Ein Leben lang staatenlos
30:56 Minuten
Staatenlos — und das seit ihrer Geburt vor 27 Jahren. Christiana Bukalo geht es wie schätzungsweise mehr als zehn Millionen Menschen weltweit. Lange dachte sie, dass sie nur eine von wenigen ist. Erst später erkannte Sie, dass es an Vernetzung fehlt.
An das elterliche Wohnzimmer mit dem Esstisch kann sich Christiana Bukalo noch gut erinnern. Häufig lagen darauf Briefe, Amtsbriefe. Damals noch ein junges Mädchen, muss sie für ihre Eltern übersetzen. "Wir hatten ja eine Duldung. Und früher waren das Briefe, wo drinstand, dass wir theoretisch in zwei Wochen das Land verlassen müssen. Das waren Abschiebebescheide."
Christiana Bukalo, in Deutschland geboren, wächst in Puchheim auf, einer kleinen Stadt westlich von München. In einer Hochhaussiedlung. Die Behörden konnten die Identität der Eltern nicht klären, deshalb war sie in Deutschland lange nur geduldet, der offizielle Status ungeklärt. Erst später erhielt Christiana Bukalo eine offizielle Aufenthaltserlaubnis. Bis heute gilt sie als staatenlos.
"Ich sage immer: Andere Leute haben eine Karriereleiter, und bei uns ist das wirklich ein bisschen so eine Aufenthaltsleiter. Man klettert da hoch, und dann gibt es die Duldung, dann gibt es Asyl, Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis. Und irgendwann schafft man es da hoch."
Oktoberfest als Teil der Identität
Für Christiana Bukalo gehört ihre Staatenlosigkeit mittlerweile zur Identität, wie auch der selbstverständliche Besuch des Münchner Oktoberfestes im Dirndl. "Ich möchte mich davon nicht einschränken lassen. Ich trage es ja für mich, nicht dafür, was andere Leute daraus machen. Ich freue mich, wenn es irgendwie dazu beiträgt, dass eine Person, die – ich sage jetzt mal – ein eher limitiertes Weltbild hat, vielleicht die Chance bekommt zu erkennen, dass Dirndl tragen und in München aufwachsen nicht an der Hautfarbe abzulesen ist."
Dennoch sieht sie auch, dass sich langsam etwas in der Gesellschaft verändert: auch bei Unternehmen, die sie im Bereich Vielfalt berät. "Das ist ein immer größeres Thema, vor allem bei den jüngeren Generationen. Die möchten sich genau von diesen Strukturen loslösen. Und dann müssen Unternehmen, um diese Talente auch von sich zu überzeugen, da mitgehen."
"Staatenlosigkeit sieht man den Menschen nicht an"
Viele Jahre glaubte Christiana Bukalo, es gäbe nur wenige Menschen, die wie sie staatenlos seien. "Das ist auch nicht das Erste, was man austauscht miteinander, wenn man sich kennenlernt." Erst spät, im Alter von 25, erkannte Christiana Bukalo, dass Staatenlosigkeit viele Menschen betrifft. "Ich wusste ja ganz lange gar nicht, dass es einen offiziellen Begriff dafür gibt."
Sie beginnt zu recherchieren. Ihr Ziel: die im Internet verstreut liegenden Informationen zum Thema Staatenlosigkeit auf einer Webseite zu bündeln und einen Austausch zu ermöglichen. "Der Fokus liegt darin, ein Forum zu schaffen, wie eine Art soziales Netzwerk für Menschen, die von Staatenlosigkeit betroffen sind, und Menschen, die an dem Thema arbeiten."
Wenn sie einen Wunsch frei hätte: "Dann würde ich mir wünschen, dass allen Staatenlosen einfach genau dasselbe wertvolle Leben ermöglicht wird wie anderen Menschen."
(fun)