Amed Sherwan/Katrine Hoop: "Kafir. Allah sei Dank bin ich Atheist"
Edition Nautilus, 2020
240 Seiten, 18 Euro
„Meine Mutter glaubte, ich sei von einem Dschinn besessen“
33:27 Minuten
Als 15-Jähriger wandte sich der Iraker Amed Sherwan öffentlich vom Islam ab. Gefängnis und Folter waren die Folge, Sherwan musste aus seiner Heimat fliehen. Heute lebt der bekennende Atheist in Deutschland, er kämpft für Toleranz und Vielfalt.
Er ist ein Kafir, ein Ungläubiger, ein schlimmes Verdikt in muslimischen Gemeinschaften. Amed Sherwan akzeptiert diesen Schimpfnamen, hat ihn gar in den Titel seiner Autobiografie "Kafir. Allah sei Dank bin ich Atheist" aufgenommen.
Exorzismus an einem Elfjährigen
Amed Sherwan stammt aus einer religiös geprägten Familie im kurdischen Nordirak. Doch sein Glaube wurde auf eine erste Probe gestellt, als ein Imam in der Moschee einen Exorzismus an dem elfjährigen Amed durchführte, ihn fesselte und schlug: "Das war wirklich die Hölle", erinnert er sich.
Seine eigenen Eltern hatten ihn zum Exorzisten gebracht, weil Amed "ein schwieriges Kind" war, in der Familie aneckte, in der Schule gemobbt wurde. "Meine Mutter glaubte fest, dass ich von einem Dschinn, einem bösen Geist, besessen bin." Später, in Deutschland, wurde der vermeintliche Dämon als die Aufmerksamkeitsstörung ADHS diagnostiziert.
Der Bruch mit seiner Religion kam mit 15 Jahren. Amed las islamkritische Texte im Internet, "das war eine total neue Welt für mich". Hin- und hergerissen zwischen Glaubenszweifeln und der Angst vor göttlicher Strafe griff er zum Feuerzeug und verbrannte seinen Koran. Das himmlische Strafgericht blieb aus, "da fühlte ich mich sehr frei".
"Schande für die Familie"
Doch als er seine Abkehr vom Glauben öffentlich machte, zeigte sein eigener Vater ihn an. Der gerade 15-jährige Amed landete im Jugendgefängnis, erlebte dort Schläge, Folter, Elektroschocks. Ein Onkel holte ihn auf Kaution raus, eine Menschenrechtsorganisation organisierte seine Flucht aus dem Irak, die Eltern gaben dafür Geld, froh, die "Schande für die Familie" loszuwerden.
Ohne ein Wort Deutsch zu können, kam der schwer traumatisierte Amed Sherwan 2014 über die Balkanroute nach Deutschland. Nach großen Anfangsschwierigkeiten und einem Selbstmordversuch fand er Anschluss bei "Refugees Welcome" in Flensburg, arbeitete als Dolmetscher, schrieb für eine Zeitschrift für Geflüchtete.
Doch als er dort über seine Verfolgung als Atheist berichtete, erlebte Sherwan, wie gefährlich seine Überzeugung auch in Deutschland für ihn werden konnte: Ein Redaktionskollege drohte, ihm, dem Ungläubigen, den Kopf abzuschneiden. Die deutschen Flüchtlingshelfer hielten sich aus diesem Konflikt heraus, aus Angst, "als rassistisch abgestempelt zu werden", wie er vermutet.
Regenbogenflagge über Mekka
Trotz aller Anfeindungen kämpft Amed Sherwan bis heute für das Recht auf Unglauben in muslimisch geprägten Gesellschaften – und für LGBTIQ-Menschen, denn die erlebten "viel krassere Verfolgung in islamischen Ländern als Atheisten".
Dabei schreckt er vor keiner Provokation zurück: Kürzlich postete Amed Sherwan eine Fotomontage in sozialen Netzwerken, die sich küssende Männer vor der Kaaba – dem zentralen Heiligtum des Islam in Mekka – mit wehender Regenbogenflagge zeigt. Das brachte ihm Morddrohungen ein, aber auch viel Zuspruch von Menschen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt werden.
Getrieben wird Amed Sherwan von dem Wunsch, "dass Kinder muslimischer Eltern selbst entscheiden dürfen, was sie glauben, wen sie lieben".
(pag)