Wenn der Berg zum Propheten kommen muss
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Immer weniger Menschen in Deutschland nehmen ein Impfangebot wahr. In Leipzig geht man nun andere Wege. Dort kommt der Impfstoff in Vierteln wie der Plattenbausiedlung Grünau nun mobil und ohne Termin gezielt zu den Bürgern.
Um 9 Uhr geht es los, einige sind schon früher da. Rund 30 Menschen warten vor dem Kulturzentrum "Völkerfreundschaft" in der Leipziger Plattenbausiedlung Grünau.
Senioren, Studentinnen und auch einige Familien sind dabei - die meisten aus dem Viertel. Andere sind durch die ganze Stadt hierhergefahren. Alle wollen sich impfen lassen, ohne Termin, mit Biontech.
Seit Wochen gibt es in Sachsen mehr Impfstoff als Nachfrage. In den Impfzentren sind jederzeit Termine frei, auch dort wird inzwischen ohne Termin geimpft. Doch das klappt nicht immer.
Niedrigschwelliges Angebot
"Ich bin noch nicht drangekommen. Ich war schon öfter da und bin immer wieder weggeschickt worden. Da war der Impfstoff ausgegangen oder keiner vorhanden. Das war sehr ärgerlich", berichtet Sabine Bienert. Sie ist Lehrerin an der Oberschule gleich um die Ecke. Für ihre Berufsgruppe wurden schon vor Monaten Termine freigeschaltet. Doch die 60-Jährige wartet bis heute:
"Ich habe jeden Tag angerufen. Stunden am Telefon. Das geht auch an die Substanz. Jeder erzählt, es gibt so viel Impfstoff, in der Zeitung steht es. Und dann doch nicht drangekommen, das war unverständlich."
Nun steht sie in der Sonne vor dem Plattenbau und lächelt. "Wenn das alles klargeht, ist heute mein Glückstag. Das schreibe ich mir auch fett in meinen Kalender. Ich freu mich."
Andere hier sind bisher noch skeptisch. Wieder andere fürchten, dass Einschränkungen irgendwann nur noch für Ungeimpfte gelten könnten. "Es sind so viele Regeln jetzt, die beachtet werden müssen, wo gesagt wird: Geimpfte und Genesene werden bevorzugt, dass ich mir gesagt habe: Es bringt mir jetzt eh nichts mehr, zu warten, dann lasse ich mich halt Impfen, dann ist es vorbei. Dann kannst du machen, was du willst."
Bei den Über-60-Jährigen sind auch in Sachsen die meisten geimpft. Doch stehen erstaunlich viele Ältere hier an. Einige auch aus Furcht vor einer weiteren Coronawelle im Herbst. Dass man sich hier spontan impfen lassen kann, kommt gut an.
Impfteams gehen gezielt in Stadtteile
So schnell wie mit Termin im Impfzentrum geht es allerdings nicht. Je nach Andrang muss man auch mal länger warten. Drinnen impfen eine Ärztin und medizinisches Personal eines mobilen Impfteams. Sie waren zu Beginn des Jahres in den Pflegeheimen unterwegs. Nun impfen sie alle, die möchten.
Die Stadt Leipzig schickt seit vergangener Woche Teams in die Stadtteile, in denen sie besonders viele Ungeimpfte vermutet: Migranten, Menschen mit niedrigem Bildungsgrad oder Langzeitarbeitslose.
"Tatsächlich muss man sagen: Wir wissen gar nicht genau, wie viele geimpft sind und wie viele nicht. Das sind alles nur Annahmen. Was wir aber wissen: Die Bereitschaft ist grundsätzlich da, aber die Inanspruchnahme des Angebots ist relativ gering", sagt Silko Kamphausen, Leiter des Kommunalen Eigenbetrieb KEE.
Die städtische Einrichtung betreut soziale Projekte für Langzeitarbeitslose. Nun organisiert sie auch den Einsatz der Impfteams.
Einigen ist der Weg ins Impfzentrum zu weit
Wieso Menschen noch nicht geimpft sind, kann viele Gründe haben – neben Ablehnung auch fehlende Informationen oder die Lage des Leipziger Impfzentrums am Stadtrand auf der Neuen Messe. Etliche, gerade die mit niedrigem Einkommen oder Hartz-IV-Bezieherinnen und -Bezieher, überlegen sich dreimal, ob sie die 6,40 Euro Fahrgeld wirklich ausgeben wollen, vermutet Kamphausen.
Auch unabhängig davon: Die Impfung vor der Haustür ist einfach bequemer. Kamphausen ist es wichtig, bei der Impfkampagne auch auf benachteiligte Gruppen zuzugehen. Dazu gehören "Langzeitarbeitslose, die nicht an die Gesundheitsversorgung angebunden sind oder die negative Erfahrungen gemacht haben. Wo das Gesundheitssystem nicht so besonders von Vertrauen geprägt ist."
Angebote für Migrantinnen und Migranten
Gezielt sollen auch Migrantinnen und Migranten auf die Impftermine aufmerksam gemacht werden, beispielsweise über Kulturvereine. Bei einigen Impfterminen gibt es Übersetzer. Die Aufklärungsbogen über die Impfung gibt es in 15 Sprachen – wie Arabisch, Rumänisch, Vietnamesisch.
Das kommt gut an, manche aus der anvisierten Zielgruppe finden jedoch, dass man so etwas schon deutlich früher hätte starten müssen.
Silko Kamphausen ist mit dem Start der Aktion dennoch zufrieden. Seit vergangener Woche wurden mehr als 800 Menschen geimpft, ein Drittel mehr als geplant. Bis Anfang September sollen es 7000 werden – mindestens.