Wenn der Vater gefoltert hat
24:40 Minuten
In den Siebzigerjahren holte Nancy Morales ihren Vater manchmal von der Arbeit ab. Erst später erfuhr die Argentinierin, dass er eines der berüchtigten Folterlager der Militärdiktatur verantwortete. Heute engagiert sie sich für Aufarbeitung.
"Wir haben das gleiche Ziel wie die anderen Menschenrechtsorganisationen in Argentinien", sagt Nancy Morales über die Gruppe, in der sie sich für die Aufarbeitung der argentinischen Militärdiktatur engagiert: "Die Wahrheit, die Gerechtigkeit und dass sich so etwas nie wieder wiederholt." Allerdings hat Morales' Gruppe einen anderen Zugang zu dem Thema als die meisten anderen. Dort haben sich nicht die Angehörigen von Opfern versammelt, sondern Kinder von Tätern. Seit eineinhalb Jahren versuchen sie, sich auf ihre Weise mit den Verbrechen ihrer Verwandten auseinanderzusetzen.
Oft schweigen die Kinder der Täter
Die 55-jährige Nancy Morales spricht seit letztem Jahr auch öffentlich darüber, welche Rolle ihr Vater in der acht Jahre währenden Gewaltherrschaft Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre in Argentinien gespielt hat. Als Oberkommissar des örtlichen Polizeireviers in San Pedro de Jujuy im Norden des Landes war er einer der Hauptverantwortlichen für die Folter und Vergewaltigungen, die dort an Regimegegnern verübt wurden.
Während viele Opfer der Diktatur und deren Nachkommen Täter aus Mangel an Beweisen nicht anzeigen oder aus Sorge, man könnte ihnen nicht glauben, schweigen viele Kinder von Tätern oft aus Scham vor den Taten ihrer Eltern. In ihrer Familie, sagt Morales, gehe es aber eher darum, die vergangene Zeit zu beschönigen, dabei hätten die meisten ihrer Halbgeschwister von den Taten des Vaters gewusst.
"Ich habe Sachen entdeckt, die nicht normal waren"
Sie selbst habe als Kind und Jugendliche – zum Zeitpunkt des Militärputschs war Morales 13, als die Diktatur endete 21 Jahre alt – wenig von den Aktivitäten ihres Vaters mitbekommen, auch wenn sie schon damals registrierte, dass er immer bewaffnet war. Selbst auf dem Nachttisch lag immer ein Revolver.
"Viele Jahre später habe ich Sachen entdeckt, die nicht normal waren. Er hat mir zum Beispiel mal ein kleines Radio geschenkt. Aber das war ein gebrauchtes Gerät. Meiner Mutter hat er erzählt, dass er es bei einer Durchsuchung gefunden hat."
Morales stellte ihren Vater zu Rede
Auf einer Familienfeier stellt ihr der Vater seine neue Freundin vor. Später erfährt Morales, dass die junge Frau kurz zuvor im Gefängnis ihres Vaters gefoltert wurde. Mehrfach versucht die Tochter, ihren Vater zur Rede zu stellen, aber der blockt ab. Als sie ihn mit 19 Jahren als Mörder beschimpft, reagiert er dann doch: "Er hat mir an dieser Stelle bestätigt, dass er stolz darauf ist, was er in dieser Zeit getan hat und kein Problem hätte, es zu wiederholen."
Erst viel später, als sie längst ihr Literaturstudium in Buenos Aires abgeschlossen hat, nach Deutschland gezogen ist und mit ihrem Mann in Erlangen Tangokurse anbietet, entscheidet sich Nancy Morales, über die Verbrechen des Vaters zu sprechen – und das gegen den Willen der Halbgeschwister. Jahrzehnte nach dem Ende der Diktatur findet sie auch die junge Frau von damals wieder, die sich lange nicht traute, auszusagen. Im Frühjahr dieses Jahres wird den Verantwortlichen des Gefängnisses der Prozess gemacht, auch Morales' Onkel wird zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Ihr Vater ist zu diesem Zeitpunkt schon tot.
(er)