"Klimaschutz ist eine Überlebensfrage"
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Das Aktionsbündnis "Ende Gelände" will eine Woche lang die komplette Kohle-Infrastruktur im Rheinland blockieren. "Wir müssen das Thema Klimaschutz jetzt endlich anpacken", verteidigt die Aktivistin Antje Grothus das Vorhaben.
Dieter Kassel: Eine Woche lang wollen Aktivisten einem Aufruf von "Ende Gelände" folgen, einem Aufruf, dem sich inzwischen ungefähr 40 Gruppen und Organisationen und über 20 Einzelpersonen angeschlossen haben, und wenn die alle diesem Aufruf wirklich folgen, dann wird es gelingen, das zu erreichen, was dieser Aufruf vorsieht, nämlich eine Woche lang die komplette Kohleinfrastruktur im Rheinland zu blockieren.
Es geht dabei natürlich um einen schnelleren Kohleausstieg, es geht um den Kampf gegen den Klimawandel, aber auch – so heißt es im Aufruf – um Ungehorsam gegen Kapitalismus. Kann man das wirklich machen, eine Blockade eine ganze Woche lang, und kann man sich einfach hinstellen und sagen, wir sprechen für die große Mehrheit?
Wir wollen darüber mit einer Frau jetzt sprechen, die sich schon seit Jahren als Umweltaktivistin gegen Kohleabbau und Kohleverstromung einsetzt und die quasi auch jeden Tag Erfahrungen mit allen möglichen Ansichten zu diesem Thema macht, denn sie lebt direkt am Rande des Hambacher Forsts. Antje Grothus heißt diese Umweltaktivistin, die nicht an der Blockade teilnehmen wird – wenn das stimmt, ich werde sie gleich fragen –, aber an der großen zentralen Demonstration, die am Samstag in Aachen stattfindet. Wenn das stimmt, was ich gerade behauptet habe, dann liegt eine Frage auf der Hand: Zur Demo gehen Sie, an der Blockade nehmen Sie nicht teil. Warum Letzteres nicht?
Grothus: Also ich kann leider auch an der Demo nicht teilnehmen, weil wir haben ein langes Wochenende hier vor Ort, und das hatte ich schon seit Längerem mit der Familie geplant, die mich auch benötigt, aber ich bin überzeugt, dass viele, viele Menschen aus der Breite der Gesellschaft kommen werden zu den Demonstrationen sowohl am Freitag von "Fridays for Future" in Aachen, wie auch am Samstag im Übrigen bei den bedrohten Dörfern am Tagebau Garzweiler.
Auch gesetzliche Grenzen werden manchmal überschritten
Kassel: Zu demonstrieren gegen Kohleverstromung, gegen das, was das für die Umwelt und den CO2-Ausstoß bedeutet, auch zu demonstrieren gegen die Vernichtung von Dörfern und ganzen Lebensräumen ist das eine. Aber darf man wirklich dazu aufrufen und das dann auch umsetzen, eine ganze Woche lang die komplette Kohleinfrastruktur lahmzulegen, also wirklich etwas, was im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten gemacht wird, zu blockieren?
Grothus: Ich glaube, man muss da sehr stark unterscheiden auch, was Blockaden sind. Zum Beispiel Sitzblockaden, die eine gewisse Zeit andauern, das ist ja eine Art der Meinungsdarstellung, die sogar erlaubt ist. Wir hatten das im letzten Jahr, "Ende Gelände" war im letzten Jahr hier und hat die Hambachbahn blockiert. Das wurde von der Staatsanwaltschaft Aachen – diese Gleisbesetzung – als nicht strafbar erachtet.
Man muss sehr stark differenzieren, und sicherlich ist es aber auch so, dass natürlich bei Aktionen zivilen Ungehorsams, dass dabei Grenzen überschritten werden, manchmal auch gesetzliche – wir müssen aber auch uns dessen bewusst sein, dass solche Grenzüberschreitungen eigentlich immer wichtige Faktoren waren im Rahmen des sozialen Wandels und auch immer dazu geführt haben, dass es einen gesellschaftlichen Fortschritt gegeben hat, wenn man in die Vergangenheit schaut.
Und auch das muss man in diesem ganzen Konflikt um die Kohle bedenken, denn wir wissen alle: Klimaschutz ist eine Überlebensfrage.
Kohleverstromung vernichtet Lebensräume
Kassel: Aber es stellt sich doch immer die Frage, ist es legitim, wenn Aktivisten – in dem Fall ging der Aufruf auch an Aktivisten aus ganz Europa, unter den unterstützenden Gruppen jenseits der Hauptveranstalter sind auch ein paar ausländische –, wenn die sich hinstellen und sagen, wir sprechen hier für alle. Ich meine, Sie haben, das habe ich noch gar nicht erwähnt, Sie saßen selber mit in dem sogenannten Kohleausschuss, in der Kohlekommission, und da haben Sie doch gemerkt, es ist ja nicht so, dass alle dasselbe denken über den Kohleausstieg in Deutschland.
Grothus: Jeder kann für sich sprechen und für seine Gruppen, die er vertritt. Ich habe auch damals in der Kohlekommission immer gesagt, ich setze mich hier für die Menschen ein, die von der Kohle betroffen sind, die ihr Zuhause, ihre Heimat verlieren, die ihren Lebensraum verlieren, die durch Gesundheitsschäden betroffen sind. Und ich spreche für die Menschen, die gerne möchten, dass ich für sie spreche.
Man kann nicht für sich behaupten, dass man für alle spricht, "Fridays for Future" spricht für einen großen Teil der Jugendlichen, die in diesem Konflikt ja nicht gehört wurden, im Übrigen auch nicht in der Kohlekommission, muss man sagen, da fehlte ja die Perspektive dieser Gruppe eigentlich auch konkret.
"Wir haben zwölf Jahre verloren"
Wer auch nicht vertreten war, das waren die Menschen aus dem globalen Süden. Auch da muss man sagen, durch unsere Art des Wirtschaftens hier durch die Kohleverstromung werden deren Lebensräume vernichtet. Menschen, die auf Inseln leben, zum Beispiel den Fidschi-Inseln, diese Inseln gehen unter – und das ist schon eine sehr, sehr massive Bedrohung.
Und selbst Angela Merkel hat ja 2007 gesagt, Klimaschutz ist die Herausforderung des 21. Jahrhunderts und wird am Schluss allen nützen und ist etwas, was uns in eine sichere Zukunft führt. Das sind Lippenbekenntnisse, denen ist jetzt zwölf Jahre nichts gefolgt außer Pillepalle, wie sie es selber genannt hat.
Wir haben zwölf Jahre verloren und wir dürfen auch keine weiteren Jahre verlieren, wir müssen das Thema Klimaschutz jetzt endlich anpacken. Und die Dringlichkeit ist sehr, sehr groß, und um darauf aufmerksam zu machen, gibt es ja diese sogenannten Massenaktionen auch.
Die soziale Frage nicht gegen den Klimaschutz ausspielen
Kassel: Und die Menschen im Süden, die Sie gerade erwähnt haben, weil sie nicht in der Kohlekommission saßen, die vernichten ihre Lebensräume ja in einigen Regionen selber durch die Abholzung von Regenwäldern und andere Maßnahmen, weil sie sagen, wir müssen halt hier auch die Leute beschäftigen und Geld verdienen. Und das sagen ja Leute da, wo Sie leben, auch. Da gibt es ja auch eine Menge Leute, die sagen, Kohleabbau, klar, schade, wenn mal ein Dorf verschwindet, aber ich finde es trotzdem eigentlich richtig, weil wir ja die Arbeitsplätze brauchen im Rheinland. Was sagen Sie denen?
Grothus: Es gibt natürlich einen Interessenskonflikt. Und ich finde, was sehr wichtig ist, dass wir diese soziale Frage, die es natürlich gibt, und die Arbeitsplatzfrage einfach nicht ausspielen dürfen gegen den Klimaschutz.
Das geht in der Zukunft nur gemeinsam, es gibt viele Alternativen, es gibt auch Alternativen in den erneuerbaren Energien, da sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten Zehntausende Arbeitsplätze abgebaut worden, da hat kein Hahn nach gekräht.
"RWE schafft hier vor Ort Fakten"
Mir ist ein Interessensausgleich wichtig, und den haben wir ja auch vorgeschlagen in der Kohlekommission, wo es darum ging, wie kann die soziale Absicherung der in der Kohle Arbeitenden aussehen? Und da haben wir Lösungen vorgeschlagen. Und was schlimm oder tragisch ist, dass es jetzt von der Bundesregierung nicht angepackt wird.
Wir haben unsere Empfehlungen Ende Januar vorgelegt, die Schüler streiken seit über einem halben Jahr, und was passiert? Nichts! Wir haben einen klimapolitischen Stillstand, wir haben ein klimapolitisches Vakuum, und in diesem Vakuum schafft RWE hier vor Ort Fakten, werden Menschen weiter aus ihrem Zuhause vertrieben, baggern die Baggern weiter auf den Hambacher Wald zu, wird weiter CO2 emittiert, indem Kohle verbrannt wird.
Da muss jetzt die Politik ambitioniert handeln, und das ist, glaube ich, auch das Signal, was auch von den Aktionen von "Ende Gelände" ausgehen soll, aber eben auch von den Demonstrationen, die am Samstag hier stattfinden, wo wir ja Tausende Menschen erwarten.
Dankbar für die Solidarität
Kassel: Das vermutlich zurecht, vermute ich zumindest. Es werden sicherlich sehr viele kommen, aber das ist doch immer noch die zentrale Frage, was folgt dann? Das können wir alles zusammennehmen: Die beiden Demonstrationen, die Blockade, auch die regelmäßigen "Fridays for Future"-Demonstrationen in vielen Ländern dieser Welt.
Bleiben wir aber mal in Deutschland, es tut sich ja nichts. Alle sagen, ja, das ist wunderbar, wenn junge Menschen auf die Straße gehen, selbst das Schulschwänzen, bis zu gewissen Grenzen halten wir das aus. Aber es tut ja niemand wirklich was.
Und wenn jetzt eine Woche lang tatsächlich die, ich zitiere das noch mal, Kohleinfrastruktur blockiert wird, nehmen wir an, das funktioniert, dann sagen sich doch RWE und Co., na ja, gut, da werden wir ein paar Strafanzeigen machen, das bringt etwas oder nicht, aber es ist auch nur eine Woche und danach geht alles weiter. Was folgt daraus? Wie kann man das noch zuspitzen und hat trotzdem einen legitimen Protest?
Grothus: Da sprechen Sie etwas Spannendes an, weil mir natürlich vor Ort selber als Betroffene geht es natürlich auch so. Wir hatten ja im letzten Jahr diese große Demonstration hier mit 50.000 Menschen hier vor meiner Haustür für den Hambacher Wald.
Eine unglaubliche Solidarität, die wir Menschen, die wir ja hier leben und die wir das tagtäglich alles mehr oder weniger einfach so hinnehmen müssen, was hier passiert durch den Kohlekonzern RWE, ich glaube, dieses Solidaritätsgefühl, was durch solche Aktionen auch erzeugt wird und gerade jetzt auch am kommenden Samstag natürlich auch Gott sei Dank den Dorfbewohnern in den Dörfern am Tagebau Garzweiler zuteil werden wird, das ist eine Sache, die hält unglaublich nach und die unterstützt die Menschen auch in dem Protest.
Natürlich ist es so, nach so einer großen Aktion, nach einer Demo mit viel Musik, mit viel Kreativität, mit vielen Gesprächen und Menschen – wenn abends wieder alles abgebaut ist, ist man erst mal wieder alleine. Aber was trägt, ist diese unglaublich große Solidarität, und dafür bin ich als betroffene Anwohnerin sehr dankbar.
Kassel: Ich lasse Sie trotzdem noch nicht ganz in Ruhe. Glauben Sie denn, dass diese Aktionswoche und auch diese Demonstrationen, dass die wirklich konkret etwas bewegen werden bei der Politik?
Grothus: Was etwas bewegt, sind mit Sicherheit – oder ich hoffe zumindest – die aktuellen Umfragen, die wir haben, wo wir ja merken, was denkt die Mehrheit der Bevölkerung, an Umfragen kann man es ja häufig festmachen. Ich sehe den ganz, ganz klaren Wunsch, dass mehr passiert im Klimaschutz und dass hier Lösungen herbeigeführt werden – und vor allen Dingen, dass die Politik es nicht aussitzt, sondern konkrete Vorschläge macht und das auch endlich anpackt. Und ich glaube, und das spiegeln mir auch viele, dafür ist es einfach wichtig, dass wir weiterhin auch auf der Straße Druck machen.
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