Nicht nur Drogen und Mafia
Kultur ist in Albanien viel zu lange politisch missbraucht worden, kritisiert Mirela Kumbaro. Als parteilose Kulturministerin in der Regierung von Ministerpräsident Edi Rama versucht sie seit einem Jahr, dies zu ändern. Und tatsächlich weht nun ein frischer Wind in der Kunstszene des Landes.
Alles reine Nervensache! Ausgerechnet beim Nachnamen des ausstellenden österreichischen Fotographen hat sich Valentina Koca verhaspelt. Die Leiterin der angesagten Zeta Galerie in der albanischen Hauptstadt Tirana hebt verlegen die Hände - ehe sie anfängt, zu lachen. Schnell hat sich die lebendige Frau wieder gefangen, begrüßt sie an diesem lauen Sommerabend die Anwesenden zu ihrer Vernissage. Fast alle sind sie gekommen: der österreichische Botschafter genauso wie Fatos Lubonja, der Schriftsteller und Dissident. Nur die neue Kulturministerin hat sich entschuldigen lassen.
Valentina Koca nippt an ihrem Weißwein, ehe sie sich ins Getümmel stürzt. Wenn sie jetzt noch eines der Schwarz-Weiß-Fotos aus dem albanisch-mazedonischen Grenzgebiet verkaufen würde, der Abend wäre perfekt:
"Normalerweise verkaufen wir nichts. Es wäre toll, wenn es diesmal anders wäre. Aber ich mache mir da keine Illusionen. Das letzte Mal habe ich etwas im Dezember verkauft. Albanien befindet sich seit mehr als 20 Jahren in einem Transformationsprozess. Wir haben jede Menge wirtschaftlicher Probleme. Kunst kommt da ganz am Ende. Sie dürfen auch nicht vergessen: Wir sind ein kleines Land. Sagen wir mal so: Es wäre manchmal ratsam, die richtigen Leute zu kennen, um mehr zu verkaufen. Ich will das nicht. Meine Galerie soll unabhängig bleiben. Ich meine, selbst wenn ich zu einer Clique gehörte: Kurzfristig hätte ich höchstwahrscheinlich tatsächlich Vorteile – aber auch nur bis zur nächsten Wahl. Wenn die andere Clique das Ruder übernähme, wäre ich weg vom Fenster."
Cliquen-Wirtschaft auch in der Demokratie
Mit "Cliquen" meint die Galeristin die zwei politischen Lager, die seit dem Ende des Kommunismus Anfang der 90er das 3-Millionen Einwohner zählende Balkanland im Griff haben. Die Roten und die Blauen. Rot steht für die Sozialisten, blau für die Demokraten. Seit Juli letzten Jahres haben wieder die Roten das Sagen. Gut für Ministerpräsident Edi Rama und seine Gefolgsleute, weniger gut für die Blauen, die nicht nur ihre Regierungsposten los sind, sondern auch rund 80.000 lukrative Verwaltungs-Jobs.
Valentina Koca stöhnt leise. Immer die gleiche Geschichte. Eine Viertelstunde noch – dann muss sie ihre Freunde rausschmeißen. Zwangsweise. Der österreichische Botschafter hat sie zum Abendessen eingeladen. Das hat Vorrang, die Österreicher haben schließlich die Ausstellung kofinanziert:
"Es ist nicht einfach, über die Runden zu kommen. Die Galerie wirft keinen Profit ab. Aber ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Ich bin selbst Künstlerin. Es ist so gut wie unmöglich, in Albanien von Kunst zu leben. Wenn ich allein an die Kosten denken: Miete, Steuern, irgendwelche Anschaffungen. Es läppert sich. Aber ich habe Glück. Ich habe Grundbesitz. Die Einnahmen ermöglichen es mir, meine Galerie am Leben zu halten."
Zeit zu gehen: Auch für Enkelejd Zonja. In Albanien hat sich der Mann, der als Jugendlicher um ein Haar Profi-Fußballer geworden wäre ehe ihm eine Verletzung einen Strich durch die Rechnung machte, einen Namen gemacht als aufstrebender Künstler.
Wer verstehen will, was Kunst Enkelejd bedeutet, sollte ihn am besten in sein Atelier begleiten – in einem der gesichtslosen Vororte der wuchernden 800.000-Einwohner-Metropole Tirana:
"Was für eine Luftfeuchtigkeit. Wirklich schlimm! Ich muss mir so schnell wie möglich etwas Neues suchen. Ich war einen Monat nicht mehr hier, weil ich zu Hause gezeichnet habe. Und jetzt das! Die Luftfeuchtigkeit hat die Bilder angegriffen. Wegen der niedrigen Decke. Und weil ich nicht richtig lüften kann. Siehst du die Schlieren! Wirklich schrecklich."
Schwierige Rahmenbedingungen für die Kunst
Gedankenversunken kratzt sich Enkelejd an der Stirn – ehe er zu einem seiner großformatigen Gemälde geht: Ein düsteres Bild, auf dem ein grimmiger Offizier und ein kauernder junger Mann zu sehen sind. Vorsichtig streicht er über das Gemälde. Seine Gesichtszüge hellen sich auf: Es ist weniger schlimm als befürchtet. Höchstwahrscheinlich kann er das Gemälde retten. Nervig ist die ganze Angelegenheit trotzdem.
Schließlich bedeutet die Rettungsaktion zusätzliche Arbeit:
"Es ist ein ziemlicher Kampf. In Albanien ist es viel schwieriger, als Künstler zu überleben, als beispielsweise in Schweden. Da hatte ich mal ein Stipendium. Man kann nur hoffen, dass es unter Edi Rama, dem Ministerpräsidenten jetzt, besser wird. Er ist ja selbst Künstler. Du musst schauen wie du über die Runden kommst. Meine Eltern haben mich immer unterstützt. Natürlich bringst du Opfer. Ich überlebe, weil ich die Kunst liebe. Es ist meine Leidenschaft."
Enkelejd schaut sich ein letztes Mal in seinem Atelier um, das übersät ist von offenen Farbdosen und alten sozialistischen Bildbänden, die er manchmal als Vorlage nutzt. Bloß raus hier. Vor einem Monat hat er in Italien ein gutes Dutzend Zeichnungen verkauft. Mit dem Geld kann er sich etwas Neues suchen. Die Italiener hätten einen fairen Preis geboten, meint der junge Mann mit dem Dreitagebart. Seine Augen funkeln. Wenn er auf etwas keine Lust hat, dann sich unter Wert zu verkaufen.
Lieber schlägt er ein Kaufangebot aus – wie bei seinem bekanntesten Gemälde.
"Ich habe mich bei dem Gemälde vom Barock inspirieren lassen, von einem Caravaggio-Gemälde: Die Wiederauferstehung Jesu Christi. Jesus habe ich durch Enver Hodscha ersetzt, den albanischen Diktator, den heiligen Thomas durch meinen Vater. Ich selbst tauche auch im Hintergrund auf. Wenn man so will, habe ich Hodscha wiederauferstehen lassen. Es ging mir um seinen Mythos. Ich weiß noch wie ich am Gemälde malte und meine Mutter ankam und meinte: 'Mein Junge, was machst du nur! Muss das sein! Dein Vater mit Hodscha!' Ich habe damals viel mit meinen Eltern diskutiert. Mit der Zeit haben sie mich verstanden. Als ich das Gemälde vor zwei Jahren in der Nationalen Kunstgalerie ausgestellt habe, habe ich sogar eine Performance mit meinem Vater gemacht. Ich habe ihn vor das Gemälde gesetzt – zwei Stunden lang – in einem meditativen Zustand."
Parteilose Quereinsteigerin als Kultur-Missionarin
Eine provokante Performance – das dürfte auch ganz nach dem Geschmack von Mirela Kumbaro sein. In der Nähe des Hauptplatzes von Tirana residiert die wie aus dem Ei gepellte Linguistin in einer der wenigen alten Villen, die noch nicht dem Bauboom der gefräßigen Stadt zum Opfer gefallen sind.
Kein Namensschild, keine offizielle Fahne, allenfalls ein schwarzes Luxusauto schwäbischer Produktion im Innenhof lässt ahnen, dass Kumbaro nicht irgendwer ist in Tirana. Eine Kultur-Missionarin – darunter geht es nicht bei der parteilosen Quereinsteigerin, die in diesen Tagen ihr einjähriges Jubiläum als Kulturministerin feiert:
"Kultur ist in Albanien viel zu lange missbraucht worden. Nicht nur unter Hodscha, sondern auch in der Demokratie von den Politikern. Sie haben Kunst für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert. Das will ich ändern – genau wie unsere kulturellen Einrichtungen. Sie müssen sich öffnen. Oper oder Nationale Gemäldegalerie waren bislang Bastionen der Elite. Das Volk blieb außen vor – besonders die jungen Leute. Welch ein Wahnsinn! Ein Drittel unserer Bevölkerung ist unter 18, die Jungen sind unsere Zukunft."
Kumbaro hat den Worten Taten folgen lassen. In der Nationalbibliothek dürfen erstmals auch Jugendliche unter 18 Bücher und andere Medien ausleihen. Das Personal ihres Ministeriums wurde komplett ausgetauscht. Genau wie die Intendanz der Oper und Nationalen Kunstgalerie. Früh morgens ist die Frau mit dem langen, braunen Haar die erste im Büro, spät abends die letzte. Die End-Vierzigerin verlangt Einsatz, nicht nur von sich selbst und ihren Mitarbeiterinnen, denen sie zuweilen um ein Uhr nachts von zu Hause aus E-Mails schickt, sondern auch von den Direktoren der albanischen Museen. Letztere hat sie heute zu sich ins Haus bestellt – zwecks "Kursbestimmung".
Auf mehr Geld können sie nicht hoffen. Im Gegenteil, in Kumbaros 10-Millionen-Euro-Budget hat sich ein klaffendes Loch aufgetan:
"Ich hatte schon so eine Ahnung. Ich habe ja jahrzehntelang selbst im Kulturbereich gearbeitet und die grassierende Korruption kritisiert. Du musstest wirklich blind sein um davon nichts mitzubekommen. Das Ausmaß der Misswirtschaft hat mich aber doch schockiert: Ein Loch von einer Million Euro! Korruptionsbedingt. Meine Vorgänger hatten keinerlei Verantwortungsgefühl. Ich meine wie auch: In den acht Jahren unter Berisha, dem abgewählten Ministerpräsidenten, gab es sechs Kulturminister. Jetzt stottern wir die Schulden Stück für Stück ab. Unter mir ist der Kulturhaushalt absolut transparent. Wir legen genau Rechenschaft ab, wofür wir das Geld ausgeben und welche Kultureinrichtungen wie viel Geld bekommen. Das hat es in Albanien noch nie gegeben."
Alternative Kultur muss improvisieren
Auf etwas Geld aus der Tasche der Kultur-Missionarin hatten sie auch bei Tirana Ekspres gehofft – dem alternativen Kulturzentrum der albanischen Hauptstadt. Vergeblich. Und so tut Leiter Andre Ibrahimi das, was er schon die letzten drei Jahre getan hat. Er improvisiert auch auf die Gefahr hin, in Schwierigkeiten zu geraten:
Haben die Wächter doch noch Wind bekommen! Zusammen mit einer deutschen Freiwilligen ist der Mittdreißiger, der einst im italienischen Bologna Jura studierte, in das verlassene Naturkunde-Museum eingestiegen - keine fünfhundert Meter entfernt vom Kulturministerium. Wie etliche alte Gebäude steht es leer. Diebe haben alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest ist. Leitungen, Fensterrahmen, Türklinken. Zurückgelassen haben sie eine Trümmerlandschaft. Eigentlich wollte Andre in aller Ruhe schauen, ob sich die Location für eine Foto-Ausstellung eignet. Jetzt aber musste er erst mal mit einem der Wächter reden. Nach zwei Minuten ist er wieder zurück: Alles in Ordnung. Der Typ wollte nur Geld – fürs Parken.
Andre ist da ganz anderes gewöhnt. Allein die Sache mit ihrer alten Unterkunft, dem verlassenen Hauptbahnhof am Stadtrand:
"Wir mussten da letzten November innerhalb von drei Tagen verschwinden. Sie haben uns gesagt: Wenn ihr in drei Tagen nicht weg seit, geht es euch wie den Roma in ihren Camps. Dann werdet ihr von der Polizei platt gemacht. Am letzten Tag hatten wir noch eine Theater-Performance. Während der Aufführung fing die Polizei an, eine Lagerhalle nebenan abzureißen. Wir waren machtlos. Wir sind nur eine Kultureinrichtung. Die Behörden kümmern sich einen feuchten Dreck um uns. Die interessiert nur Geld. Im Grunde genommen existieren in Albanien immer noch zwei getrennte Welten: der Staat und wir Bürger. Wir haben nur Scherereien mit dem Staat, der Regierung. Die wiederum will eigentlich nur eines: unsere Stimmen. Sonst gar nichts."
Tirana Ekspres ohne feste Bleibe
Andres Aufmüpfigkeit ist Tirana Ekspres nicht gerade gut bekommen. Zurzeit hat das Kulturzentrum keine feste Bleibe. Aber zumindest haben sie noch ihr Büro, die alte Wohnung von Andres Großvater hinter dem Nationalen Geschichtsmuseum. Filmregisseure auf der Suche nach einem authentischen sozialistischen 60er-Jahre- Ambiente hätten ihre helle Freude. Das Sofa, der filigrane Schreibtisch, die braune Schrankwand mit den gesammelten Werken Enver Hodschas - alles Retro.
Andre gefällt das, Hodschas Ideologie. Weniger seine paranoide Cliquen-Wirtschaft, an den Langzeitfolgen, meint er, litten sie immer noch:
"Das Problem mit uns Albanern ist: Wir sind wie eine Familie. Wir sind drei Millionen Cousins. Eine Hand wäscht die andere. Schau dir an, was mit den ganzen Hilfsgeldern passiert ist. Wo bitte schön sind die versprochenen Parks? Die Kinderspielplätze? Die Altersheime? Ich möchte nicht wissen, wofür das Geld ausgegeben wurde. Tirana Ekspres ist nur eine kleine NGO, aber wir können zumindest ein Zeichen setzen: Deshalb legen wir offen, was wir mit den Spendengeldern machen. Wir können der Zivilgesellschaft zeigen: Schaut her, so geht es auch! Du kannst Sinnvolles für die Gesellschaft tun. Du musst dein Geld nicht zwangsläufig für neue Häuser, dicke Autos oder was-weiß-ich ausgeben."