Wie Schlafmangel krank macht
07:59 Minuten
Immer mehr Menschen klagen über zu wenig Schlaf. Was kurzfristig müde macht, birgt langfristig gesundheitliche Risiken. Selbst Alzheimer könnte durch Schlafmangel begünstigt werden.
"Müde, energielos, schwach, geistig weniger flexibel, sehr viel emotionaler, genervt, bettreif, krank, unlustig, müde" - so fühlen sich die meisten Menschen, wenn sie nur eine Nacht nicht genug schlafen, also durchschnittlich weniger als sechs Stunden.
Kommt das regelmäßig vor, sollte man nach den Gründen suchen. Dabei kann Klaus Steffen Richter helfen. Er ist ärztlicher Leiter des Schlaflabors der Charité am Campus Benjamin Franklin in Berlin. Die Zimmer dort erinnern schon an das eigene Schlafzimmer. Patienten bleiben in der Regel für zwei Nächte - verkabelt mit Elektroden: "Man bräuchte Minimum drei Elektroden", erklärt Klaus Steffen Richter. Aber man nehme "lieber sechs, weil ab und zu einer abfällt."
Den Ursachen auf den Grund gehen
Diese Elektroden am Kopf bestimmen, ob der Mensch sich im leichten, mittleren, tiefen oder Traumschlaf befindet. Solche braucht es auch am Kinn, um Kieferprobleme analysieren zu können, an den Beinen und Armen, um zu sehen, ob diese in der Nacht zucken oder sich bewegen und dazu noch Sensoren an der Nase, um Schnarchen und Atemaussetzer aufzuzeichnen.
Damit wollen Klaus Steffen Richter und sein Team herausfinden, ob die Schlafproblematik einen körperlichen oder einen psychischen Ursprung hat.
Schlafmangel kann Alzheimer begünstigen
Welche Auswirkungen Schlafmangel haben kann, schaut sich Neurowissenschaftler und Schlafforscher Christian Benedict von der Universität Uppsala in Schweden genauer an. In einer vor einigen Jahren publizierten Studie haben er uns sein Team gezeigt, "dass Männer im Alter von 50 Jahren, die über 40 Jahre beobachtet worden sind, ein erhöhtes Risiko haben an Alzheimer zu erkranken, wenn sie regelmäßig an Schlafproblemen litten."
Das wollte er auch bei jungen Männern untersuchen. "Das ist in der Regel immer so ein bisschen einfacher, es mit Männern zu machen." Weil die keinen Menstruationszyklus haben, der die Ergebnisse beeinflusst. Auch an der aktuellen Studie von Christian Benedict und seinem Kollegen Jonathan Cedernaes nahmen 15 gesunde Männer im Alter von durchschnittlich 22 Jahren teil, so Jonathan Cedernaes:
"In der einen Sitzung war es ihnen gestattet, eine normale Nacht zu schlafen. In der anderen durften sie eine Nacht wachbleiben. Vor und nach jeder dieser Interventionen entnahmen wir Blutproben."
Der Einfluss des Tau-Proteins auf das Gehirn
Das Team von der Universität Uppsala stellt fest, dass schon nach einer Nacht ohne Schlaf ein Anstieg von rund 17 Prozent des sogenannten Tau-Proteins im Blut nachweisbar ist. Obwohl Schlafexperte Klaus Steffen Richter diese Studie als einen interessanten Denkanstoß sieht, gibt er zu bedenken, dass jetzt die Frage sei, "ob die sich durch den Schlafmangel bilden oder nur einfach nicht vernünftig abgebaut werden."
Denn dieses Protein ist auch regulär im Körper enthalten. Seine Funktion ist es, Nervenzellen dabei zu unterstützen, ihre Form zu bewahren. Darüber hinaus hilft es Informationen im Gehirn weiterzuleiten. Kommt es im Gehirn zu Abbauprozessen, können Informationen nicht mehr so gut weitergegeben werden, es lagert sich immer mehr Tau-Protein im Gehirn an und wird als ein Anzeichen für eine Alzheimer-Erkrankung interpretiert.
Eine Waschmaschine für das Gehirn
Zum Verständnis: Warum das Gehirn allerdings abbaut und so Alzheimer entsteht, ist noch nicht bekannt. Studien, etwa eine im Jahr 2013 in der Fachzeitschrift "Science", hätten Christian Benedict zufolge gezeigt, "dass im Schlaf Wasser von der Hirnflüssigkeit in das Gewebe rein- und rausgepumpt wird. Diese Abfallprodukte, die durch das Nutzen der Hirnzellen am Tage entstehen, die werden damit rausgespült."
Dennoch warnt Christian Benedict vor voreiligen Schlüssen:
Dennoch warnt Christian Benedict vor voreiligen Schlüssen:
"Der Anstieg des Tau-Proteins im Blut, den wir über eine Nacht des Schlafentzuges beobachten konnten, ist natürlich nicht annähernd vergleichbar mit Anstieg, den man sieht, wenn jemand ein starkes Hirntrauma hatte oder wenn jemand eine Alzheimer-Erkrankung oder eine Prädemenz hat. Der Anstieg war natürlich viel, viel kleiner."
Bedarf an Langzeitstudien
Die Studie ist lediglich ein erster Hinweis, auf keinen Fall ein Beweis dafür, dass eine Nacht ohne Schlaf das Alzheimer-Risiko im jungen Alter erhöht oder das Gehirn dauerhaft schädigt, betont auch Christian Benedict. Die Hirngesundheit hänge von einer "Vielzahl von Variablen" ab: "Natürlich können wir das nicht nur auf den Schlaf runterbrechen und sagen: 'Wenn du nicht gut schläfst, wirst du Alzheimer bekommen.' So ist das natürlich nicht."
Es fehlt noch an Langzeitbeobachtungen, die zeigen, ob zum Beispiel der Tau-Protein-Gehalt nach einer Nacht mit gesundem Schlaf nicht wieder sinkt.
Gibt es einen objektiv messbaren Schlafbedarf?
Schlafexperte Klaus Steffen Richter hat da eine einfach Defintion: "Ein schlechter Schläfer ist jemand, der sich tagsüber nicht erholt fühlt."
Deshalb ist es auch so schwer eine genau Zahl festzulegen, die ein Mensch schlafen sollte. "Der Normalbereich liegt im wesentlichen irgendwo zwischen sechs und zehn Stunden", sagt Klaus Steffen Richter. "Das ist ärgerlich für die Leute, die wirklich zehn Stunden brauchen im Vergleich zu denen, die nur sechs Stunden schlafen und mit so wenig auch wirklich auskommen. Ich glaube, das ist auch noch einmal ein kleiner Unterschied, weil wir heutzutage ja fast stolz drauf sind, wie wenig Schlaf wir brauchen und dann oft unter dem Bereich bleiben, der für uns eigentlich normal wäre."
Wissenschaftler von Italiens Nationalem Forschungsrat in Avellino wollen sich nicht mehr nur auf die subjektive Einschätzung des Patienten verlassen. Sie arbeiten an einem Bluttest, mit dem sich bestimmen lassen soll, ob jemand objektiv genug geschlafen hat. Ein spannendes Projekt, findet Christian Benedict:
"Wenn man das mal weiter spinnt und in die Zukunft schaut,dann könnte man bei Leuten, die im Straßenverkehr ein komisches Fehlverhalten zeigen, einen Bluttest machen. Da sollte man nicht nur auf den Alkohol testen, sondern auch mal schauen, ob die völlig schlafentzogen sind. Weil auch das häufig zu Problemen und Unfällen im Straßenverkehr führen kann."
Gut geschlafen - eine subjektive Wahrnehmung?
Grundlage für diesen Bluttest könnte die gerade erst erschienene Studie der italienischen Kollegen sein. Die untersuchten 111 Schulkinder aus acht europäischen Ländern und teilten diese in Kurz- und Langschläfer ein. Konkret suchten sie in ihrem Blut nach der Konzentration bestimmter microRNAs. Die können unter anderem Schlafmuster im Blut beeinflussen.
Die Auswertungen enthüllten: Tatsächlich zirkulierten bei Kurzschläfern und Normalschläfern deutlich andere Konzentrationen dieser Moleküle im Blut. Schlafexperte Klaus Steffen Richter glaub nicht an solche Tests:
"Solange diese ihnen nur sagen, ob sie gut oder schlecht schlafen, würde ich sagen, ist es tausendmal billiger und einfacher den Patienten zu fragen: Haben Sie denn gut geschlafen? Das ist genauso aussagekräftig."
Die Schlaf-Industrie ist alles andere als verschlafen
Immerhin ist es auch nicht ganz unwahrscheinlich, dass so ein Test eines Tages frei verkäuflich für jedermann erhältlich ist. Wieder ein Produkt, neben den bereits erhältlichen Super-Matratzen, speziellen Einschlaftönen oder Gewichtsdecken, mit denen die Hersteller gutes Geld verdienen können - oft ohne einen wissenschaftlichen Beleg.
Doch all diese Produkte lösen auch das eigentliche Problem nicht: Schlaf verkommt immer mehr zum Luxusgut - diktiert durch den Job und andere Verpflichtungen.