Akustische Erinnerungsarbeit
Nur die Älteren können sich noch an die Auftritte der lebenden Legende Helmut Schmidt im Parlament erinnern. Ein Hörbuch leistet nun akustische Nachhilfe. Jürgen Roth hat aus Schmidt-Originaltönen eine Revue mit dem Titel "Politik ist ein Kampfsport" gebastelt.
Die personifizierte Unbeugsamkeit, der unermüdlich publizierende Mentor der Nation, der Marc Aurel der BRD, der Kantianer von der Waterkant – all das und noch viel mehr ist Helmut Schmidt, der ungekrönte König von Deutschland, zugleich der Kaiser der Sachbuch-Bestsellerliste.
"Schmidts außerordentliche Beliebtheit nährt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass dem Land die gebrochenen Lebensläufe abhandengekommen sind."
"In einem langen Leben hat man viel erlebt, vielerlei Scheiße auch erlebt."
Gerade solche gelegentlich eher schmucklosen Formulierungen tragen bei zur Überzeugungskraft Schmidts. Eine zunehmend segmentierte Gesellschaft hat in dem Elder Statesman eine Klammer gefunden – das Gegenbild zu all den Lavierern, Opportunisten und Wählerschmeichlern des laufenden Betriebs. Schmidts Ethos war und ist ein politischer Pragmatismus in moralischer Absicht. Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.
Der Reiz dieser von Jürgen Roth komponierten Originalton-Revue verdankt sich der außerordentlichen Redebegabung Schmidts, seinem Temperament im Parlament, seiner Fähigkeit, effektvoll Tonlagen zu wechseln, seiner geistigen Präsenz und Reaktionsschnelligkeit:
"Also ich bin ja für Zwischenrufe sehr dankbar, weil sich da normalerweise mein rednerisches Talent erst voll entfaltet, meine Damen und Herren."
Heute wird die parlamentarische Auseinandersetzung kaum noch mit den Mitteln der rhetorisch geschliffenen Rede ausgetragen. Man ist in dieser Hinsicht mittlerweile an ein so niedriges Niveau gewöhnt, dass Schmidts Erregungskultur mit ihrer kalkulierten Aggression, etwa in der Wehrdebatte der 50er-Jahre, überinstrumentiert wirkt.
"Dass wir dem Gesetz als Ganzem nicht zustimmten, das ist ja wohl parlamentarischer Brauch, wenn die ganze Wehrpolitik gegen unsere Richtung gemacht wird. Das machen Ihre Kollegen unter Führung des Herrn Ehard im Bayerischen Landtag doch wohl nicht anders. Sie wollen doch nur die Tribüne verdummen mit Ihren Redensarten."
Bei Schmidt klang damals noch der militärische Ton durch, wie überhaupt die acht Jahre in der Wehrmacht, wo er es bis zum Oberleutnant brachte, seinen Habitus prägten. Herbert Wehner, hier gesprochen von Gert Heidenreich, meinte einmal:
"Ich hatte mit dem Schmidt ein ganz ordentliches Verhältnis – trotz seiner Art, sich für sehr bedeutend zu halten, sehr wichtig zu halten. Und auch entsprechend wie ein Offizier sich so zu verhalten, dass er kommandierte."
Schmidt repräsentierte die sozialdemokratischen 70er-Jahre – und stand zugleich doch quer zu dieser ihm innerlich fremden Epoche, in der das Herz seiner Genossen zunehmend für die sozialen Bewegungen schlug. Vor allem mit dem Idealismus der Friedensbewegten konnte der Rationalist und Raketen-Kanzler so rein gar nichts anfangen:
"Geistige Auseinandersetzung ist nicht zu machen mit der trojanischen Eselei mancher gutwillig-idealistischen junger Leute. Damit ist das nicht zu wollen. Man muss schon darauf gefasst sein, Füchsen zu begegnen, Wölfen zu begegnen, Wölfen im Schafspelz zu begegnen – übrigens auch echten Schafen und echten Hammeln zu begegnen, sicherlich auch das."
Schon den Achtundsechzigern war Schmidt mit Abneigung begegnet. Er störte sich am Intellektualismus und beklagte die:
"Elitäre Arroganz, die genauso gut von Rechtsaußen kommen könnte. Dieses Elitebewusstsein, alles, aber auch alles besser zu wissen – als die dummen Arbeiter, die dummen Angestellten, die dummen Politiker, die dummen Professoren."
Sein Rat an die Marcuse lesende Jugend:
"Nicht so lange rumstudieren!"
Nein, Schmidts Credo hatte gewiss nicht den wuscheligen Sound jener Zeit, in der viele nach Alternativen zum bürgerlichen Leistungsprinzip suchten:
"Und ich will das dick unterstreichen gegenüber manchen Zweifeln in der heutigen Gesellschaft: Etwas lernen und etwas leisten, gut verdienen, anständig und ehrlich seine Steuern bezahlen, ordentlich was auf die hohe Kante legen."
Und das alles auch nicht übertreiben und natürlich nicht vergessen, SPD zu wählen.
Die Schmidt-Revue sammelt eher skurrile als bedeutsame Momente des Politikbetriebs, allerdings auch manche Denkwürdigkeit:
"Politik ist in gewisser Weise ein Kampfsport. Und zwar ein Mannschaftskampfsport."
Ein geschlossenes Persönlichkeitsbild, gar eine Schmidt-Biografie will das Hörbuch nicht bieten. Etwas vertieft werden die Jahre um 1980 mit dem legendären Freiheit-oder-Sozialismus-Wahlkampf, als Schmidt mit Franz-Josef Strauss einen rhetorisch satisfaktionsfähigen Gegenkandidaten bekam. In späteren Jahren hat der Kampfsportler bekannt:
"Habe manchmal mit geringen Kenntnissen doch eine ganz schöne Schau abgezogen."
So war das also. Und die schöne Schau ist hier das Thema. Diese kritische Hommage ist ein angenehm unprätentiöses Produkt auf dem diversifizierten Markt der Helmut-Schmidt-Glorifizierung. Man hört sich das gern mal an.
"Es ist also von daher alles prima."
Besprochen von Wolfgang Schneider
Jürgen Roth: Helmut Schmidt. Politik ist ein Kampfsport. Eine Revue in Originaltönen
Kunstmann Verlag, München 2011,
1 CD, 70 Min., 32 Seiten Booklet, 14,90 Euro
"Schmidts außerordentliche Beliebtheit nährt sich nicht zuletzt aus dem Umstand, dass dem Land die gebrochenen Lebensläufe abhandengekommen sind."
"In einem langen Leben hat man viel erlebt, vielerlei Scheiße auch erlebt."
Gerade solche gelegentlich eher schmucklosen Formulierungen tragen bei zur Überzeugungskraft Schmidts. Eine zunehmend segmentierte Gesellschaft hat in dem Elder Statesman eine Klammer gefunden – das Gegenbild zu all den Lavierern, Opportunisten und Wählerschmeichlern des laufenden Betriebs. Schmidts Ethos war und ist ein politischer Pragmatismus in moralischer Absicht. Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.
Der Reiz dieser von Jürgen Roth komponierten Originalton-Revue verdankt sich der außerordentlichen Redebegabung Schmidts, seinem Temperament im Parlament, seiner Fähigkeit, effektvoll Tonlagen zu wechseln, seiner geistigen Präsenz und Reaktionsschnelligkeit:
"Also ich bin ja für Zwischenrufe sehr dankbar, weil sich da normalerweise mein rednerisches Talent erst voll entfaltet, meine Damen und Herren."
Heute wird die parlamentarische Auseinandersetzung kaum noch mit den Mitteln der rhetorisch geschliffenen Rede ausgetragen. Man ist in dieser Hinsicht mittlerweile an ein so niedriges Niveau gewöhnt, dass Schmidts Erregungskultur mit ihrer kalkulierten Aggression, etwa in der Wehrdebatte der 50er-Jahre, überinstrumentiert wirkt.
"Dass wir dem Gesetz als Ganzem nicht zustimmten, das ist ja wohl parlamentarischer Brauch, wenn die ganze Wehrpolitik gegen unsere Richtung gemacht wird. Das machen Ihre Kollegen unter Führung des Herrn Ehard im Bayerischen Landtag doch wohl nicht anders. Sie wollen doch nur die Tribüne verdummen mit Ihren Redensarten."
Bei Schmidt klang damals noch der militärische Ton durch, wie überhaupt die acht Jahre in der Wehrmacht, wo er es bis zum Oberleutnant brachte, seinen Habitus prägten. Herbert Wehner, hier gesprochen von Gert Heidenreich, meinte einmal:
"Ich hatte mit dem Schmidt ein ganz ordentliches Verhältnis – trotz seiner Art, sich für sehr bedeutend zu halten, sehr wichtig zu halten. Und auch entsprechend wie ein Offizier sich so zu verhalten, dass er kommandierte."
Schmidt repräsentierte die sozialdemokratischen 70er-Jahre – und stand zugleich doch quer zu dieser ihm innerlich fremden Epoche, in der das Herz seiner Genossen zunehmend für die sozialen Bewegungen schlug. Vor allem mit dem Idealismus der Friedensbewegten konnte der Rationalist und Raketen-Kanzler so rein gar nichts anfangen:
"Geistige Auseinandersetzung ist nicht zu machen mit der trojanischen Eselei mancher gutwillig-idealistischen junger Leute. Damit ist das nicht zu wollen. Man muss schon darauf gefasst sein, Füchsen zu begegnen, Wölfen zu begegnen, Wölfen im Schafspelz zu begegnen – übrigens auch echten Schafen und echten Hammeln zu begegnen, sicherlich auch das."
Schon den Achtundsechzigern war Schmidt mit Abneigung begegnet. Er störte sich am Intellektualismus und beklagte die:
"Elitäre Arroganz, die genauso gut von Rechtsaußen kommen könnte. Dieses Elitebewusstsein, alles, aber auch alles besser zu wissen – als die dummen Arbeiter, die dummen Angestellten, die dummen Politiker, die dummen Professoren."
Sein Rat an die Marcuse lesende Jugend:
"Nicht so lange rumstudieren!"
Nein, Schmidts Credo hatte gewiss nicht den wuscheligen Sound jener Zeit, in der viele nach Alternativen zum bürgerlichen Leistungsprinzip suchten:
"Und ich will das dick unterstreichen gegenüber manchen Zweifeln in der heutigen Gesellschaft: Etwas lernen und etwas leisten, gut verdienen, anständig und ehrlich seine Steuern bezahlen, ordentlich was auf die hohe Kante legen."
Und das alles auch nicht übertreiben und natürlich nicht vergessen, SPD zu wählen.
Die Schmidt-Revue sammelt eher skurrile als bedeutsame Momente des Politikbetriebs, allerdings auch manche Denkwürdigkeit:
"Politik ist in gewisser Weise ein Kampfsport. Und zwar ein Mannschaftskampfsport."
Ein geschlossenes Persönlichkeitsbild, gar eine Schmidt-Biografie will das Hörbuch nicht bieten. Etwas vertieft werden die Jahre um 1980 mit dem legendären Freiheit-oder-Sozialismus-Wahlkampf, als Schmidt mit Franz-Josef Strauss einen rhetorisch satisfaktionsfähigen Gegenkandidaten bekam. In späteren Jahren hat der Kampfsportler bekannt:
"Habe manchmal mit geringen Kenntnissen doch eine ganz schöne Schau abgezogen."
So war das also. Und die schöne Schau ist hier das Thema. Diese kritische Hommage ist ein angenehm unprätentiöses Produkt auf dem diversifizierten Markt der Helmut-Schmidt-Glorifizierung. Man hört sich das gern mal an.
"Es ist also von daher alles prima."
Besprochen von Wolfgang Schneider
Jürgen Roth: Helmut Schmidt. Politik ist ein Kampfsport. Eine Revue in Originaltönen
Kunstmann Verlag, München 2011,
1 CD, 70 Min., 32 Seiten Booklet, 14,90 Euro