Eine Comic-Legende will nicht mehr
Alan Moore ist vor allem bekannt für seine Comics. Doch nun erfindet der 66-Jährige sich neu. Und schreibt stattdessen einen 1200 Seiten starken Wälzer.
Alan Moore ist wahrscheinlich Northamptons bekanntester Bewohner. Wenig überraschend würden die Stadtoberen gern mit ihm werben. Aber Moore verbittet sich das.
"They can use me to bring in tourist money after I’m dead."
Alan Moore hält wenig von den Politikern im Stadtrat. Der Liebe zu seiner Heimatstadt tut das jedoch keinen Abbruch.
"Ich wurde hier 1953 geboren, in dem mittlerweile abgerissenen Krankenhaus, gleich hier die Straße hoch. Ich habe ungefähr 16 Jahre lang unten in den Boroughs gewohnt, Nr. 17 St. Andrews Street. Dann mussten wir ausziehen, weil sie nahezu die gesamte Gegend platt gemacht haben. Aber ich bin nie aus Northampton weggezogen und wollte das auch nie.”
Die Boroughs sind der historische Kern Northamptons, sie waren lange Zeit aber auch der ärmste Stadtteil. Spätestens als Alan Moore als Comic-Autor in den USA durchstartete, hätte er hier wegziehen können. Doch er blieb. Erst aus Trägheit, dann, weil der heute 66-Jährige merkte, dass ihm das Bleiben neue Einsichten ermöglichte.
Ein vierdimensionales Verständnis entwickelt
"Die Welt in der Breite habe ich so wahrscheinlich nicht vollständig erfahren. Aber indem ich in Northampton geblieben bin, habe ich ein vierdimensionales Verständnis davon entwickelt, wie sich die Lebensgeschichte von Menschen entwickelt."
Mit "Jerusalem" hat der Comicautor der Stadt und dem untergehenden Stadtteil nun ein 1200 Seiten langes literarisches Denkmal gesetzt. Das Buch ist ein wilder Mix aus übernatürlichen Ereignissen, biografischen und historischen Fakten.
"Mir ist klar geworden, dass Schreiben wahrscheinlich der beste Weg ist, um die Boroughs wie ein Schiff in der Flasche zu konservieren, mit all seinen Details und ihren Bedeutungen und all seinen Bewohnern."
Die Leser begleiten unterschiedliche Protagonisten durch verschiedene Jahrhunderte. Und treffen auf Geister, die die Zeit - wie einen Vorhang - zur Seite schieben können. Raumzeit ist ein Konzept, das schon in Moores Comics immer wieder auftauchte.
Relativitätstheorie hin oder her: Comics will die Comiclegende in Zukunft keine mehr schreiben. Laufende Projekte werden noch fertig gestellt. Dann wars das.
"Comics zu schreiben hat lange die Rechnungen bezahlt, aber ich habe nie aufgehört, andere Sachen machen zu wollen. Ich habe während meiner Comic-Karriere sieben Musikalben veröffentlicht. Das schafft manche Band im Laufe ihrer gesamten Karriere nicht. Jetzt hoffe ich, dass ich noch genug Zeit habe, alle die Sache auszuprobieren, für die ich bisher keine Zeit hatte."
Die Komplexität der Moderne überfordert die Menschen
Außerdem ist der Engländer nicht mehr gut auf die US-Verlagsriesen DC und Marvel Comics zu sprechen. Auch dass Superhelden bei einem erwachsenen Publikum so beliebt sind, hält Alan Moore für ein Zeichen des Stillstands.
"Als ich anfing, Superhelden-Comics zu lesen, war das eine Turnhalle für meine Fantasie. Das war wundervoll. Aber die Geschichten werden für Kinder geschrieben. Ich glaube nicht, dass sie angemessen sind für eine harte Erwachsenen-Welt."
Das Internet, die Zukunft, die Komplexität der Moderne überfordere die Menschen, deswegen habe man Mitte der 90er angefangen alte Filme und Musikstile zu recyclen.
Keine Ausreden mehr
"Das war das, was wir wollten. Wir wollten etwas Beruhigendes, Vertrautes während wir uns in dieses ganz und gar nicht vertraute Territorium hinein bewegten. Und ich glaube, dieser Wunsch manifestiert sich auch in dem Wunsch der Menschen, die Helden ihrer Kindheit nicht zurückzulassen. Sie wollen sich versichern, dass es diesen kleinen Jungen, der es liebte Superman und Batman vor dem Feuer zu lesen, noch gibt."
Alan Moore wirkt auf wohl-reflektierte Art wütend, wenn er über politische und gesellschaftliche Entwicklungen spricht. Ist da in Zeiten von Brexit und Trump die Verlockung nicht groß, doch noch ein - wenn auch ein wirklich letztes - Comic zu schreiben? Moore winkt ab. Und dennoch:
"Das ist die Welt, auf die wir Künstler nun zu reagieren haben. Und ich und meine Freunde sind uns einig, dass das bedeutet, dass wir nun härter arbeiten müssen. Jeder dem irgendetwas wichtig ist, wird einfach härter dafür arbeiten müssen. Es gibt da keine Ausreden."