Anti-Diät-Tag

Über Sinn und Unsinn weltweiter Aktionstage

Ein Teller mit einem Croissant und Erdbeermarmelade steht auf einem Bett.
Kalorien? Egal! Die britische Feministin Mary Evans Young hat 1992 den Anti-Diät-Tag ins Leben gerufen, um für die Liebe zum eigenen Körper zu werben, unabhängig vom Gewicht. © Getty Images / Westend61
Ein Einwurf von Heike-Melba Fendel · 06.05.2022
Der Anti-Diät-Tag ist ein Aktionstag unter vielen. Kein Wunder, gibt es doch mehr Anliegen als Tage im Jahr. Die Journalistin Heike-Melba Fendel sieht darin eine Geborgenheit im Ritual und rät heute zu einer Extraportion Marmelade auf dem Buttercroissant.
Guten Morgen. Müssen Sie abnehmen? Sind Sie zu dick oder glauben Sie das zumindest? Nun, schaufeln Sie sich gleich noch ein paar Löffel Marmelade auf das Buttercroissant, denn, ja: Heute ist der internationale Anti-Diät-Tag!
Die britische Feministin Mary Evans Young hat ihn 1992 ins Leben gerufen, um für die Liebe zum eigenen Körper zu werben, unabhängig von dessen Form und Gewicht. Das nun verkünden zwar seit Jahrzehnten bereits die Frauenzeitungen landauf, landab und auch in den sozialen Medien wird diese Einstellung, neudeutsch Body Positivity genannt, rauf und runter propagiert.

Geborgenheit im Ritual

Aber hey, was wären die Medien, was wären wir alle, ohne die Wiederholung des Offensichtlichen, ohne die Geborgenheit im Ritual der Erinnerung an Dinge, die wir längst wissen – oder nie so genau wissen wollten. Genau deshalb, so scheint es, wurden und werden unablässige Gedenk-, vor allem aber Aktionstage eingeführt.
Ob Person, Institution oder Unternehmen – wer Aufmerksamkeit auf sich und sein Thema lenken will, hat schließlich 365 Tage im Jahr zur freien Verfügung. An einem von ihnen lässt sich bestimmt ein sogenannter Aufhänger befestigen und medial bewerben.
Dass die Terminwahl nicht selten vollkommen willkürlich erfolgt, lässt sich an allen fünf Fingern abzählen. - Apropos fünf Finger, die Hände haben Sie sich natürlich heute Morgen ordentlich gewaschen, nicht wahr? Darauf hat uns schließlich noch einmal der Welttag der Handhygiene der WHO aufmerksam gemacht. Der war gestern am 5.(!) Mai, denn, klar, 5 Tage sind eine Hand. Oder so ähnlich.
Für eine Selbstverständlichkeit wie Händewaschen brauchen Sie keinen Aktionstag, mögen Sie denken. Da sind Sie schief in ihre Selbstbestimmtheit gewickelt, liebe Zuhörende. Wo Hannah Arendt einst das im Übermaß zitierte „Denken ohne Geländer“ beschwor, wollen die Aktions- und Gedenktage uns genau jenes Geländer sein, das unser Denken von der Last der eigenen Trittfestigkeit befreit.

Mehr Anliegen, als das Jahr Tage hat

So ist dieser gern als Wonnemonat bezeichnete Mai noch keine Woche alt, aber was hatten wir nicht alles schon zu bedenken: Der 1. Mai, Tag der Arbeit, Feiertag, ganz berühmt, klar, den kennen wir alle. Diesmal fiel er leider auf einen Sonntag, also nicht frei, beziehungsweise sowieso frei, also das war nicht lustig. Am ersten Sonntag im Mai ist aber auch inoffizieller Weltlachtag, zumindest wenn es nach der Lachyogabewegung geht, die diesen im Jahr 2000 eingeführt hat. Also doch lustig?
Weil es mehr Anliegen gibt, als das Jahr Tage hat, kommt es nicht selten zu vollkommen plausibilitätsfreien Kopplungen des institutionell zu Bedenkenden: Am vergangenen Dienstag, dem 3. Mai, etwa buhlte der Weltasthmatag zeitgleich mit dem internationalen Tag der Pressefreiheit um unsere Aufmerksamkeit.
Letzterer, von den Vereinten Nationen ausgerufen, ist natürlich ein Promi unter den Aktionstagen, auch und gerade in diesen Zeiten, wo diese Freiheit buchstäblich unter Beschuss steht. Und mit einem Mal, so war schmerzlich festzustellen, kreuzen sich verordnetes Gedenken und tatsächliche Brisanz. Gesetzte Themen und aktuelles Leben, Aufhänger und Abnehmer.

Irrwitz in bekömmlichen Häppchen

Aktions- und Gedenktage suchen den Irrwitz unserer Gegenwart in bekömmliche Einheiten zu portionieren. Und so sitzen wir heute am Anti-Diät-Tag da und könnten oder sollten eigentlich unseren Körper lieben, den wir ohne schlechtes Gewissen mit dem Marmeladen-Croissant verwöhnen dürfen.
Aber warten wir doch lieber ab, wie das alles so wird heute. Vielleicht mögen wir ohnehin gar keine Croissants oder wir frühstücken nie und vielleicht geht uns Body-Positivity an genau jenem Körperteil vorbei, der so üppig sein darf, wie es der heutige Aktionstag proklamiert.

Heike-Melba Fendel ist Künstler-/PR-Agentin und Inhaberin der Agentur Barbarella Entertainment. Sie arbeitet außerdem als Journalistin und Buchautorin. Fendel gehört zum Autorinnenkollektiv der Kolumne „10 nach 8 – politisch, poetisch, polemisch“ auf zeit.de. 2009 erschien ihr aus 99 Geschichten bestehender Roman „nur die“ bei Hoffmann und Campe. Ihr zweiter Roman „Zehn Tage im Februar“ (2017) spielt vor dem Hintergrund der Berlinale.

Die Autorin Heike Melba-Fendel
© Markus Nass

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Thema