Aktivist Hassan Geuad

"Wir sollten mehr Präsenz zeigen gegen den Terror"

35:15 Minuten
Porträt des Aktivisten Hassan Geuad
Hassan Geuad engagiert sich für einen modernen Islam und eine offene Gesellschaft. © privat
Moderation: Katrin Heise |
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Hassan Geuads Leben ist in Gefahr: Islamisten bedrohen den aus dem Irak stammenden Marketinganalysten. Der Grund: Mit Straßenaktionen rufen er und die Aktivistengruppe "12thMemoRise" Muslime dazu auf, sich gegen Radikale ihres Glaubens zu wehren.
Mit neun Jahren flüchtet der heute 30-jährige Hassan Geuad mit seiner Mutter und seinen Geschwistern aus dem Irak nach Deutschland: Ein Land, das er nur aus Kindersendungen kennt. "Das Bild, was wir hatten als Kinder, war das Bild, was man so in Heidi-Trickfilmen sieht. Und das hat sich bestätigt: die Natur, die Sauberkeit und die banalsten Dinge, so etwas wie Strom. Fortschritt, den man hier findet. Die Busse, wie sie fahren, die Taxis — alles war anders."

Nachbarn unterstützen Flüchtlingsfamilie

Seit Ende der 90er-Jahre wohnt die Familie in Oerlinghausen, einer Stadt im Nordosten Nordrhein-Westfalens. "Die Menschen haben bei uns geklingelt, wollten uns helfen. Wir haben Geschenke bekommen. Ich weiß immer noch: Die Nachbarstochter, die hat immer bei uns geklingelt und hat meine Schwester dann abgeholt zum Spielen. Die Menschen waren sehr offen."
Hassan Geuad kommt in die vierte Klasse, ohne ein Wort Deutsch zu können. "Ich hatte nur einen Zettel, da hat mir mein Vater auf Arabisch aufgeschrieben: Ich kann kein Deutsch. Ich wurde tatsächlich ins kalte Wasser, ins eiskalte Wasser reingeworfen." Dennoch integriert er sich schnell – auch mithilfe seiner Klassenlehrerin.

Der 11. September als Wendepunkt

Wie für viele Menschen ändert sich auch für Hassan Geuad das Leben nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York in kürzester Zeit grundlegend. "Am nächsten Tag direkt in der Schule habe ich von einem Lehrer die Tageszeitung auf den Tisch geknallt bekommen. Er meinte zu mir: Schau mal, was deine Landsleute gemacht haben."
Das zunehmend feindliche gesellschaftliche Klima gegenüber Muslimen ängstigt auch Geuads Familie: "Die Jahre danach wussten nicht mal meine Freunde, ob ich bete oder faste oder religiös bin oder nicht. Ich habe das komplett privat gehalten. Zu Hause hatten wir eine arabisch-islamische Welt und draußen auf der Straße eine komplette deutsche Welt." Der Rückzug ins Private ist aber nur eine Reaktion auf die Terroranschläge 2001.
Geuad beobachtet innerhalb seiner islamischen Moschee-Gemeinde eine wachsende Polarisierung: "Vor 2001 waren das Treffen spiritueller Art. Danach wurden es mehr und mehr Treffen politischer Art. Man hat über die Situation im Alltag gesprochen, man hat über die Nachrichten, über die gezeigten Bilder gesprochen. Das hat sich auch bei den Kindern etabliert, sodass man auch hier und da ein paar Worte, vielleicht ein paar Meinungen aufgegriffen und dann auch mit seinen Freunden diskutiert hat. Zum ersten Mal aufgearbeitet haben wir das erst mit der Gründung unserer Gruppe."

Aufruf zum Kampf gegen Fundamentalismus

Die Gruppe nennt sich "12thMemoRise" und gründet sich 13 Jahre nach den Terroranschlägen. Ihre Zielsetzung: "Wir sollten mehr Präsenz zeigen gegen den Terror. Wir brauchen eine Grundeinstellung gegen den Terror. Wir brauchen eine Aufarbeitung dieser radikalen Inhalte. Es reicht nicht aus, zu sagen, der Terror hat mit dem Islam nichts zu tun. Klar mit der friedlichen Botschaft des Islam hat das nichts zu tun, aber irgendwo sind diese Terroristen auch Muslime, und irgendwo berufen sie sich auch auf islamische Inhalte. Darüber müssen wir reden. Damit müssen wir uns konfrontieren und selbstkritisch betrachten."
Nachdem eine Zusammenarbeit mit Islamverbänden scheitert, setzen die Aktivisten ihre eigenen Ideen um. Beispielsweise verkleiden sie sich als IS-Kämpfer und inszenieren in Fußgängerzonen den Verkauf von Frauen. Die Reaktionen der Passanten sind vielfältig: "Viele haben sich mit der Aktion beschäftigt, haben uns angesprochen. Viele haben aber auch die Polizei angerufen und gemeint: Der IS ist in der Stadt."

Hoffnung auf nächste Generation

Geuad ist seitdem mit massiven Morddrohungen konfrontiert. Einschüchtern lässt er sich dadurch nicht. Im Gegenteil: Zusammen mit seinem Bruder veröffentlicht er ein Buch mit dem Titel "Möge Allah dich in die tiefste Hölle schicken – Warum ein Muslim für Vielfalt, Toleranz und Freiheit kämpft".
Geuad will sich von radikalen Muslimen nicht einschüchtern lassen. Als Gläubiger setzt er auf einen "Islam mit deutscher Prägung" und auf positive Veränderungen in der Zukunft: "Tatsächlich denke ich, nach einer Generation haben wir ein komplett anderes Verständnis für die Vielfalt und auch Akzeptanz für den Islam. Weil wir immer wieder sehen, es gibt neue Kräfte, neue Graswurzelbewegungen innerhalb der islamischen Community – auch in Familien. Das haben wir auch als Jugendliche wahrgenommen. Wir sehen die neue Generation, die hier aufgewachsen ist, die lehnt sich auf."
(fun/ gies)
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