre keine deutsche Kolonie gewesen, wenn sie keine Verwaltungsakten produziert hätte. Diese Dokumente lagen 100 Jahre lang im Nationalarchiv Samoas. Um sie vor dem Verfall zu bewahren, werden sie nun alle digitalisiert: schätzungsweise 400.000 vergilbte Blätter, beschrieben in schönster Sütterlin-Handschrift, nur wenige mit Schreibmaschine. Das Projekt wird gemeinsam finanziert von der für Samoa zuständigen deutschen Botschaft in Neuseeland, vom neuseeländischen Nationalarchiv und der Regierung Samoas. Die Neuseeländer haben ein Interesse an den Akten, weil sie die Kolonie Samoa nach Ausbruch des 1. Weltkrieges 1914 von den Deutschen übernommen hatten.

Im samoanischen Bildungsministerium, wo die Akten heute untergebracht sind, treffe ich den deutschen Honorarkonsul Arne Schreiber. Er überwacht die Digitalisierung, wobei ihm seine Erfahrung als Computerspezialist zugute kommt. In einem Raum mit langen Regalreihen, auf denen Pappschachteln mit losen Dokumenten gestapelt sind, steht die Digitalisierungsvorrichtung: ein Tisch mit einem V-förmig nach oben geöffneten Tablett als Dokumententräger und darüber zwei ebenfalls im Winkel montierte Digitalkameras. Beide Kameras werden von einem Computer gesteuert, der die Fotos gleichzeitig auf Festplatte speichert. - Warum Fotografieren? So drängt sich die Frage auf: 'Scannen wäre doch einfacher?'

Arne Schreiber:"Aufgrund der hohen Lichtintensität eines Fotokopiergerätes darf sowas nicht verwendet werden, sondern es muss eben fotografiert werden um eben die Haltbarkeit nicht zu verringern. Und diese Dateien die werden auf externen Festplatten gespeichert und dann die Schwarzweiß- und Farbversionen nach Neuseeland geschickt. Weiterhin von Neuseeland wird die Schwarzweißversion nach Deutschland zum deutschen Archiv gesandt."

Dort werden wohl noch Generationen von Historikern mit der Sichtung und Analysierung der Dokumente beschäftigt sein. Hier in Samoa einen Überblick zu bekommen ist schwer. Die für die Digitalisierung angelernten samoanischen Helfer verstehen kein Deutsch, die abfotografierten Akten werden durchnummeriert und so als Bild-Dateien weitergegeben.

Aber wenigstens einen groben Katalog gibt es, der die Bereiche der deutschen Verwaltung auflistet: Es geht um den Bau von Straßen, Gebäuden und Brücken, die Elektrizitäts- und Wasserversorgung, die Hafenverwaltung, Polizei und Gesundheitswesen. Zwei Hospitäler haben die deutschen Verwalter gebaut, eines für die Samoaner und eines für die hier stationierten Europäer. Und 320 Schulen, an denen in Deutsch, Samoanisch und Englisch unterrichtet wurde. Kurz: die Grundlagen der Infrastruktur des heutigen Staates Samoa hat die deutsche Kolonialverwaltung gelegt.

Nicht ganz uneigennützig natürlich: Schon bevor Samoa deutsche Kolonie wurde, betrieb die "Deutsche Handels- und Plantagen-Gesellschaft”, kurz "die Firma” genannt, umfangreiche Kokosplantagen auf Samoa. Das aus den Kokosnüssen gewonnene Kopra war Grundstoff für die Herstellung von Seifen und anderer Kosmetik und als Rohstoff fast so wichtig wie heute das Öl. Bei einer Stichprobe in den Akten stoßen Arne Schreiber und ich auf interessante Details:

"Also, hier haben wir eine Statistik über die Plantagenkulturen, wie es hier heißt, Kokospalmen, 100 Hektar, davon ertragsfähig 66 Hektar. Bäume - also Kokospalmen - 12.300…"

"…und 8.620 ertragsfähig."

"Sehr gut. Und alles in schöner Tabellenform aufgeführt, wie es der Ökonom sich wünscht."

"Und: weiße Beamte:Einer. Und farbige Arbeiter: 27.”"

Die sogenannten "farbigen Arbeiter” waren keine Samoaner, sondern wahrscheinlich Kulis aus China und von anderen südpazifischen Inseln. Die Samoaner waren von der Zwangsarbeit in den Plantagen freigestellt, ein Ausdruck der für damalige Zeiten äußerst liberalen Kolonialpolitik des deutschen Gouverneurs Wilhelm Solf.

Arne Schreiber: ""Das Interessante war dann aber dass die Kolonialmacht auch den Samoanern ihre Selbständigkeit überlassen hatte und sie so eine Art eigenes Parlament hatten, die Samoaner. Das war jetzt nicht eine Art Versklavung, sondern die haben Hand in Hand gearbeitet."

Samoa war in der Tat ein Glücksfall in der deutschen Kolonialgeschichte. Die Gouverneure ließen den Samoanern ihre Freiheit und Kultur - und ließen es sich dabei selbst auch ganz gut gehen, wie Arne Schreiber bei einem Blick in die Personalakten festgestellt hat:

Arne Schreiber: "Interessant war zum Beispiel bei dem Gouverneur Schulze-Eberth, dass er eben doch recht reisefreudig war und andere Inseln besucht hatte und danach ein wenig im Streit gelegen hatte: War das jetzt 'ne Dienstreise oder war das Urlaub?"

Immer Ärger mit der Spesenabrechnung. In 100 Jahren deutscher Verwaltungsgeschichte hat sich offenbar nichts geändert, weder in Samoa noch in Deutschland.


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