Alarm und Mitgefühl
In der Turnhalle herrscht Stille. Kniehohe Pappwände teilen kleine Parzellen ab. In jeder davon sitzen Betroffene der Evakuierung. Manche lesen. Manche lauschen in ihre Kopfhörer. Andere starren ins Leere. Man schweigt. Japan ist ein höfliches Land.
Beklemmende Eindrücke hat die Journalistin Susan Boos von ihren Recherchen aus Japan mitgebracht und in ihrem hautnah und dicht geschriebenen Buch "Fukushima lässt grüßen" zusammengetragen. Der Reigen der Menschen und Schicksale lässt schier den Atem stocken.
Da gibt es den angesehenen Physikprofessor, der Betroffene auffordert, viel zu lächeln - das mindere schädliche Strahlenfolgen. Da gibt es die Versammlung japanischer Anti-AKW-Kämpfer; sehnsüchtig hängen sie an den Lippen deutscher Umweltaktivisten, die vom hiesigen Atomausstieg berichten. Da gibt es das bedrückte Bauern-Ehepaar. Die Leute haben ihr Kühe angebunden im Stall zurück gelassen und dem sicheren Hungertod preisgegeben. "Wir wussten, dass die Tiere sonst verwildern", erklärt die Frau. Tatsächlich haben sich rund um Fukushima aggressive Herden gebildet, die Aufräumtrupps attackieren. Einmal konnte der Mann zu seinem Hof zurückkehren, um die letzte Habe einzusammeln. Er warf einen Blick in den Kuhstall. Seitdem kann er nachts nicht mehr schlafen.
Zwischen solche Passagen schneidet die Autorin wissenschaftlichen und politischen Hintergrund und kehrt dafür zeitweise nach Deutschland und in ihr Heimatland Schweiz zurück. Ausführlich befasst sie sich mit Hiroshima und Nagasaki, dem Filz zwischen japanischer Politik und AKW-Business und dem von totaler Hilflosigkeit geprägten Katastrophen-Management, als Fukushima zerbrach - möglicherweise doch durch das Erdbeben, weiß die Autorin plausibel zu machen.
Im Gespräch mit betretenen Tepco-Mitarbeitern bringt sie in Erfahrung: Bis heute kann niemand sagen, wie die Kühlung der Brennstäbe funktioniert. Man leitet Wasser ins Kraftwerk und irgendwie - durch Rohre, die sich zufällig günstig ineinander gekeilt haben - gelangt es zu den Brennstäben. Wie lange das noch gut geht, weiß man nicht. Sähe die Lage nach einem Atom-GAU an der deutsch-schweizerischen Grenze wirklich anders aus? Susan Boos besucht hüben wie drüben Verantwortliche, die nach einer Havarie Evakuierungen leiten müssten. Schon die zweite Nachfrage der Autorin fördert dieselbe geballte Hilflosigkeit zu Tage.
Susan Boos hat ein überaus packendes Buch geschrieben - investigative Reportage, alarmierender Umweltbericht und persönliche Impression zugleich, zusammengehalten durch eine eindrucksvolle Mischung aus kühler Kompetenz und mitfühlendem Blick. Die Turnhalle mit den Katastrophenopfern fand sie übrigens in dem Örtchen Iitate-Mura. Seit einem Jahr schreiben, essen, leben diese Menschen kniend, ohne jede Privatsphäre. Als die Journalistin mit ihnen sprechen wollte, winkten sie alle ab. Nur der Dolmetscher flüsterte: Viele wollten hier nicht weg. Sie wüssten nicht, wie sie weiterleben sollten - und hier gebe es wenigstens Suppe.
Besprochen von Susanne Billig
Susan Boos: Fukushima lässt grüßen - Die Folgen eines Super-GAUs
Rotpunkt Verlag, Berlin 2011
271 Seiten, 19,80 Euro
Da gibt es den angesehenen Physikprofessor, der Betroffene auffordert, viel zu lächeln - das mindere schädliche Strahlenfolgen. Da gibt es die Versammlung japanischer Anti-AKW-Kämpfer; sehnsüchtig hängen sie an den Lippen deutscher Umweltaktivisten, die vom hiesigen Atomausstieg berichten. Da gibt es das bedrückte Bauern-Ehepaar. Die Leute haben ihr Kühe angebunden im Stall zurück gelassen und dem sicheren Hungertod preisgegeben. "Wir wussten, dass die Tiere sonst verwildern", erklärt die Frau. Tatsächlich haben sich rund um Fukushima aggressive Herden gebildet, die Aufräumtrupps attackieren. Einmal konnte der Mann zu seinem Hof zurückkehren, um die letzte Habe einzusammeln. Er warf einen Blick in den Kuhstall. Seitdem kann er nachts nicht mehr schlafen.
Zwischen solche Passagen schneidet die Autorin wissenschaftlichen und politischen Hintergrund und kehrt dafür zeitweise nach Deutschland und in ihr Heimatland Schweiz zurück. Ausführlich befasst sie sich mit Hiroshima und Nagasaki, dem Filz zwischen japanischer Politik und AKW-Business und dem von totaler Hilflosigkeit geprägten Katastrophen-Management, als Fukushima zerbrach - möglicherweise doch durch das Erdbeben, weiß die Autorin plausibel zu machen.
Im Gespräch mit betretenen Tepco-Mitarbeitern bringt sie in Erfahrung: Bis heute kann niemand sagen, wie die Kühlung der Brennstäbe funktioniert. Man leitet Wasser ins Kraftwerk und irgendwie - durch Rohre, die sich zufällig günstig ineinander gekeilt haben - gelangt es zu den Brennstäben. Wie lange das noch gut geht, weiß man nicht. Sähe die Lage nach einem Atom-GAU an der deutsch-schweizerischen Grenze wirklich anders aus? Susan Boos besucht hüben wie drüben Verantwortliche, die nach einer Havarie Evakuierungen leiten müssten. Schon die zweite Nachfrage der Autorin fördert dieselbe geballte Hilflosigkeit zu Tage.
Susan Boos hat ein überaus packendes Buch geschrieben - investigative Reportage, alarmierender Umweltbericht und persönliche Impression zugleich, zusammengehalten durch eine eindrucksvolle Mischung aus kühler Kompetenz und mitfühlendem Blick. Die Turnhalle mit den Katastrophenopfern fand sie übrigens in dem Örtchen Iitate-Mura. Seit einem Jahr schreiben, essen, leben diese Menschen kniend, ohne jede Privatsphäre. Als die Journalistin mit ihnen sprechen wollte, winkten sie alle ab. Nur der Dolmetscher flüsterte: Viele wollten hier nicht weg. Sie wüssten nicht, wie sie weiterleben sollten - und hier gebe es wenigstens Suppe.
Besprochen von Susanne Billig
Susan Boos: Fukushima lässt grüßen - Die Folgen eines Super-GAUs
Rotpunkt Verlag, Berlin 2011
271 Seiten, 19,80 Euro