Aktivismus im Internet

Proteste werden kommerzialisiert

04:24 Minuten
Illustration von Armen, die in den Händen Smartphones halten.
Das Internet hat politische Partizipation vereinfacht, aber auch in gewisser Weise opportun gemacht, meint Adrian Lobe. © Getty Images / iStock / oxinoxi
Ein Kommentar von Adrian Lobe |
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Sich mit Bewegungen wie „Black Lives Matter“ oder „MeToo“ im Internet zu solidarisieren, ist bequem und einfach, meint der Politologe Adrian Lobe. Bedenklich wird es aber, wenn Konzerne am Bürgerengagement verdienen wollen.
Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA ging in sozialen Netzwerken der Hashtag #BlackLivesMatter durch die Decke. Auf der ganzen Welt solidarisierten sich Millionen Menschen im Netz mit der Protestbewegung. Das Rautezeichen, jedem bekannt vom Telefon, ist zum Startknopf für den politischen Prozess im Netz geworden.

Seitdem der Produktentwickler Chris Messina im August 2007 den ersten Hashtag auf Twitter setzte, hat es eine ganze Reihe solcher Kampagnen gegeben. #MeToo, #PrayForParis oder #Occupy sind nur einige prominente Beispiele dieses Hashtag-Aktivismus.


Das Internet hat politische Partizipation vereinfacht, aber auch in gewisser Weise opportun gemacht: Eine Onlinepetition ist schnell unterschrieben, ein Tweet rasch gelikt, ein Profilbild flugs geändert. Ein Motto wie "Black Lives-Matter" kann man sich ohne große Kosten auf die Fahnen schreiben. Die soziale Reputation gibt es kostenlos dazu. Slacktivism, Faulpelz-Aktivismus, nennt man diese Form der gesellschaftlichen Teilhabe.

Aktivismus für eine faule Generation

Der Internetkritiker Evgeny Morozov schrieb bereits 2009 in einem Essay für die Zeitschrift "Foreign Policy": "Slacktivism ist der Idealtyp von Aktivismus für eine faule Generation: Warum sich mit Sit-ins und dem Risiko von Verhaftungen, Polizeigewalt oder Folter herumschlagen, wenn man genauso laut im virtuellen Raum Kampagnen durchführen kann?" Jedem Mausklick sei mediale Aufmerksamkeit sicher, solange er einem noblen Zweck dient, kritisiert Morozov.
Zugegeben: Das alt linke Gehabe wirkt etwas gestrig. Nach dem Motto: Nur wer mal einem Wasserwerfer gegenüberstand, ist mit den höheren Weihen des Revolutionskämpfers ausgestattet. Auch im virtuellen Raum gibt es ja Gewalt. Und: Aktionen im Netz können durchaus etwas bewirken. Doch seit einiger Zeit lässt sich beobachten, dass digitale Proteste Event- und Modecharakter bekommen. So posteten Frauen, darunter auch Prominente, unter dem Hashtag #ChallengeAccepted Schwarz-Weiß-Selfies von sich, um auf Femizide aufmerksam zu machen – und nominierten jeweils eine andere Frau, es ihr gleichzutun.

Modemarken schließen sich "Black Lives Matter" an

Natürlich spricht nichts dagegen, Selfies als Protestform einzusetzen. Doch die Fotos sehen aus wie eine Modestrecke: glatt, werblich, konformistisch. Eine furchtbare Anbiederung an die Instagram-Ästhetik. Man will nicht nur Gutes tun, sondern auch noch gut dabei aussehen.

Kein Wunder, dass auch Modemarken wie Levi's, H&M oder Gap auf den Zug aufspringen und sich das Motto "Black Lives Matter" als Zeichen der Solidarität auf die Fahnen schreiben. Beauty-Bloggerinnen malten sich das Gesicht schwarz an und schmückten sich mit den Insignien der Protestbewegung. Und beim US-Patentamt sind sogar mehrere Anträge für "Black Lives Matter" eingegangen – für Spiele, T-Shirts und Weine.

Wo hört Protest auf, wo fängt Kommerz an?

Was heute ein Erkennungszeichen der Gegenöffentlichkeit ist, kann morgen schon auf irgendeiner Verpackung oder als Schminktipp auf Youtube landen. Die Frage ist: Darf man mit sozialen Bewegungen Kasse machen? Wo hört Protest auf, wo fängt Kommerz an? Das Silicon Valley hat selbst Protest zum Konsumgut gemacht. Man kann sich umsonst einen Filter als Modeaccessoire ans Revers heften, einen Hashtag als Marke labeln oder beim Protest posen.
Selten war es so billig, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen. Aber: Die Kommerzialisierung von Protestkulturen hat Folgen für das politische System. Denn die Slogans verbrauchen sich irgendwann selbst. Politik wird dann schnell zu Pop, der Inhalt zu Folklore. Wenn Forderungen wie "Black-Lives-Matter" zum T-Shirt-Motiv erstarren oder Wein-Etikette schmücken, ist der Aktivismus selbst Geschichte.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum (u.a. Die Zeit, FAZ, NZZ, Süddeutsche Zeitung). 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks "Surveillance Studies" ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus, 2016. 2019 erschien sein Buch: "Speichern und Strafen – Die Gesellschaft im Datengefängnis".

Adrian Lobe
© privat
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