"Aktion Sorgenkind"

Eine Lotterie für mehr Hilfe zur Selbsthilfe

Eine Frau geht am 07.10.2014 auf der Veranstaltung "50 Jahre Aktion Mensch" in Berlin am Jubiläums-Logo von "Aktion Mensch" vorbei.
Die "Aktion Mensch" feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. © picture alliance / dpa / Lukas Schulze
Von Hartmut Goege |
Sie ist eine der erfolgreichsten Soziallotterien weltweit - mit mehr als 3,5 Milliarden Euro Fördersumme. Zudem hat sie durch Aufklärung viel für behinderte Menschen getan. Vor 50 Jahren startete das ZDF die "Aktion Sorgenkind", die heutige "Aktion Mensch".
Eine Sternstunde des Deutschen Fernsehens: Publikumsliebling Peter Frankenfeld betritt am Samstagabend des 9. Oktober 1964 im groß karierten Sakko erstmals die ZDF-Kulisse zur Rateshow "Vergissmeinnicht". Ungewöhnlich an dieser von nun an monatlich ausgestrahlten Sendung war das sogenannte "Ratespiel mit Lotteriecharakter": Es sollte die Hilfe für behinderte Menschen mit einer Unterhaltungsshow verbinden.
"Eines möchte ich noch gerne nachholen. Vergessen Sie nicht: wenn Sie morgen oder übermorgen schon Marken holen, um in der Lotterie mitzuspielen, deren Reinerlös der Aktion Sorgenkind zufließt, dann können Sie, wenn Sie in den richtigen Postämtern Wohlfahrtsmarken kaufen, ein Farbfernsehen, ein zweites und ein drittes gewinnen."
Reaktion auf den Contergan-Skandal
Anstoß für dieses neue Fernsehformat hatte der Contergan-Skandal Anfang der 60er Jahre gegeben. Erstmals wurde in der Bundesrepublik in der Öffentlichkeit intensiv über die Lebenssituation von körperlich- und geistig behinderten Menschen diskutiert. Selbsthilfeverbände wie etwa die "Lebenshilfe" waren vor allem auf Spenden angewiesen. Um sie besser unterstützen zu können, gründete dann das ZDF 1964 gemeinsam mit mehreren Wohlfahrtsverbänden die "Aktion Sorgenkind". Zuschauer, die an dieser Lotterie teilnahmen und das richtige Lösungswort eines Ratespiels einschickten, wurden für die Sendung ausgelost.
"Frau Claus, von wo kommen Sie?" - "Aus Recklinghausen." - "Frau Claus, ich glaube, ich habe eine große Überraschung für Sie!" - "Für mich?" - "Ich gratuliere Ihnen, Sie haben gewonnen!" - "Ich habe gewonnen?" - "Alles das gehört Ihnen! Das ganze Geld." - "Nein!" - "Gehört Ihnen!" - "Das kann ich gar nicht begreifen!" - "Begreifen Sie es, dann haben Sie's!"
Der Erfolg des Konzepts war von Beginn an gewaltig. Über 500.000 DM kamen allein nach der ersten Sendung zusammen. Sie gingen zum Großteil als Spende an den Verein "Lebenshilfe" für den Neubau eines Kurheims für geistig behinderte Kinder. Der Erfolg der weiteren Sendungen zog mehr und mehr Projekte nach sich. Das Geld wurde in Wohn- und Ferienanlagen investiert oder in Werkstätten und andere betreute Einrichtungen. Als Peter Frankenfeld 1969 ausstieg, folgte Wim Thoelke mit Shows wie "Drei nach Neun" und "Der Große Preis". Gemeinsam mit den Loriot-Geschöpfen Wum und Wendelin steigerte Thoelke nochmals die Einschaltquoten und damit die Popularität der Aktion in den 70er und 80er Jahren:
"Und noch einmal 100.000 Mark auf eine Losnummer, also anonym, an 385436394 ... Herzlichen Glückwunsch. So! Ein prima Publikum haben wir heute Abend, muss ich sagen. Also, das sind alles Gönner, die hier im Studio sitzen."
Keine Fernsehshow mehr
Als 1992 Thoelke abtrat und Moderatoren in rascher Folge wechselten, geriet die Aktion in eine Krise: die Zuschauerzahlen sanken. Neue Shows wie "Goldmillion" floppten und die Losverkäufe gingen zurück. Darüber hinaus fühlten sich Behindertenverbände zusehends durch die Bezeichnung "Sorgenkinder" diskriminiert, die sie nur zu bemitleidenswerten Hilfeempfängern stigmatisiere. Deshalb verkündete im März 2000 der damalige ZDF- Intendant Dieter Stolte die Umbenennung in "Deutsche Behindertenhilfe - Aktion Mensch". Eine begleitende Fernsehshow gibt es seitdem nicht mehr. Die Soziallotterie nutzte stattdessen erfolgreich neue Vertriebswege über Postwurfsendungen oder Angebote von Sparkassen und Banken. Dieter Stolte damals:
"Heute kann man sagen, die Aktion Sorgenkind, jetzt Aktion Mensch, besteht auch ohne das ZDF weiter. Sie hat inzwischen eine so großartige Selbstständigkeit gewonnen, dass sie ohne den ständigen Support durch das ZDF weiterhin erfolgreich leben kann."
In den 50 Jahren ihres Bestehens hat die Aktion bis heute rund 3,5 Milliarden Euro an Fördersummen zur Verfügung stellen können. Heute trägt die Aktion Mensch nicht mehr nur zur Finanzierung von Heimen bei. Auch viele kleinere Projekte, wie gemeindenahe Einrichtungen, ambulante Dienste oder Kampagnen zur Öffentlichkeits-Aufklärung gegen Benachteiligungen von Behinderten zählen dazu. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe bearbeitet jährlich rund 3.000 Anträge auf Förderung. Und längst heißt das Hauptziel "Hilfe zur Selbsthilfe" für ein eigenständiges Leben im gleichberechtigten Miteinander.
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