AKW-Moratorium "ist nicht wasserdicht"

Joachim Wieland im Gespräch mit Nana Brink · 31.03.2011
Der Verwaltungswissenschaftler Joachim Wieland gibt einer Klage der Betreiber von Atomkraftwerken gegen das Moratorium große Erfolgschancen. Letztlich säße aber die Regierung am längeren Hebel.
Nana Brink: Mittlerweile wissen wir, dass es der Bundesregierung wahlkampftaktisch nicht besonders geholfen hat, ein Moratorium der von ihr beschlossenen Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke zu beschließen. Drei Monate sollte nachgedacht werden, aber die ältesten Atommeiler hat man schon mal abgeschaltet. Sie sollen dauerhaft vom Netz, so FDP-Generalsekretär Lindner, der sich an die Spitze der neuen regierungstreuen Anti-Atombewegung gesetzt hat.

Bleibt die Frage: Geht das so einfach, vor allem juristisch? Und am Telefon ist jetzt Joachim Wieland, Professor für öffentliches Recht an der deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Einen schönen guten Morgen, Herr Wieland!

Joachim Wieland: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Beim Moratorium hat sich ja die Kanzlerin auf Paragraph 19 des Atomgesetzes berufen, eine "besondere Gefahrenlage". Ist das juristisch wasserdicht?

Wieland: Nein, das ist nicht wasserdicht. Der Paragraph 19 Absatz 3 des Atomgesetzes gibt die Möglichkeit, wenn in einem Atomkraftwerk eine konkrete Gefahr besteht, dann das Atomkraftwerk erst mal stillzulegen. Man kann auch sagen, wenn man einen dringenden Verdacht hat, dass in einem bestimmten Atomkraftwerk etwas schiefläuft, dann darf man es auch stilllegen, um sich zu vergewissern. Aber das ist keine Grundlage, um jetzt sieben Atomkraftwerke drei Monate stillzulegen.

Brink: Also was sich dann geändert hat, ist die Einschätzung des Risikos, aber dann kann, wie Sie richtig sagen, eine politische Entscheidung ja aber rechtlich nicht bindend sein?

Wieland: Nein, das ist eine politische Entscheidung, und nachdem das Parlament im letzten Herbst gerade unter Hinweis auf die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke die Laufzeitverlängerung beschlossen hat, könnte auch nur das Parlament etwas daran ändern. Die Regierung ist an das beschlossene Gesetz gebunden und darf sich nicht aus eigener Machtvollkommenheit darüber hinwegsetzen.

Brink: Wann also kann man dann diese Atommeiler endgültig vom Netz nehmen?

Wieland: Man könnte sie endgültig vom Netz nehmen, wenn man ein neues Gesetz im Bundestag beschließt und das wieder rückgängig macht, was man im letzten Herbst beschlossen hat und auch sagen würde, die sieben ältesten Atomkraftwerke haben so hohe Risiken in sich, dass wir die endgültig vom Netz nehmen wollen. Das ist argumentativ natürlich nicht ganz leicht, wenn man noch bis vor drei Wochen gesagt hat, die sind vollständig sicher.

Brink: Die Regierung wollte ja nach der Atomkatastrophe in Japan Handlungsfähigkeit demonstrieren, so zumindest erscheint das jetzt. Warum hat sie dann nicht gleich eine Änderung des Atomgesetzes in die Wege geleitet? Da wundert man sich ja schon.

Wieland: Natürlich wundert man sich als Jurist, aber ich vermute, das Ganze hat politische Hintergründe. Man sieht ja jetzt, dass auch in der Regierung die Meinungen ganz unterschiedlich sind. Man mutet den eigenen Parteifreunden und Parteianhängern einiges zu, wenn man so eine Kehrtwende um 180 Grad vollzieht, man mutet politischen Freunden, die einen vielleicht finanziell unterstützt haben, etwas zu, und man hat offenbar in der Regierung gehofft, wenn man erst mal drei Monate verstreichen lässt, beruhigt sich vielleicht das Ganze etwas, und zum anderen können sich alle dran gewöhnen, dass man jetzt einen anderen Kurs fährt. Nur juristisch müsste das anders laufen.

Brink: Also sagen Sie, das ist einfach blanker Aktionismus wider besseren Wissens?

Wieland: Das ist … ich will mal sagen, "blanker Aktionismus" klingt etwas herb, aber es ist jedenfalls juristisch nicht abgestützt, und es hat sich bisher auch niemand gefunden, der gesagt hat, das sei juristisch so zulässig. Man wollte offenbar schnell handeln.

Brink: Sie haben den Bundesumweltminister letztes Jahr zwei Gutachten, mit zwei Gutachten zum Thema Laufzeitverlängerung beraten. Mal ganz abgesehen jetzt von diesen alten Meilern – kann die Laufzeitverlängerung auch per Gesetz ausgesetzt werden so einfach?

Wieland: Im Prinzip kann der Gesetzgeber das, was er gegeben hat, wieder zurücknehmen, aber natürlich werden die Betroffenen darauf verweisen, dass sie sich jetzt darauf eingestellt haben, also die Energieversorgungsunternehmen, dass sie längere Laufzeiten haben, und sie werden sich auf ihr Eigentumsgrundrecht berufen. Nun kann der Gesetzgeber bestimmen, wie das Eigentum letztlich zu definieren ist, aber schon 2002, als die rot-grüne Regierung die Beendigung der Kernkraftnutzung mit den Betreibern vereinbart hat, war es ein harter Kampf darum, was man den Betreibern zumuten könnte. Also auch der Gesetzgeber ist nicht völlig frei, aber ich glaube, wenn er sein Gesetz vernünftig formuliert, auf die geänderte Einschätzung der Gefahren hinweist, auf Schwachstellen in der Sicherheit, die alle deutschen Atomkraftwerke aufweisen, dann würde man mit einem Gesetz letztlich wohl zum Erfolg kommen.

Brink: Die Betreiber der Meiler erwarten ja hohe Verluste. Können sie klagen? Werden sie es tun?

Wieland: Also rechtlich gesehen können sie gegen die Stilllegungsverfügung, die jetzt ergangen ist, meines Erachtens mit sehr viel Aussicht auf Erfolg klagen und können dann auch Schadensersatz geltend machen, weil im Moment keine Rechtsgrundlage für das Eingreifen des Staates besteht. Ich glaube eher nicht, dass sie es machen werden, weil die Regierung und das Parlament letztlich am längeren Hebel sitzt. Man kann auch schon auf der Grundlage des geltenden Rechts wesentlich striktere Sicherheitsanforderungen an alle Atomkraftwerke stellen.

Rechtlicher Maßstab ist da der Stand von Wissenschaft und Technik, und der hat sich in den letzten 30, 40 Jahren, seit die bestehenden Atomkraftwerke geplant und dann gebaut worden sind, natürlich verändert, und man könnte wesentlich mehr von den Betreibern verlangen, man könnte auch Versicherungsleistungen verlangen, also die Betreiber wissen: Die Regierung könnte ihnen das Leben sehr schwer machen. Und deshalb werden sie vermutlich den Klageweg nicht beschreiten.

Brink: Also salopp gesagt, es ist eine Erpressung?

Wieland: Das ist jetzt von Ihnen so gesagt, das würde keiner der Juristen so sagen, sondern man zeigt die Instrumente, könnte man sagen. Also man sagt, wenn ihr mit uns Streit anfangt, dann müssen wir auch darüber nachdenken, was können wir euch zumuten? Und da können wir nun einiges uns vorstellen.

Brink: Viele sagen ja, das ist juristisches Neuland, was da betreten wird. Sehen Sie das auch so?

Wieland: Also so hat man das bisher noch nicht gehabt. Man muss sich an allgemeinen Prinzipien orientieren, und man weiß nicht genau, etwa in der Entschädigungsfrage, wie viel Entschädigung die Gerichte den Betreibern letztlich zusprechen würden. Aber immerhin kann man sagen: 2002 haben die Betreiber ja zugestimmt, dass sie 32 Jahre Betriebszeit für ein Kernkraftwerk als ausreichend ansehen, und haben nicht mit Klagen gedroht. Also haben sie es auch etwas schwer, jetzt vor Gericht anders zu argumentieren. Nur entschieden ist so etwas noch nicht.

Brink: Joachim Wieland, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Schönen Dank für das Gespräch!

Wieland: Gerne!
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