Braucht es eine Frauenquote für Verlagsprogramme?
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In den Vorschauen literarischer Verlage finden sich im Schnitt 40 Prozent Autorinnen und 60 Prozent Autoren – das ist ein Ergebnis der Aktion "#vorschauenzählen". Die Initiatorin sieht strukturelle Diskriminierung, eine Kritikerin fürchtet um die literarische Qualität.
Der Blick in die Programme der meisten Verlage – und besonders bei den großen literarischen Verlagen – zeigt auch für dieses Frühjahr: Dort sind wieder einmal weniger Frauen als Männer vertreten. Die Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz hat zusammen mit der Übersetzerin Nicole Seifert die Autorinnen in den Verlagsvorschauen gezählt. Mara Delius, die bei der Zeitung "Die Welt" das Feuilleton mit leitet und die Literaturbeilage "Literarische Welt" verantwortet, ist skeptisch gegenüber solchen Aktionen.
Glanz erklärt, ihre Aktion "#vorschauenzählen" knüpfe an ein ähnliches Projekt aus dem Jahr 2018 an. Damals sei im Rahmen der Pilotstudie "frauenzählen" beobachtet worden, wie Autoren und Autorinnen in den Medien – Print, Radio und Fernsehen – repräsentiert sind. "Es gab damals ein sehr erschreckendes Ergebnis: nämlich, dass zwei Drittel der Rezensionen sich Autoren widmen und nur ein Drittel der Rezensionen Autorinnen."
"Die den Cognac in einem Bleistiftrock herantippelt"
Auf die Frage an das Feuilleton, warum das so ist, sei oft die Antwort gekommen: "Die Verlagsprogramme sehen so aus." Nun sei es darum gegangen, zu schauen, ob das stimmt – durch das Zählen in den Vorschauen.
Sie hätten den Twitter-Hashtag "#vorschauenzählen" eingerichtet und sich gemeinsam mit anderen Literaturbegeisterten durch die Vorschauen literarischer Verlage gewühlt, so Glanz. Das seien unter anderem die Verlage gewesen, deren Bücher in den vergangenen drei Jahren auf der Longlist des Deutschen Buchpreises oder auf bestimmten Bestenlisten standen.
"Die Zahlen sprechen für sich", sagt Glanz. "Klett-Cotta hat 12,5 Prozent Autorinnen, Hanser ist mit 22 Prozent dabei, Diogenes mit 25 Prozent, Fischer mit 27 Prozent. Parallel haben wir auch Verlage, in denen es ganz anders aussieht: Hanser Berlin, Kampa, Penguin." Bezogen auf alle literarischen Verlage aus der Zählung sei das Verhältnis Autoren zu Autorinnen 60 zu 40 Prozent.
Mara Delius sagt, solchen Zählaktionen seien "an und für sich völlig sinnvoll und wichtig". Es irritiere sie aber, dass die Haltung oft umkippe aus einem aufklärerischen Impuls in Richtung eines eher aufgebracht-eindimensionalen Impulses. "In der gegenwärtigen Debatte erscheine die deutsche Verlagswelt oft, "als sei sie noch geprägt von Siegfried-Unseld-haften Alphatieren, die gewissermaßen der Frau keine andere Rolle zuerkennen als die derjenigen, die den Cognac bringt oder die F.A.Z.-Tiefdruckbeilage in einem Bleistiftrock herantippelt."
"Es geht um Literatur"
Das sei glücklicherweise nicht mehr so, sagt Delius. In den vergangenen drei bis fünf Jahren zeichne sich ein tiefgreifender Generationenwechsel an der Spitze von Verlagen und auch in Entscheiderpositionen ab, der verbunden sei mit einem Geschlechterwechsel: "Das heißt, wir haben interessante, sehr umtriebige, prominent und meinungsstark auftretende Verlegerinnen und Programmchefinnen."
Es gebe in der Literaturwelt zwar noch strukturelle Ungleichberechtigung. Aber Verlagsprogramme seien keine "Gleichstellungspapiere", sondern es gehe um Literatur. "Ich glaube, es ist schwierig, die Frage der Qualität zu vermengen mit der Frage des Proporzes oder überhaupt der Gleichberechtigung", so Delius. "Wenn ich ein Literaturblatt mache, achte ich darauf, ob wir ein einigermaßen zeitgemäßes Blatt haben, das heißt aber für mich jetzt nicht, dass ich zähle, habe ich drei oder vier Rezensionen von Frauen."
Berit Glanz, die Initiatorin von "#vorschauenzählen" betont: "Es geht natürlich nicht darum zu sagen, wir müssten jetzt immer in jedem Verlagsprogramm 50/50 haben." In Zahlen bilde sich aber strukturelle Diskriminierung ab. Es gehe darum herauszufinden, warum die Abbildung der gesellschaftlichen Realität bei einigen Verlagen sehr gut klappe und bei anderen Verlagen überhaupt nicht.
(abr)